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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL VIII.
der gründlichen Erschöpfung des Staats und der äussersten
Unlust der Bürgerschaft auf einen zweiten überseeischen Krieg
sich einzulassen der makedonische Krieg den Römern in hohem
Grade unbequem kam. Den makedonischen Staat, wie er im Jahre
548 war, konnte man sich als Nachbar gefallen lassen; allein
unmöglich durfte man gestatten, dass derselbe den besten Theil
des kleinasiatischen Griechenlands und das wichtige Kyrene
hinzuerwarb, die neutralen Handelsstaaten erdrückte, und da-
mit seine Macht verdoppelte. Es kam hinzu, dass der Sturz
Aegyptens, die Demüthigung, vielleicht die Ueberwältigung von
Rhodos auch dem sicilischen und italischen Handel tiefe Wun-
den geschlagen haben würden; und konnte man überhaupt ru-
hig zusehen, wie der italische Verkehr mit dem Osten von den
beiden grossen Continentalmächten abhängig ward? Gegen Atta-
los, den treuen Bundesgenossen aus dem ersten makedonischen
Krieg, hatte Rom die Ehrenpflicht zu wahren und zu hindern,
dass Philippos, der ihn schon in seiner Hauptstadt belagert
hatte, ihn nicht von Land und Leuten vertrieb. Endlich war
der Anspruch Roms den schützenden Arm über alle Hellenen
auszustrecken keineswegs bloss Phrase; die Neapolitaner, Rhe-
giner, Massalioten und Emporienser konnten bezeugen, dass
dieser Schutz sehr ernst gemeint war, und gar keine Frage
ist es, dass in dieser Zeit die Römer den Griechen näher stan-
den als jede andere Nation und wenig ferner als die helleni-
sirten Makedonier. Es ist seltsam den Römern das Recht zu
bestreiten über die frevelhafte Behandlung der Kianer und
Thasier in ihren menschlichen wie in ihren hellenischen
Sympathien sich empört zu fühlen. So vereinigten sich in
der That alle politischen, commerciellen und sittlichen Motive,
um Rom zu dem zweiten Kriege gegen Philippos, einem der
gerechtesten, die die Stadt je geführt hat, zu bestimmen. Es
gereicht dem Senat zur hohen Ehre, dass er sofort sich ent-
schloss und sich weder durch die Erschöpfung des Staates
abhalten liess noch durch die Impopularität einer solchen
Kriegserklärung. Schon 553 erschien der Propraetor Marcus
Valerius Laevinus mit der sicilischen Flotte von 38 Segeln in
der östlichen See, noch ehe der Krieg erklärt war; man fing
an auf den Krieg sich ernstlich zu bereiten. Indess war man in
Verlegenheit einen ostensibeln Kriegsgrund ausfindig zu machen,
dessen man dem Volk gegenüber nothwendig bedurfte, auch
wenn nicht die Senatoren überhaupt viel zu einsichtige Po-
litiker gewesen wären um den nominellen Kriegsgrund in

