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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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KARTHAGO.
Schiffen die Schlachten der Könige mit. -- Wie die Phoe-
nikier daheim den Druck der Herren gelassen ertrugen,
waren sie auch draussen keineswegs geneigt die friedlichen
Bahnen der kaufmännischen mit der Eroberungspolitik zu
vertauschen. Ihre Colonien sind Factoreien; es liegt ihnen
mehr daran den Eingebornen Waaren abzunehmen und zu
bringen als weite Gebiete in fernen Ländern zu erwerben
und daselbst die schwere und langsame Arbeit der Colonisi-
rung durchzuführen. Selbst mit ihren Concurrenten vermeiden
sie den Krieg; aus Aegypten, Griechenland, Italien, dem öst-
lichen Sicilien lassen sie fast ohne Widerstand sich verdrän-
gen und in den grossen Seeschlachten, die in früher Zeit um
die Herrschaft im westlichen Mittelmeer geliefert worden sind,
bei Alalia (217) und Kyme (282) sind es die Etrusker, nicht
die Phoenikier, die die Schwere des Kampfes gegen die Grie-
chen tragen. Ist die Concurrenz einmal nicht zu vermeiden,
so gleicht man sich aus so gut es gehen will; es ist nie von
den Phoenikiern ein Versuch gemacht worden Caere oder
Massalia zu erobern. Noch weniger natürlich sind die Phoeni-
kier zum Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der
ältern Zeit offensiv auf dem Kampfplatz erscheinen, in der
grossen sicilischen Expedition der africanischen Phoenikier,
welche mit der Niederlage bei Himera durch Gelon von
Syrakus endigte (274), sind sie nur als gehorsame Unter-
thanen des Grosskönigs und um der Theilnahme an dem
Feldzug gegen die östlichen Hellenen auszuweichen, gegen
die Hellenen des Westens ausgerückt; wie denn ihre syrischen
Stammgenossen in der That in demselben Jahr sich mit den
Persern bei Salamis mussten schlagen lassen. -- Es ist das
nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten Gewässern und
mit bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und dass diese
unter den Phoenikiern zu finden waren, haben sie oft bewie-
sen. Es ist der Mangel an Bürgersinn, der bei dem lebendig-
sten Stammgefühl, bei der treuesten Anhänglichkeit an die
Vaterstadt doch das eigenste Wesen der Phoenikier bezeich-
net. Die Freiheit lockte sie nicht und es gelüstete sie nicht
nach der Herrschaft; ,ruhig lebten sie, sagt das Buch der
Richter, nach der Weise der Sidonier, sicher und wohlgemuth
und im Besitz von Reichthum'.

Unter allen phoenikischen Ansiedlungen gediehen keine
schneller und sicherer als die von den Tyriern und Sidoniern
an der Südküste Spaniens und an der nordafrikanischen ge-

KARTHAGO.
Schiffen die Schlachten der Könige mit. — Wie die Phoe-
nikier daheim den Druck der Herren gelassen ertrugen,
waren sie auch drauſsen keineswegs geneigt die friedlichen
Bahnen der kaufmännischen mit der Eroberungspolitik zu
vertauschen. Ihre Colonien sind Factoreien; es liegt ihnen
mehr daran den Eingebornen Waaren abzunehmen und zu
bringen als weite Gebiete in fernen Ländern zu erwerben
und daselbst die schwere und langsame Arbeit der Colonisi-
rung durchzuführen. Selbst mit ihren Concurrenten vermeiden
sie den Krieg; aus Aegypten, Griechenland, Italien, dem öst-
lichen Sicilien lassen sie fast ohne Widerstand sich verdrän-
gen und in den groſsen Seeschlachten, die in früher Zeit um
die Herrschaft im westlichen Mittelmeer geliefert worden sind,
bei Alalia (217) und Kyme (282) sind es die Etrusker, nicht
die Phoenikier, die die Schwere des Kampfes gegen die Grie-
chen tragen. Ist die Concurrenz einmal nicht zu vermeiden,
so gleicht man sich aus so gut es gehen will; es ist nie von
den Phoenikiern ein Versuch gemacht worden Caere oder
Massalia zu erobern. Noch weniger natürlich sind die Phoeni-
kier zum Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der
ältern Zeit offensiv auf dem Kampfplatz erscheinen, in der
groſsen sicilischen Expedition der africanischen Phoenikier,
welche mit der Niederlage bei Himera durch Gelon von
Syrakus endigte (274), sind sie nur als gehorsame Unter-
thanen des Groſskönigs und um der Theilnahme an dem
Feldzug gegen die östlichen Hellenen auszuweichen, gegen
die Hellenen des Westens ausgerückt; wie denn ihre syrischen
Stammgenossen in der That in demselben Jahr sich mit den
Persern bei Salamis muſsten schlagen lassen. — Es ist das
nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten Gewässern und
mit bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und daſs diese
unter den Phoenikiern zu finden waren, haben sie oft bewie-
sen. Es ist der Mangel an Bürgersinn, der bei dem lebendig-
sten Stammgefühl, bei der treuesten Anhänglichkeit an die
Vaterstadt doch das eigenste Wesen der Phoenikier bezeich-
net. Die Freiheit lockte sie nicht und es gelüstete sie nicht
nach der Herrschaft; ‚ruhig lebten sie, sagt das Buch der
Richter, nach der Weise der Sidonier, sicher und wohlgemuth
und im Besitz von Reichthum‘.

