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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL VIII.
illyrischen Barbaren in gewöhnlichen Zeiten wenigstens ohne
Mühe im Zaum. Im Süden war Griechenland nicht bloss
überhaupt von Makedonien abhängig, sondern ein grosser
Theil desselben: ganz Thessalien im weitesten Sinn vom
Olympos bis zum Spercheios und der Halbinsel Magnesia, die
grosse und wichtige Insel Euboea, die Landschaften Lokris,
Doris und Phokis, endlich in Attika und im Peloponnes eine
Anzahl einzelner Plätze, wie das Vorgebirg Sunion, Korinth,
Orchomenos, Heraea, das triphylische Gebiet -- alle diese
Land- und Ortschaften waren Makedonien geradezu unterthä-
nig und empfingen makedonische Besatzung, vor allen Dingen
die drei wichtigen Festungen Demetrias in Magnesia, Chalkis
auf Euboea und Korinth, ,die drei Fesseln der Hellenen'. Die
Macht des Staates aber lag vor allem in dem Stammland, in
der makedonischen Landschaft. Zwar die Bevölkerung dieses
weiten Gebiets war auffallend dünn; mit Anstrengung aller
Kräfte vermochte Makedonien kaum so viel Mannschaft auf-
zubringen als ein gewöhnliches consularisches Heer von zwei
Legionen zählte und es ist unverkennbar, dass in dieser Hin-
sicht sich das Land noch nicht von der durch die Züge Ale-
xanders und die gallische Invasion hervorgebrachten Entvöl-
kerung erholt hatte. Aber während im eigentlichen Griechen-
land die sittliche und staatliche Kraft der Nation zerrüttet
war und dort, da es mit dem Volke doch vorbei und das
Leben kaum mehr der Mühe werth schien, selbst von den
Besseren der eine über dem Becher, der andre mit dem
Rappier, der dritte bei der Studierlampe den Tag verdarb;
während im Orient und in Alexandrien die Griechen unter
die dichte einheimische Bevölkerung wohl befruchtende Ele-
mente aussäen und ihre Sprache wie ihre Maulfertigkeit, ihre
Wissenschaft und Afterwissenschaft dort ausbreiten konnten,
aber ihre Zahl kaum genügte um die Offiziere, die Staats-
männer und die Schulmeister den Nationen zu liefern und
viel zu gering war um einen Mittelstand reingriechischen
Schlages auch nur in den Städten zu bilden, bestand dagegen
im nördlichen Griechenland noch ein guter Theil jener alten
kernigen Nationalität, aus der die Marathonkämpfer hervor-
gegangen waren. Daher rührt die Zuversicht, mit der die Ma-
kedonier, die Aetoler, die Akarnanen, überall wo sie im Osten
auftreten, als eine bessere Race sich geben und genommen
werden, und die überlegene Rolle, welche sie desswegen an
den Höfen von Alexandria und Antiochia spielen. Die Erzäh-

DRITTES BUCH. KAPITEL VIII.
illyrischen Barbaren in gewöhnlichen Zeiten wenigstens ohne
Mühe im Zaum. Im Süden war Griechenland nicht bloſs
überhaupt von Makedonien abhängig, sondern ein groſser
Theil desselben: ganz Thessalien im weitesten Sinn vom
Olympos bis zum Spercheios und der Halbinsel Magnesia, die
groſse und wichtige Insel Euboea, die Landschaften Lokris,
Doris und Phokis, endlich in Attika und im Peloponnes eine
Anzahl einzelner Plätze, wie das Vorgebirg Sunion, Korinth,
Orchomenos, Heraea, das triphylische Gebiet — alle diese
Land- und Ortschaften waren Makedonien geradezu unterthä-
nig und empfingen makedonische Besatzung, vor allen Dingen
die drei wichtigen Festungen Demetrias in Magnesia, Chalkis
auf Euboea und Korinth, ‚die drei Fesseln der Hellenen‘. Die
Macht des Staates aber lag vor allem in dem Stammland, in
der makedonischen Landschaft. Zwar die Bevölkerung dieses
weiten Gebiets war auffallend dünn; mit Anstrengung aller
Kräfte vermochte Makedonien kaum so viel Mannschaft auf-
zubringen als ein gewöhnliches consularisches Heer von zwei
Legionen zählte und es ist unverkennbar, daſs in dieser Hin-
sicht sich das Land noch nicht von der durch die Züge Ale-
xanders und die gallische Invasion hervorgebrachten Entvöl-