DRITTES BUCH. KAPITEL VIII.
der gründlichen Erschöpfung des Staats und der äuſsersten
Unlust der Bürgerschaft auf einen zweiten überseeischen Krieg
sich einzulassen der makedonische Krieg den Römern in hohem
Grade unbequem kam. Den makedonischen Staat, wie er im Jahre
548 war, konnte man sich als Nachbar gefallen lassen; allein
unmöglich durfte man gestatten, daſs derselbe den besten Theil
des kleinasiatischen Griechenlands und das wichtige Kyrene
hinzuerwarb, die neutralen Handelsstaaten erdrückte, und da-
mit seine Macht verdoppelte. Es kam hinzu, daſs der Sturz
Aegyptens, die Demüthigung, vielleicht die Ueberwältigung von
Rhodos auch dem sicilischen und italischen Handel tiefe Wun-
den geschlagen haben würden; und konnte man überhaupt ru-
hig zusehen, wie der italische Verkehr mit dem Osten von den
beiden groſsen Continentalmächten abhängig ward? Gegen Atta-
los, den treuen Bundesgenossen aus dem ersten makedonischen
Krieg, hatte Rom die Ehrenpflicht zu wahren und zu hindern,
daſs Philippos, der ihn schon in seiner Hauptstadt belagert
hatte, ihn nicht von Land und Leuten vertrieb. Endlich war
der Anspruch Roms den schützenden Arm über alle Hellenen
auszustrecken keineswegs bloſs Phrase; die Neapolitaner, Rhe-
giner, Massalioten und Emporienser konnten bezeugen, daſs
dieser Schutz sehr ernst gemeint war, und gar keine Frage
ist es, daſs in dieser Zeit die Römer den Griechen näher stan-
den als jede andere Nation und wenig ferner als die helleni-
sirten Makedonier. Es ist seltsam den Römern das Recht zu
bestreiten über die frevelhafte Behandlung der Kianer und
Thasier in ihren menschlichen wie in ihren hellenischen
Sympathien sich empört zu fühlen. So vereinigten sich in
der That alle politischen, commerciellen und sittlichen Motive,
um Rom zu dem zweiten Kriege gegen Philippos, einem der
gerechtesten, die die Stadt je geführt hat, zu bestimmen. Es
gereicht dem Senat zur hohen Ehre, daſs er sofort sich ent-
schloſs und sich weder durch die Erschöpfung des Staates
abhalten lieſs noch durch die Impopularität einer solchen
Kriegserklärung. Schon 553 erschien der Propraetor Marcus
Valerius Laevinus mit der sicilischen Flotte von 38 Segeln in
der östlichen See, noch ehe der Krieg erklärt war; man fing
an auf den Krieg sich ernstlich zu bereiten. Indeſs war man in
Verlegenheit einen ostensibeln Kriegsgrund ausfindig zu machen,
dessen man dem Volk gegenüber nothwendig bedurfte, auch
wenn nicht die Senatoren überhaupt viel zu einsichtige Po-
litiker gewesen wären um den nominellen Kriegsgrund in

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[516/0530] DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. der gründlichen Erschöpfung des Staats und der äuſsersten Unlust der Bürgerschaft auf einen zweiten überseeischen Krieg sich einzulassen der makedonische Krieg den Römern in hohem Grade unbequem kam. Den makedonischen Staat, wie er im Jahre 548 war, konnte man sich als Nachbar gefallen lassen; allein unmöglich durfte man gestatten, daſs derselbe den besten Theil des kleinasiatischen Griechenlands und das wichtige Kyrene hinzuerwarb, die neutralen Handelsstaaten erdrückte, und da- mit seine Macht verdoppelte. Es kam hinzu, daſs der Sturz Aegyptens, die Demüthigung, vielleicht die Ueberwältigung von Rhodos auch dem sicilischen und italischen Handel tiefe Wun- den geschlagen haben würden; und konnte man überhaupt ru- hig zusehen, wie der italische Verkehr mit dem Osten von den beiden groſsen Continentalmächten abhängig ward? Gegen Atta- los, den treuen Bundesgenossen aus dem ersten makedonischen Krieg, hatte Rom die Ehrenpflicht zu wahren und zu hindern, daſs Philippos, der ihn schon in seiner Hauptstadt belagert hatte, ihn nicht von Land und Leuten vertrieb. Endlich war der Anspruch Roms den schützenden Arm über alle Hellenen auszustrecken keineswegs bloſs Phrase; die Neapolitaner, Rhe- giner, Massalioten und Emporienser konnten bezeugen, daſs dieser Schutz sehr ernst gemeint war, und gar keine Frage ist es, daſs in dieser Zeit die Römer den Griechen näher stan- den als jede andere Nation und wenig ferner als die helleni- sirten Makedonier. Es ist seltsam den Römern das Recht zu bestreiten über die frevelhafte Behandlung der Kianer und Thasier in ihren menschlichen wie in ihren hellenischen Sympathien sich empört zu fühlen. So vereinigten sich in der That alle politischen, commerciellen und sittlichen Motive, um Rom zu dem zweiten Kriege gegen Philippos, einem der gerechtesten, die die Stadt je geführt hat, zu bestimmen. Es gereicht dem Senat zur hohen Ehre, daſs er sofort sich ent- schloſs und sich weder durch die Erschöpfung des Staates abhalten lieſs noch durch die Impopularität einer solchen Kriegserklärung. Schon 553 erschien der Propraetor Marcus Valerius Laevinus mit der sicilischen Flotte von 38 Segeln in der östlichen See, noch ehe der Krieg erklärt war; man fing an auf den Krieg sich ernstlich zu bereiten. Indeſs war man in Verlegenheit einen ostensibeln Kriegsgrund ausfindig zu machen, dessen man dem Volk gegenüber nothwendig bedurfte, auch wenn nicht die Senatoren überhaupt viel zu einsichtige Po- litiker gewesen wären um den nominellen Kriegsgrund in

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/530>, abgerufen am 21.05.2024.