Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

muß Recht für die Macht, und Macht für das Recht vorhan-
den sein 3). Damit ist denn aber auch von selbst klar, daß
die Größe der Staatsgewalt mit dem Steigen der Bevölkerung
und mit der des Gebietes verhältnißmäßig zunehmen muß;
während eine Vermehrung wegen steigenden Wohlstandes und
größerer Betriebsamkeit eines Volkes weniger nöthig ist, indem
in solchem Falle die größere Bedeutung der Privatkräfte eine
Ueberweisung mancher bisher von der Regierung besorgten
Vorkehrungen an die Bürger möglich macht. -- Was nun
aber die Mittel zur Herstellung einer genügenden zwingenden
Macht betrifft, so ist darüber Manches zu bemerken, und nicht
für alle Fragen ist eine zweifellose Antwort bereit. Jeden
Falles müssen diese Mittel doppelter Art sein: Strafe und
unmittelbare Ueberwältigung. In der Regel genügt aller-
dings die Androhung und Vollziehung von Strafen; allein
diese und die unmittelbare Anwendung von Gewalt schließen
sich gegenseitig nicht aus. Und zwar mag sowohl, je nach der
Art des Falles, Strafandrohung in erster Linie stehen, bei
Mangel an Erfolg thatsächliches Einschreiten stattfinden; oder
aber ist vor Allem der Wille des Staates durchzusetzen, dann
aber Strafe wegen böser Absicht und angefangener Ausführung
zu erkennen. -- Vom politischen Standpunkte aus ist die Wirk-
samkeit des Strafsystemes vor Allem zu beachten. Die Strafe
soll abschrecken von Störung der Staatsordnung, und sie muß
darauf berechnet sein. Auch wo kein Recht im engern Sinne
des Wortes verletzt wird, ist daher die Zufügung eines entspre-
chenden Uebels erlaubt, falls dieselbe dazu geeignet ist, die
staatliche Thätigkeit wirklich zu sichern 4). Dabei versteht sich
aber allerdings von selbst, daß auch die Forderungen des
Rechtes an ein Strafsystem nicht mißachtet werden dürfen,
indem es immer die erste Aufgabe des Staates bleibt, für
Erhaltung der Rechtsordnung zu sorgen, und er sie also am

muß Recht für die Macht, und Macht für das Recht vorhan-
den ſein 3). Damit iſt denn aber auch von ſelbſt klar, daß
die Größe der Staatsgewalt mit dem Steigen der Bevölkerung
und mit der des Gebietes verhältnißmäßig zunehmen muß;
während eine Vermehrung wegen ſteigenden Wohlſtandes und
größerer Betriebſamkeit eines Volkes weniger nöthig iſt, indem
in ſolchem Falle die größere Bedeutung der Privatkräfte eine
Ueberweiſung mancher bisher von der Regierung beſorgten
Vorkehrungen an die Bürger möglich macht. — Was nun
aber die Mittel zur Herſtellung einer genügenden zwingenden
Macht betrifft, ſo iſt darüber Manches zu bemerken, und nicht
für alle Fragen iſt eine zweifelloſe Antwort bereit. Jeden
Falles müſſen dieſe Mittel doppelter Art ſein: Strafe und
unmittelbare Ueberwältigung. In der Regel genügt aller-
dings die Androhung und Vollziehung von Strafen; allein
dieſe und die unmittelbare Anwendung von Gewalt ſchließen
ſich gegenſeitig nicht aus. Und zwar mag ſowohl, je nach der
Art des Falles, Strafandrohung in erſter Linie ſtehen, bei
Mangel an Erfolg thatſächliches Einſchreiten ſtattfinden; oder
aber iſt vor Allem der Wille des Staates durchzuſetzen, dann
aber Strafe wegen böſer Abſicht und angefangener Ausführung
zu erkennen. — Vom politiſchen Standpunkte aus iſt die Wirk-
ſamkeit des Strafſyſtemes vor Allem zu beachten. Die Strafe
ſoll abſchrecken von Störung der Staatsordnung, und ſie muß
darauf berechnet ſein. Auch wo kein Recht im engern Sinne
des Wortes verletzt wird, iſt daher die Zufügung eines entſpre-
chenden Uebels erlaubt, falls dieſelbe dazu geeignet iſt, die
ſtaatliche Thätigkeit wirklich zu ſichern 4). Dabei verſteht ſich
aber allerdings von ſelbſt, daß auch die Forderungen des
Rechtes an ein Strafſyſtem nicht mißachtet werden dürfen,
indem es immer die erſte Aufgabe des Staates bleibt, für
Erhaltung der Rechtsordnung zu ſorgen, und er ſie alſo am