kerung erholt hatte. Aber während im eigentlichen Griechen-
land die sittliche und staatliche Kraft der Nation zerrüttet
war und dort, da es mit dem Volke doch vorbei und das
Leben kaum mehr der Mühe werth schien, selbst von den
Besseren der eine über dem Becher, der andre mit dem
Rappier, der dritte bei der Studierlampe den Tag verdarb;
während im Orient und in Alexandrien die Griechen unter
die dichte einheimische Bevölkerung wohl befruchtende Ele-
mente aussäen und ihre Sprache wie ihre Maulfertigkeit, ihre
Wissenschaft und Afterwissenschaft dort ausbreiten konnten,
aber ihre Zahl kaum genügte um die Offiziere, die Staats-
männer und die Schulmeister den Nationen zu liefern und
viel zu gering war um einen Mittelstand reingriechischen
Schlages auch nur in den Städten zu bilden, bestand dagegen
im nördlichen Griechenland noch ein guter Theil jener alten
kernigen Nationalität, aus der die Marathonkämpfer hervor-
gegangen waren. Daher rührt die Zuversicht, mit der die Ma-
kedonier, die Aetoler, die Akarnanen, überall wo sie im Osten
auftreten, als eine bessere Race sich geben und genommen
werden, und die überlegene Rolle, welche sie deſswegen an
den Höfen von Alexandria und Antiochia spielen. Die Erzäh-

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[502/0516] DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. illyrischen Barbaren in gewöhnlichen Zeiten wenigstens ohne Mühe im Zaum. Im Süden war Griechenland nicht bloſs überhaupt von Makedonien abhängig, sondern ein groſser Theil desselben: ganz Thessalien im weitesten Sinn vom Olympos bis zum Spercheios und der Halbinsel Magnesia, die groſse und wichtige Insel Euboea, die Landschaften Lokris, Doris und Phokis, endlich in Attika und im Peloponnes eine Anzahl einzelner Plätze, wie das Vorgebirg Sunion, Korinth, Orchomenos, Heraea, das triphylische Gebiet — alle diese Land- und Ortschaften waren Makedonien geradezu unterthä- nig und empfingen makedonische Besatzung, vor allen Dingen die drei wichtigen Festungen Demetrias in Magnesia, Chalkis auf Euboea und Korinth, ‚die drei Fesseln der Hellenen‘. Die Macht des Staates aber lag vor allem in dem Stammland, in der makedonischen Landschaft. Zwar die Bevölkerung dieses weiten Gebiets war auffallend dünn; mit Anstrengung aller Kräfte vermochte Makedonien kaum so viel Mannschaft auf- zubringen als ein gewöhnliches consularisches Heer von zwei Legionen zählte und es ist unverkennbar, daſs in dieser Hin- sicht sich das Land noch nicht von der durch die Züge Ale- xanders und die gallische Invasion hervorgebrachten Entvöl- kerung erholt hatte. Aber während im eigentlichen Griechen- land die sittliche und staatliche Kraft der Nation zerrüttet war und dort, da es mit dem Volke doch vorbei und das Leben kaum mehr der Mühe werth schien, selbst von den Besseren der eine über dem Becher, der andre mit dem Rappier, der dritte bei der Studierlampe den Tag verdarb; während im Orient und in Alexandrien die Griechen unter die dichte einheimische Bevölkerung wohl befruchtende Ele- mente aussäen und ihre Sprache wie ihre Maulfertigkeit, ihre Wissenschaft und Afterwissenschaft dort ausbreiten konnten, aber ihre Zahl kaum genügte um die Offiziere, die Staats- männer und die Schulmeister den Nationen zu liefern und viel zu gering war um einen Mittelstand reingriechischen Schlages auch nur in den Städten zu bilden, bestand dagegen im nördlichen Griechenland noch ein guter Theil jener alten kernigen Nationalität, aus der die Marathonkämpfer hervor- gegangen waren. Daher rührt die Zuversicht, mit der die Ma- kedonier, die Aetoler, die Akarnanen, überall wo sie im Osten auftreten, als eine bessere Race sich geben und genommen werden, und die überlegene Rolle, welche sie deſswegen an den Höfen von Alexandria und Antiochia spielen. Die Erzäh-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/516>, abgerufen am 26.04.2024.