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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DIE ITALIKER GEGEN ROM.
Hülfe; Alexander schlägt ihre vereinigte Streitmacht bei Pae-
stum, er bezwingt die Daunier um Sipontum, die Messapier
auf der östlichen Halbinsel; schon gebietet er von Meer zu
Meer und ist im Begriff den Römern die Hand zu reichen
und mit ihnen gemeinschaftlich die Samniten in ihren Stamm-
sitzen anzugreifen. Aber die tarentiner Kaufleute erschraken
vor so unerwarteten und unerwünschten Erfolgen; es kam
zum Krieg zwischen dem Feldhauptmann, der als gedungener
Söldner erschienen war und nun sich anliess, als wolle er in
Italien ein westhellenisches Reich begründen gleich wie sein
Neffe im fernen Osten. Alexander verlor den Muth nicht;
er entriss den Tarentinern Herakleia, stellte Thurii wieder
her und scheint die übrigen italischen Griechen aufgerufen
zu haben sich unter seinem Schutz gegen die Tarentiner zu
vereinigen, indem er zugleich zwischen ihnen und den sabel-
lischen Völkerschaften zu vermitteln suchte. Allein seine gross-
artigen Entwürfe fanden nur schwache Unterstützung bei den
entarteten und entmuthigten Griechen und der nothgedrungene
Parteiwechsel entfremdete ihm seinen bisherigen lucanischen
Anhang; bei Pandosia fiel er von der Hand eines lucanischen
Emigrirten (422) *. Mit seinem Tode kehrten im Wesentlichen
die alten Zustände wieder zurück. Die griechischen Städte
sahen sich wiederum vereinzelt und überall im Nachtheil; dar-
auf angewiesen sich so gut es gehen mochte zu schützen durch
Vertrag oder Tributzahlung oder auch durch auswärtige Hülfe,
wie zum Beispiel Kroton um 430 mit Hülfe von Syrakus die Bret-
tier zurückschlug. Die samnitischen Stämme erhielten aufs Neue
das Uebergewicht und konnten, unbekümmert um die Griechen,
wieder ihre Blicke gegen Latium und Campanien wenden.

Hier aber war in der kurzen Zwischenzeit ein ungeheurer
Umschwung eingetreten. Die latinische Eidgenossenschaft war
gesprengt und zertrümmert, der letzte Widerstand der Volsker
gebrochen, die schönste Landschaft der Halbinsel im unbe-
strittenen und wohlbefestigten Besitz der Römer, die zweite
Stadt Italiens in römischer Clientel. Während die Griechen
und die Samniten mit einander rangen, hatte Rom fast unbe-

* Es wird nicht überflüssig sein daran zu erinnern, dass was über
Archidamos und Alexander bekannt ist, aus griechischen Jahrbüchern her-
rührt und der Synchronismus dieser und der römischen für die gegenwär-
tige Epoche noch bloss approximativ festgestellt ist. Man hüte sich daher
den im Allgemeinen unverkennbaren Zusammenhang der west- und der ost-
italischen Ereignisse zu sehr ins Einzelne verfolgen zu wollen.

DIE ITALIKER GEGEN ROM.
Hülfe; Alexander schlägt ihre vereinigte Streitmacht bei Pae-
stum, er bezwingt die Daunier um Sipontum, die Messapier
auf der östlichen Halbinsel; schon gebietet er von Meer zu
Meer und ist im Begriff den Römern die Hand zu reichen
und mit ihnen gemeinschaftlich die Samniten in ihren Stamm-
sitzen anzugreifen. Aber die tarentiner Kaufleute erschraken
vor so unerwarteten und unerwünschten Erfolgen; es kam
zum Krieg zwischen dem Feldhauptmann, der als gedungener
Söldner erschienen war und nun sich anlieſs, als wolle er in
Italien ein westhellenisches Reich begründen gleich wie sein
Neffe im fernen Osten. Alexander verlor den Muth nicht;
er entriſs den Tarentinern Herakleia, stellte Thurii wieder
her und scheint die übrigen italischen Griechen aufgerufen
zu haben sich unter seinem Schutz gegen die Tarentiner zu
vereinigen, indem er zugleich zwischen ihnen und den sabel-
lischen Völkerschaften zu vermitteln suchte. Allein seine groſs-
artigen Entwürfe fanden nur schwache Unterstützung bei den
entarteten und entmuthigten Griechen und der nothgedrungene
Parteiwechsel entfremdete ihm seinen bisherigen lucanischen
Anhang; bei Pandosia fiel er von der Hand eines lucanischen
Emigrirten (422) *. Mit seinem Tode kehrten im Wesentlichen
die alten Zustände wieder zurück. Die griechischen Städte
sahen sich wiederum vereinzelt und überall im Nachtheil; dar-
auf angewiesen sich so gut es gehen mochte zu schützen durch
Vertrag oder Tributzahlung oder auch durch auswärtige Hülfe,
wie zum Beispiel Kroton um 430 mit Hülfe von Syrakus die Bret-
tier zurückschlug. Die samnitischen Stämme erhielten aufs Neue
das Uebergewicht und konnten, unbekümmert um die Griechen,
wieder ihre Blicke gegen Latium und Campanien wenden.

