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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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HANNIBALISCHER KRIEG.
auf dem Schlachtfeld gefallen oder sie waren, wie Quintus
Fabius und Quintus Fulvius, für einen solchen ganz neuen
und wahrscheinlich langwierigen Krieg zu alt. Die Sieger von
Sena Gaius Nero und Marcus Livius wären der Aufgabe
wohl gewachsen gewesen, allein sie waren beide im höchsten
Grade unpopuläre Aristokraten und es war zweifelhaft, ob es
gelingen würde ihnen das Kommando zu verschaffen -- so
weit war man ja schon, dass die Tüchtigkeit allein nur in
den Zeiten der Angst die Wahlen entschied -- und mehr als
zweifelhaft, ob dies die Männer waren, die dem erschöpften
Volke neue Anstrengungen ansinnen durften. Da kam Publius
Scipio aus Spanien zurück und der Liebling der Menge, der
seine von ihr empfangene Aufgabe so glänzend erfüllt hatte
oder doch erfüllt zu haben schien, ward sogleich für das
nächste Jahr zum Consul gewählt. Er trat sein Amt an (549)
mit dem festen Entschluss die schon in Spanien entworfene
africanische Expedition jetzt zu verwirklichen. Indess im Senat
war die Majorität dem jungen Feldherrn keineswegs günstig
gesinnt. Seine griechische Eleganz und moderne Bildung
und Gesinnung sagte den strengen und etwas bäurischen
Vätern der Stadt sehr wenig zu und gegen seine Kriegführung
in Spanien bestanden ebenso ernste Bedenken wie gegen seine
Soldatenzucht. Wie begründet der Vorwurf war, dass er gegen
seine Corpschefs allzugrosse Nachsicht zeige, bewiesen sehr
bald die Schändlichkeiten, die Gaius Pleminius in Lokri ver-
übte, und die Scipio durch seine Fahrlässigkeit mittelbar in
der ärgerlichsten Weise verschuldet hatte. Dass bei den Ver-
handlungen im Senat über die Anordnung des africanischen
Feldzugs und die Bestellung des Feldherrn dafür der neue
Consul nicht übel Lust bezeigte, wo immer Brauch und Ver-
fassung mit seinen Privatabsichten in Conflict geriethen, solche
Hemmnisse bei Seite zu schieben, und dass er sehr deutlich
zu verstehen gab, wie er sich äussersten Falls der Regierungs-
behörde gegenüber auf seinen Ruhm und seine Popularität
bei dem Volke zu stützen gedenke, musste den Senat nicht
bloss kränken, sondern auch die ernstliche Besorgniss er-
wecken, ob ein solcher Oberfeldherr bei dem bevorstehenden
Entscheidungskrieg und den etwanigen Friedensverhandlungen
mit Karthago sich an die ihm gewordenen Instructionen bin-
den werde; eine Besorgniss, welche die eigenmächtige Füh-
rung der spanischen Expedition keineswegs zu beschwichtigen
geeignet war. Indess bewies man auf beiden Seiten Einsicht