Unter allen phoenikischen Ansiedlungen gediehen keine
schneller und sicherer als die von den Tyriern und Sidoniern
an der Südküste Spaniens und an der nordafrikanischen ge-

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[311/0325] KARTHAGO. Schiffen die Schlachten der Könige mit. — Wie die Phoe- nikier daheim den Druck der Herren gelassen ertrugen, waren sie auch drauſsen keineswegs geneigt die friedlichen Bahnen der kaufmännischen mit der Eroberungspolitik zu vertauschen. Ihre Colonien sind Factoreien; es liegt ihnen mehr daran den Eingebornen Waaren abzunehmen und zu bringen als weite Gebiete in fernen Ländern zu erwerben und daselbst die schwere und langsame Arbeit der Colonisi- rung durchzuführen. Selbst mit ihren Concurrenten vermeiden sie den Krieg; aus Aegypten, Griechenland, Italien, dem öst- lichen Sicilien lassen sie fast ohne Widerstand sich verdrän- gen und in den groſsen Seeschlachten, die in früher Zeit um die Herrschaft im westlichen Mittelmeer geliefert worden sind, bei Alalia (217) und Kyme (282) sind es die Etrusker, nicht die Phoenikier, die die Schwere des Kampfes gegen die Grie- chen tragen. Ist die Concurrenz einmal nicht zu vermeiden, so gleicht man sich aus so gut es gehen will; es ist nie von den Phoenikiern ein Versuch gemacht worden Caere oder Massalia zu erobern. Noch weniger natürlich sind die Phoeni- kier zum Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der ältern Zeit offensiv auf dem Kampfplatz erscheinen, in der groſsen sicilischen Expedition der africanischen Phoenikier, welche mit der Niederlage bei Himera durch Gelon von Syrakus endigte (274), sind sie nur als gehorsame Unter- thanen des Groſskönigs und um der Theilnahme an dem Feldzug gegen die östlichen Hellenen auszuweichen, gegen die Hellenen des Westens ausgerückt; wie denn ihre syrischen Stammgenossen in der That in demselben Jahr sich mit den Persern bei Salamis muſsten schlagen lassen. — Es ist das nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten Gewässern und mit bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und daſs diese unter den Phoenikiern zu finden waren, haben sie oft bewie- sen. Es ist der Mangel an Bürgersinn, der bei dem lebendig- sten Stammgefühl, bei der treuesten Anhänglichkeit an die Vaterstadt doch das eigenste Wesen der Phoenikier bezeich- net. Die Freiheit lockte sie nicht und es gelüstete sie nicht nach der Herrschaft; ‚ruhig lebten sie, sagt das Buch der Richter, nach der Weise der Sidonier, sicher und wohlgemuth und im Besitz von Reichthum‘. Unter allen phoenikischen Ansiedlungen gediehen keine schneller und sicherer als die von den Tyriern und Sidoniern an der Südküste Spaniens und an der nordafrikanischen ge-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/325>, abgerufen am 30.04.2024.