Hier aber war in der kurzen Zwischenzeit ein ungeheurer
Umschwung eingetreten. Die latinische Eidgenossenschaft war
gesprengt und zertrümmert, der letzte Widerstand der Volsker
gebrochen, die schönste Landschaft der Halbinsel im unbe-
strittenen und wohlbefestigten Besitz der Römer, die zweite
Stadt Italiens in römischer Clientel. Während die Griechen
und die Samniten mit einander rangen, hatte Rom fast unbe-

* Es wird nicht überflüssig sein daran zu erinnern, daſs was über
Archidamos und Alexander bekannt ist, aus griechischen Jahrbüchern her-
rührt und der Synchronismus dieser und der römischen für die gegenwär-
tige Epoche noch bloſs approximativ festgestellt ist. Man hüte sich daher
den im Allgemeinen unverkennbaren Zusammenhang der west- und der ost-
italischen Ereignisse zu sehr ins Einzelne verfolgen zu wollen.
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[233/0247] DIE ITALIKER GEGEN ROM. Hülfe; Alexander schlägt ihre vereinigte Streitmacht bei Pae- stum, er bezwingt die Daunier um Sipontum, die Messapier auf der östlichen Halbinsel; schon gebietet er von Meer zu Meer und ist im Begriff den Römern die Hand zu reichen und mit ihnen gemeinschaftlich die Samniten in ihren Stamm- sitzen anzugreifen. Aber die tarentiner Kaufleute erschraken vor so unerwarteten und unerwünschten Erfolgen; es kam zum Krieg zwischen dem Feldhauptmann, der als gedungener Söldner erschienen war und nun sich anlieſs, als wolle er in Italien ein westhellenisches Reich begründen gleich wie sein Neffe im fernen Osten. Alexander verlor den Muth nicht; er entriſs den Tarentinern Herakleia, stellte Thurii wieder her und scheint die übrigen italischen Griechen aufgerufen zu haben sich unter seinem Schutz gegen die Tarentiner zu vereinigen, indem er zugleich zwischen ihnen und den sabel- lischen Völkerschaften zu vermitteln suchte. Allein seine groſs- artigen Entwürfe fanden nur schwache Unterstützung bei den entarteten und entmuthigten Griechen und der nothgedrungene Parteiwechsel entfremdete ihm seinen bisherigen lucanischen Anhang; bei Pandosia fiel er von der Hand eines lucanischen Emigrirten (422) *. Mit seinem Tode kehrten im Wesentlichen die alten Zustände wieder zurück. Die griechischen Städte sahen sich wiederum vereinzelt und überall im Nachtheil; dar- auf angewiesen sich so gut es gehen mochte zu schützen durch Vertrag oder Tributzahlung oder auch durch auswärtige Hülfe, wie zum Beispiel Kroton um 430 mit Hülfe von Syrakus die Bret- tier zurückschlug. Die samnitischen Stämme erhielten aufs Neue das Uebergewicht und konnten, unbekümmert um die Griechen, wieder ihre Blicke gegen Latium und Campanien wenden. Hier aber war in der kurzen Zwischenzeit ein ungeheurer Umschwung eingetreten. Die latinische Eidgenossenschaft war gesprengt und zertrümmert, der letzte Widerstand der Volsker gebrochen, die schönste Landschaft der Halbinsel im unbe- strittenen und wohlbefestigten Besitz der Römer, die zweite Stadt Italiens in römischer Clientel. Während die Griechen und die Samniten mit einander rangen, hatte Rom fast unbe- * Es wird nicht überflüssig sein daran zu erinnern, daſs was über Archidamos und Alexander bekannt ist, aus griechischen Jahrbüchern her- rührt und der Synchronismus dieser und der römischen für die gegenwär- tige Epoche noch bloſs approximativ festgestellt ist. Man hüte sich daher den im Allgemeinen unverkennbaren Zusammenhang der west- und der ost- italischen Ereignisse zu sehr ins Einzelne verfolgen zu wollen.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/247>, abgerufen am 30.04.2024.