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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ACKERBAU, GEWERBE UND HANDEL.
bürgern gelangt war und dass also die Rechte und Pflichten
der Bürgerschaft nicht mehr auf der Ansässigkeit ruhten. Die
reformirte Verfassung beseitigte diese Gefahr nicht bloss für
einmal, sondern für alle Folgezeit, indem sie die Gemeinde-
glieder ohne Rücksicht auf ihre politische Stellung ein für
allemal schied in ,Ansässige' und ,Kindererzieler' und auf
jene die gemeinen Lasten legte, denen die gemeinen Rechte
im natürlichen Lauf der Entwicklung nachfolgen mussten.
Auch die ganze Kriegs- und Eroberungspolitik der Römer
war ebenso wie die Verfassung basirt auf die Ansässigkeit;
wie im Staat der ansässige Mann allein galt, so hatte der
Krieg den Zweck den noch nicht ansässigen Leuten Besitz
zu verschaffen. Nicht Kriegscontribution oder festen Zins
legte man der überwundenen Gemeinde auf, sondern die Ab-
tretung eines Theils, gewöhnlich eines Drittels, ihrer Feld-
mark, wo dann regelmässig römische Bauerhöfe entstanden.
Viele Völker haben gesiegt und erobert wie die Römer; aber
keines hat gleich ihnen den gewonnenen Boden also im
Schweisse seines Angesichts sich zu eigen gemacht und was
die Lanze gewonnen hatte, mit der Pflugschaar zum zweiten-
mal erworben. Was der Krieg gewinnt, kann der Krieg wie-
der entreissen, aber nicht also die Eroberung, die der Pflüger
macht; die Römer haben viele Schlachten verloren, aber kaum
je bei dem Frieden römischen Boden abgetreten. -- Dieser
energisch colonisirenden Eroberungspolitik zur Seite geht das
strengste politische Centralisirungssystem; die neuen Ansied-
lungen wurden nicht selbstständige Gemeinden, das heisst vor-
läufig Clienten und künftig Rivale, sondern es wuchs die rö-
mische Stadtgemeinde um so viel ansässige Bürger, als Land-
loose neu waren ausgelegt worden. Selbst wo es factisch
unvermeidlich war eine städtische Ansiedlung zu gestatten,
wie zum Beispiel an dem Hafenplatz der Tibermündung,
ging man hiervon nicht ab; schon dieser Zeit gehört der ge-
niale Gedanke der Bürgercolonie, das heisst einer factischen
Stadtgemeinde, die rechtlich unselbstständig ist und willenlos
in der Hauptstadt aufgeht; die im Staate steht wie im Ver-
mögen des Vaters das Peculium des Sohnes. In der Beherr-
schung der Erde liegt die Kraft des Mannes und des Staates;
die Grösse Roms ist gebaut auf die ausgedehnteste und un-
mittelbarste Herrschaft der Bürger über den Boden und auf
die geschlossene Einheit dieser also festgegründeten Bauer-
schaft.

ACKERBAU, GEWERBE UND HANDEL.
bürgern gelangt war und daſs also die Rechte und Pflichten
der Bürgerschaft nicht mehr auf der Ansässigkeit ruhten. Die
reformirte Verfassung beseitigte diese Gefahr nicht bloſs für
einmal, sondern für alle Folgezeit, indem sie die Gemeinde-
glieder ohne Rücksicht auf ihre politische Stellung ein für
allemal schied in ‚Ansässige‘ und ‚Kindererzieler‘ und auf
jene die gemeinen Lasten legte, denen die gemeinen Rechte
im natürlichen Lauf der Entwicklung nachfolgen muſsten.
Auch die ganze Kriegs- und Eroberungspolitik der Römer
war ebenso wie die Verfassung basirt auf die Ansässigkeit;
wie im Staat der ansässige Mann allein galt, so hatte der
Krieg den Zweck den noch nicht ansässigen Leuten Besitz
zu verschaffen. Nicht Kriegscontribution oder festen Zins
legte man der überwundenen Gemeinde auf, sondern die Ab-
tretung eines Theils, gewöhnlich eines Drittels, ihrer Feld-
mark, wo dann regelmäſsig römische Bauerhöfe entstanden.