HANNIBALISCHER KRIEG.
auf dem Schlachtfeld gefallen oder sie waren, wie Quintus
Fabius und Quintus Fulvius, für einen solchen ganz neuen
und wahrscheinlich langwierigen Krieg zu alt. Die Sieger von
Sena Gaius Nero und Marcus Livius wären der Aufgabe
wohl gewachsen gewesen, allein sie waren beide im höchsten
Grade unpopuläre Aristokraten und es war zweifelhaft, ob es
gelingen würde ihnen das Kommando zu verschaffen — so
weit war man ja schon, daſs die Tüchtigkeit allein nur in
den Zeiten der Angst die Wahlen entschied — und mehr als
zweifelhaft, ob dies die Männer waren, die dem erschöpften
Volke neue Anstrengungen ansinnen durften. Da kam Publius
Scipio aus Spanien zurück und der Liebling der Menge, der
seine von ihr empfangene Aufgabe so glänzend erfüllt hatte
oder doch erfüllt zu haben schien, ward sogleich für das
nächste Jahr zum Consul gewählt. Er trat sein Amt an (549)
mit dem festen Entschluſs die schon in Spanien entworfene
africanische Expedition jetzt zu verwirklichen. Indeſs im Senat
war die Majorität dem jungen Feldherrn keineswegs günstig
gesinnt. Seine griechische Eleganz und moderne Bildung
und Gesinnung sagte den strengen und etwas bäurischen
Vätern der Stadt sehr wenig zu und gegen seine Kriegführung
in Spanien bestanden ebenso ernste Bedenken wie gegen seine
Soldatenzucht. Wie begründet der Vorwurf war, daſs er gegen
seine Corpschefs allzugroſse Nachsicht zeige, bewiesen sehr
bald die Schändlichkeiten, die Gaius Pleminius in Lokri ver-
übte, und die Scipio durch seine Fahrlässigkeit mittelbar in
der ärgerlichsten Weise verschuldet hatte. Daſs bei den Ver-
handlungen im Senat über die Anordnung des africanischen
Feldzugs und die Bestellung des Feldherrn dafür der neue
Consul nicht übel Lust bezeigte, wo immer Brauch und Ver-
fassung mit seinen Privatabsichten in Conflict geriethen, solche
Hemmnisse bei Seite zu schieben, und daſs er sehr deutlich
zu verstehen gab, wie er sich äuſsersten Falls der Regierungs-
behörde gegenüber auf seinen Ruhm und seine Popularität
bei dem Volke zu stützen gedenke, muſste den Senat nicht
bloſs kränken, sondern auch die ernstliche Besorgniſs er-
wecken, ob ein solcher Oberfeldherr bei dem bevorstehenden
Entscheidungskrieg und den etwanigen Friedensverhandlungen
mit Karthago sich an die ihm gewordenen Instructionen bin-
den werde; eine Besorgniſs, welche die eigenmächtige Füh-
rung der spanischen Expedition keineswegs zu beschwichtigen
geeignet war. Indeſs bewies man auf beiden Seiten Einsicht

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[471/0485] HANNIBALISCHER KRIEG. auf dem Schlachtfeld gefallen oder sie waren, wie Quintus Fabius und Quintus Fulvius, für einen solchen ganz neuen und wahrscheinlich langwierigen Krieg zu alt. Die Sieger von Sena Gaius Nero und Marcus Livius wären der Aufgabe wohl gewachsen gewesen, allein sie waren beide im höchsten Grade unpopuläre Aristokraten und es war zweifelhaft, ob es gelingen würde ihnen das Kommando zu verschaffen — so weit war man ja schon, daſs die Tüchtigkeit allein nur in den Zeiten der Angst die Wahlen entschied — und mehr als zweifelhaft, ob dies die Männer waren, die dem erschöpften Volke neue Anstrengungen ansinnen durften. Da kam Publius Scipio aus Spanien zurück und der Liebling der Menge, der seine von ihr empfangene Aufgabe so glänzend erfüllt hatte oder doch erfüllt zu haben schien, ward sogleich für das nächste Jahr zum Consul gewählt. Er trat sein Amt an (549) mit dem festen Entschluſs die schon in Spanien entworfene africanische Expedition jetzt zu verwirklichen. Indeſs im Senat war die Majorität dem jungen Feldherrn keineswegs günstig gesinnt. Seine griechische Eleganz und moderne Bildung und Gesinnung sagte den strengen und etwas bäurischen Vätern der Stadt sehr wenig zu und gegen seine Kriegführung in Spanien bestanden ebenso ernste Bedenken wie gegen seine Soldatenzucht. Wie begründet der Vorwurf war, daſs er gegen seine Corpschefs allzugroſse Nachsicht zeige, bewiesen sehr bald die Schändlichkeiten, die Gaius Pleminius in Lokri ver- übte, und die Scipio durch seine Fahrlässigkeit mittelbar in der ärgerlichsten Weise verschuldet hatte. Daſs bei den Ver- handlungen im Senat über die Anordnung des africanischen Feldzugs und die Bestellung des Feldherrn dafür der neue Consul nicht übel Lust bezeigte, wo immer Brauch und Ver- fassung mit seinen Privatabsichten in Conflict geriethen, solche Hemmnisse bei Seite zu schieben, und daſs er sehr deutlich zu verstehen gab, wie er sich äuſsersten Falls der Regierungs- behörde gegenüber auf seinen Ruhm und seine Popularität bei dem Volke zu stützen gedenke, muſste den Senat nicht bloſs kränken, sondern auch die ernstliche Besorgniſs er- wecken, ob ein solcher Oberfeldherr bei dem bevorstehenden Entscheidungskrieg und den etwanigen Friedensverhandlungen mit Karthago sich an die ihm gewordenen Instructionen bin- den werde; eine Besorgniſs, welche die eigenmächtige Füh- rung der spanischen Expedition keineswegs zu beschwichtigen geeignet war. Indeſs bewies man auf beiden Seiten Einsicht

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/485>, abgerufen am 21.05.2024.