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0620" n="606"/>
muß Recht für die Macht, und Macht für das Recht vorhan-<lb/>
den &#x017F;ein <hi rendition="#sup">3</hi>). Damit i&#x017F;t denn aber auch von &#x017F;elb&#x017F;t klar, daß<lb/>
die Größe der Staatsgewalt mit dem Steigen der Bevölkerung<lb/>
und mit der des Gebietes verhältnißmäßig zunehmen muß;<lb/>
während eine Vermehrung wegen &#x017F;teigenden Wohl&#x017F;tandes und<lb/>
größerer Betrieb&#x017F;amkeit eines Volkes weniger nöthig i&#x017F;t, indem<lb/>
in &#x017F;olchem Falle die größere Bedeutung der Privatkräfte eine<lb/>
Ueberwei&#x017F;ung mancher bisher von der Regierung be&#x017F;orgten<lb/>
Vorkehrungen an die Bürger möglich macht. &#x2014; Was nun<lb/>
aber die <hi rendition="#g">Mittel</hi> zur Her&#x017F;tellung einer genügenden zwingenden<lb/>
Macht betrifft, &#x017F;o i&#x017F;t darüber Manches zu bemerken, und nicht<lb/>
für alle Fragen i&#x017F;t eine zweifello&#x017F;e Antwort bereit. Jeden<lb/>
Falles mü&#x017F;&#x017F;en die&#x017F;e Mittel doppelter Art &#x017F;ein: <hi rendition="#g">Strafe</hi> und<lb/>
unmittelbare <hi rendition="#g">Ueberwältigung</hi>. In der Regel genügt aller-<lb/>
dings die Androhung und Vollziehung von Strafen; allein<lb/>
die&#x017F;e und die unmittelbare Anwendung von Gewalt &#x017F;chließen<lb/>
&#x017F;ich gegen&#x017F;eitig nicht aus. Und zwar mag &#x017F;owohl, je nach der<lb/>
Art des Falles, Strafandrohung in er&#x017F;ter Linie &#x017F;tehen, bei<lb/>
Mangel an Erfolg that&#x017F;ächliches Ein&#x017F;chreiten &#x017F;tattfinden; oder<lb/>
aber i&#x017F;t vor Allem der Wille des Staates durchzu&#x017F;etzen, dann<lb/>
aber Strafe wegen bö&#x017F;er Ab&#x017F;icht und angefangener Ausführung<lb/>
zu erkennen. &#x2014; Vom politi&#x017F;chen Standpunkte aus i&#x017F;t die Wirk-<lb/>
&#x017F;amkeit des Straf&#x017F;y&#x017F;temes vor Allem zu beachten. Die Strafe<lb/>
&#x017F;oll ab&#x017F;chrecken von Störung der Staatsordnung, und &#x017F;ie muß<lb/>
darauf berechnet &#x017F;ein. Auch wo kein Recht im engern Sinne<lb/>
des Wortes verletzt wird, i&#x017F;t daher die Zufügung eines ent&#x017F;pre-<lb/>
chenden Uebels erlaubt, falls die&#x017F;elbe dazu geeignet i&#x017F;t, die<lb/>
&#x017F;taatliche Thätigkeit wirklich zu &#x017F;ichern <hi rendition="#sup">4</hi>). Dabei ver&#x017F;teht &#x017F;ich<lb/>
aber allerdings von &#x017F;elb&#x017F;t, daß auch die Forderungen des<lb/>
Rechtes an ein Straf&#x017F;y&#x017F;tem nicht mißachtet werden dürfen,<lb/>
indem es immer die er&#x017F;te Aufgabe des Staates bleibt, für<lb/>
Erhaltung der Rechtsordnung zu &#x017F;orgen, und er &#x017F;ie al&#x017F;o am<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[606/0620] muß Recht für die Macht, und Macht für das Recht vorhan- den ſein 3). Damit iſt denn aber auch von ſelbſt klar, daß die Größe der Staatsgewalt mit dem Steigen der Bevölkerung und mit der des Gebietes verhältnißmäßig zunehmen muß; während eine Vermehrung wegen ſteigenden Wohlſtandes und größerer Betriebſamkeit eines Volkes weniger nöthig iſt, indem in ſolchem Falle die größere Bedeutung der Privatkräfte eine Ueberweiſung mancher bisher von der Regierung beſorgten Vorkehrungen an die Bürger möglich macht. — Was nun aber die Mittel zur Herſtellung einer genügenden zwingenden Macht betrifft, ſo iſt darüber Manches zu bemerken, und nicht für alle Fragen iſt eine zweifelloſe Antwort bereit. Jeden Falles müſſen dieſe Mittel doppelter Art ſein: Strafe und unmittelbare Ueberwältigung. In der Regel genügt aller- dings die Androhung und Vollziehung von Strafen; allein dieſe und die unmittelbare Anwendung von Gewalt ſchließen ſich gegenſeitig nicht aus. Und zwar mag ſowohl, je nach der Art des Falles, Strafandrohung in erſter Linie ſtehen, bei Mangel an Erfolg thatſächliches Einſchreiten ſtattfinden; oder aber iſt vor Allem der Wille des Staates durchzuſetzen, dann aber Strafe wegen böſer Abſicht und angefangener Ausführung zu erkennen. — Vom politiſchen Standpunkte aus iſt die Wirk- ſamkeit des Strafſyſtemes vor Allem zu beachten. Die Strafe ſoll abſchrecken von Störung der Staatsordnung, und ſie muß darauf berechnet ſein. Auch wo kein Recht im engern Sinne des Wortes verletzt wird, iſt daher die Zufügung eines entſpre- chenden Uebels erlaubt, falls dieſelbe dazu geeignet iſt, die ſtaatliche Thätigkeit wirklich zu ſichern 4). Dabei verſteht ſich aber allerdings von ſelbſt, daß auch die Forderungen des Rechtes an ein Strafſyſtem nicht mißachtet werden dürfen, indem es immer die erſte Aufgabe des Staates bleibt, für Erhaltung der Rechtsordnung zu ſorgen, und er ſie alſo am

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/620
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 606. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/620>, abgerufen am 29.04.2024.