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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG.
Senats den König zur Kriegserklärung zu reizen ward nicht
erreicht; der römische Gesandte Marcus Aemilius erhielt vom
König nichts als die feine Antwort, dass er dem jungen schö-
nen römischen Mann wegen dieser seiner drei Eigenschaften
das Gesagte zu Gute halten wolle. -- Indess war mittlerweile
die gewünschte Veranlassung zur Kriegserklärung von einer an-
dern Seite her gekommen. Die Athener hatten in ihrer alber-
nen und grausamen Eitelkeit zwei unglückliche Akarnanen
hinrichten lassen, weil dieselben sich zufällig in ihre Myste-
rien verirrt hatten. Als die Akarnanen in gerechter Erbitte-
rung von Philippos begehrten, dass er ihnen Genugthuung ver-
schaffe, konnte dieser das gerechte Begehren seiner treuesten
Bundesgenossen nicht weigern und gestattete ihnen in Make-
donien Mannschaft auszuheben und damit und mit ihren ei-
genen Leuten ohne förmliche Kriegserklärung in Attika ein-
zufallen. Zwar war dies nicht bloss kein eigentlicher Krieg,
sondern es liess auch der Führer der makedonischen Schaar
Nikanor auf die drohenden Worte der gerade in Athen an-
wesenden römischen Gesandten sofort seine Truppen den
Rückmarsch antreten (Ende 553). Aber es war zu spät. Eine
athenische Gesandtschaft ging nach Rom, um über den An-
griff Philipps auf einen alten Bundesgenossen Roms zu be-
richten, und aus der Art, wie der Senat sie empfing, sah
Philippos deutlich was ihm bevorstand; wesshalb er zunächst
gleich im Frühling 554 seinen Oberbefehlshaber in Griechen-
land Philokles anwies das attische Gebiet zu verwüsten und
die Stadt möglichst zu bedrängen. -- Der Senat hatte jetzt
was er bedurfte und konnte im Frühjahr 554 die Kriegs-
erklärung ,wegen Angriffs auf einen mit Rom verbündeten
Staat' vor die Volksversammlung bringen. Sie wurde das
erste Mal fast einstimmig verworfen: thörichte oder tücki-
sche Volkstribunen querulirten über den Rath, der den Bür-
gern keine Ruhe gönnen wolle; aber der Krieg war einmal
nothwendig und genau genommen schon begonnen, so dass
der Senat unmöglich von seinem Plan zurücktreten konnte.
Die Bürgerschaft ward durch Vorstellungen und Concessionen
zum Nachgeben bewogen. Es ist bemerkenswerth, dass diese
Concessionen wesentlich auf Kosten der Bundesgenossen er-
folgten. Aus ihren im activen Dienst befindlichen Contingenten
wurden -- ganz entgegen den sonstigen römischen Maximen --
die Besatzungen von Gallien, Unteritalien, Sicilien und Sardi-
nien, zusammen 20000 Mann, ausschliesslich genommen. Die

DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG.
Senats den König zur Kriegserklärung zu reizen ward nicht
erreicht; der römische Gesandte Marcus Aemilius erhielt vom
König nichts als die feine Antwort, daſs er dem jungen schö-
nen römischen Mann wegen dieser seiner drei Eigenschaften
das Gesagte zu Gute halten wolle. — Indeſs war mittlerweile
die gewünschte Veranlassung zur Kriegserklärung von einer an-
dern Seite her gekommen. Die Athener hatten in ihrer alber-
nen und grausamen Eitelkeit zwei unglückliche Akarnanen
hinrichten lassen, weil dieselben sich zufällig in ihre Myste-
rien verirrt hatten. Als die Akarnanen in gerechter Erbitte-
rung von Philippos begehrten, daſs er ihnen Genugthuung ver-
schaffe, konnte dieser das gerechte Begehren seiner treuesten
Bundesgenossen nicht weigern und gestattete ihnen in Make-
donien Mannschaft auszuheben und damit und mit ihren ei-
genen Leuten ohne förmliche Kriegserklärung in Attika ein-
zufallen. Zwar war dies nicht bloſs kein eigentlicher Krieg,
sondern es lieſs auch der Führer der makedonischen Schaar
Nikanor auf die drohenden Worte der gerade in Athen an-
wesenden römischen Gesandten sofort seine Truppen den
Rückmarsch antreten (Ende 553). Aber es war zu spät. Eine
athenische Gesandtschaft ging nach Rom, um über den An-
griff Philipps auf einen alten Bundesgenossen Roms zu be-
richten, und aus der Art, wie der Senat sie empfing, sah
Philippos deutlich was ihm bevorstand; weſshalb er zunächst
gleich im Frühling 554 seinen Oberbefehlshaber in Griechen-
land Philokles anwies das attische Gebiet zu verwüsten und
die Stadt möglichst zu bedrängen. — Der Senat hatte jetzt
was er bedurfte und konnte im Frühjahr 554 die Kriegs-
erklärung ‚wegen Angriffs auf einen mit Rom verbündeten
Staat‘ vor die Volksversammlung bringen. Sie wurde das
erste Mal fast einstimmig verworfen: thörichte oder tücki-
sche Volkstribunen querulirten über den Rath, der den Bür-
gern keine Ruhe gönnen wolle; aber der Krieg war einmal
nothwendig und genau genommen schon begonnen, so daſs
der Senat unmöglich von seinem Plan zurücktreten konnte.
Die Bürgerschaft ward durch Vorstellungen und Concessionen
zum Nachgeben bewogen. Es ist bemerkenswerth, daſs diese
Concessionen wesentlich auf Kosten der Bundesgenossen er-
folgten. Aus ihren im activen Dienst befindlichen Contingenten
wurden — ganz entgegen den sonstigen römischen Maximen —
die Besatzungen von Gallien, Unteritalien, Sicilien und Sardi-
nien, zusammen 20000 Mann, ausschlieſslich genommen. Die

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[519/0533] DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. Senats den König zur Kriegserklärung zu reizen ward nicht erreicht; der römische Gesandte Marcus Aemilius erhielt vom König nichts als die feine Antwort, daſs er dem jungen schö- nen römischen Mann wegen dieser seiner drei Eigenschaften das Gesagte zu Gute halten wolle. — Indeſs war mittlerweile die gewünschte Veranlassung zur Kriegserklärung von einer an- dern Seite her gekommen. Die Athener hatten in ihrer alber- nen und grausamen Eitelkeit zwei unglückliche Akarnanen hinrichten lassen, weil dieselben sich zufällig in ihre Myste- rien verirrt hatten. Als die Akarnanen in gerechter Erbitte- rung von Philippos begehrten, daſs er ihnen Genugthuung ver- schaffe, konnte dieser das gerechte Begehren seiner treuesten Bundesgenossen nicht weigern und gestattete ihnen in Make- donien Mannschaft auszuheben und damit und mit ihren ei- genen Leuten ohne förmliche Kriegserklärung in Attika ein- zufallen. Zwar war dies nicht bloſs kein eigentlicher Krieg, sondern es lieſs auch der Führer der makedonischen Schaar Nikanor auf die drohenden Worte der gerade in Athen an- wesenden römischen Gesandten sofort seine Truppen den Rückmarsch antreten (Ende 553). Aber es war zu spät. Eine athenische Gesandtschaft ging nach Rom, um über den An- griff Philipps auf einen alten Bundesgenossen Roms zu be- richten, und aus der Art, wie der Senat sie empfing, sah Philippos deutlich was ihm bevorstand; weſshalb er zunächst gleich im Frühling 554 seinen Oberbefehlshaber in Griechen- land Philokles anwies das attische Gebiet zu verwüsten und die Stadt möglichst zu bedrängen. — Der Senat hatte jetzt was er bedurfte und konnte im Frühjahr 554 die Kriegs- erklärung ‚wegen Angriffs auf einen mit Rom verbündeten Staat‘ vor die Volksversammlung bringen. Sie wurde das erste Mal fast einstimmig verworfen: thörichte oder tücki- sche Volkstribunen querulirten über den Rath, der den Bür- gern keine Ruhe gönnen wolle; aber der Krieg war einmal nothwendig und genau genommen schon begonnen, so daſs der Senat unmöglich von seinem Plan zurücktreten konnte. Die Bürgerschaft ward durch Vorstellungen und Concessionen zum Nachgeben bewogen. Es ist bemerkenswerth, daſs diese Concessionen wesentlich auf Kosten der Bundesgenossen er- folgten. Aus ihren im activen Dienst befindlichen Contingenten wurden — ganz entgegen den sonstigen römischen Maximen — die Besatzungen von Gallien, Unteritalien, Sicilien und Sardi- nien, zusammen 20000 Mann, ausschlieſslich genommen. Die

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/533>, abgerufen am 21.05.2024.