Viele Völker haben gesiegt und erobert wie die Römer; aber
keines hat gleich ihnen den gewonnenen Boden also im
Schweiſse seines Angesichts sich zu eigen gemacht und was
die Lanze gewonnen hatte, mit der Pflugschaar zum zweiten-
mal erworben. Was der Krieg gewinnt, kann der Krieg wie-
der entreiſsen, aber nicht also die Eroberung, die der Pflüger
macht; die Römer haben viele Schlachten verloren, aber kaum
je bei dem Frieden römischen Boden abgetreten. — Dieser
energisch colonisirenden Eroberungspolitik zur Seite geht das
strengste politische Centralisirungssystem; die neuen Ansied-
lungen wurden nicht selbstständige Gemeinden, das heiſst vor-
läufig Clienten und künftig Rivale, sondern es wuchs die rö-
mische Stadtgemeinde um so viel ansässige Bürger, als Land-
loose neu waren ausgelegt worden. Selbst wo es factisch
unvermeidlich war eine städtische Ansiedlung zu gestatten,
wie zum Beispiel an dem Hafenplatz der Tibermündung,
ging man hiervon nicht ab; schon dieser Zeit gehört der ge-
niale Gedanke der Bürgercolonie, das heiſst einer factischen
Stadtgemeinde, die rechtlich unselbstständig ist und willenlos
in der Hauptstadt aufgeht; die im Staate steht wie im Ver-
mögen des Vaters das Peculium des Sohnes. In der Beherr-
schung der Erde liegt die Kraft des Mannes und des Staates;
die Gröſse Roms ist gebaut auf die ausgedehnteste und un-
mittelbarste Herrschaft der Bürger über den Boden und auf
die geschlossene Einheit dieser also festgegründeten Bauer-
schaft.

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[123/0137] ACKERBAU, GEWERBE UND HANDEL. bürgern gelangt war und daſs also die Rechte und Pflichten der Bürgerschaft nicht mehr auf der Ansässigkeit ruhten. Die reformirte Verfassung beseitigte diese Gefahr nicht bloſs für einmal, sondern für alle Folgezeit, indem sie die Gemeinde- glieder ohne Rücksicht auf ihre politische Stellung ein für allemal schied in ‚Ansässige‘ und ‚Kindererzieler‘ und auf jene die gemeinen Lasten legte, denen die gemeinen Rechte im natürlichen Lauf der Entwicklung nachfolgen muſsten. Auch die ganze Kriegs- und Eroberungspolitik der Römer war ebenso wie die Verfassung basirt auf die Ansässigkeit; wie im Staat der ansässige Mann allein galt, so hatte der Krieg den Zweck den noch nicht ansässigen Leuten Besitz zu verschaffen. Nicht Kriegscontribution oder festen Zins legte man der überwundenen Gemeinde auf, sondern die Ab- tretung eines Theils, gewöhnlich eines Drittels, ihrer Feld- mark, wo dann regelmäſsig römische Bauerhöfe entstanden. Viele Völker haben gesiegt und erobert wie die Römer; aber keines hat gleich ihnen den gewonnenen Boden also im Schweiſse seines Angesichts sich zu eigen gemacht und was die Lanze gewonnen hatte, mit der Pflugschaar zum zweiten- mal erworben. Was der Krieg gewinnt, kann der Krieg wie- der entreiſsen, aber nicht also die Eroberung, die der Pflüger macht; die Römer haben viele Schlachten verloren, aber kaum je bei dem Frieden römischen Boden abgetreten. — Dieser energisch colonisirenden Eroberungspolitik zur Seite geht das strengste politische Centralisirungssystem; die neuen Ansied- lungen wurden nicht selbstständige Gemeinden, das heiſst vor- läufig Clienten und künftig Rivale, sondern es wuchs die rö- mische Stadtgemeinde um so viel ansässige Bürger, als Land- loose neu waren ausgelegt worden. Selbst wo es factisch unvermeidlich war eine städtische Ansiedlung zu gestatten, wie zum Beispiel an dem Hafenplatz der Tibermündung, ging man hiervon nicht ab; schon dieser Zeit gehört der ge- niale Gedanke der Bürgercolonie, das heiſst einer factischen Stadtgemeinde, die rechtlich unselbstständig ist und willenlos in der Hauptstadt aufgeht; die im Staate steht wie im Ver- mögen des Vaters das Peculium des Sohnes. In der Beherr- schung der Erde liegt die Kraft des Mannes und des Staates; die Gröſse Roms ist gebaut auf die ausgedehnteste und un- mittelbarste Herrschaft der Bürger über den Boden und auf die geschlossene Einheit dieser also festgegründeten Bauer- schaft.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/137>, abgerufen am 23.04.2024.