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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL X.
wovon natürlich die Folge war, dass im königlichen Hause
selbst Zwistigkeiten entstanden und namentlich des Königs
älterer und vom Vater zum Nachfolger bestimmter, aber in
ungleicher Ehe erzeugter Sohn Perseus in seinem Bruder
den künftigen Nebenbuhler zu unterdrücken suchte. Es scheint
nicht, dass Demetrios sich in die römischen Intriguen einliess;
erst der falsche Verdacht des Verbrechens zwang ihn schuldig
zu werden und auch da beabsichtigte er, wie es scheint, nichts
weiter als die Flucht nach Rom. Indess Perseus sorgte dafür,
dass der Vater diese Absicht auf die rechte Weise erfuhr; ein
untergeschobener Brief von Flamininus an Demetrios that das
Uebrige und so gab der Vater Befehl den Sohn aus dem Wege
zu räumen. Zu spät erfuhr Philippos die Ränke, die Perseus
gesponnen hatte und der Tod ereilte ihn über der Absicht
den Brudermörder zu strafen und von der Thronfolge auszu-
schliessen. Er starb im Jahre 575 in Demetrias, im neun-
undfunfzigsten Lebensjahre. Das Reich hinterliess er zer-
schmettert, das Haus zerrüttet, und gebrochenen Herzens
gestand er ein, dass all seine Mühsal und all seine Frevel
vergeblich gewesen waren. -- Sein Sohn Perseus trat darauf
die Regierung an, ohne in Makedonien oder bei dem römi-
schen Senat Widerspruch zu finden. Er war ein stattlicher
Mann, in allen Leibesübungen wohl erfahren, im Lager auf-
gewachsen und des Befehlens gewohnt, gleich seinem Vater
herrisch und nicht bedenklich in der Wahl seiner Mittel.
Ihn reizten nicht der Wein und die Frauen, über die Philippos
seines Regiments nur zu oft vergass; er war stetig und beharr-
lich wie sein Vater leichtsinnig und leidenschaftlich. Philippos,
schon als Knabe König und in den ersten zwanzig Jahren
seiner Herrschaft vom Glück begleitet, war vom Schicksal ver-
wöhnt und verdorben worden; Perseus bestieg den Thron in
seinem einunddreissigsten Jahr und wie er schon als Knabe
mitgenommen worden war in den unglücklichen römischen Krieg,
wie er aufgewachsen war im Druck der Erniedrigung und in
dem Gedanken einer nahen Wiedergeburt des Staates, so erbte
er von seinem Vater mit dem Reich seine Drangsale, seine
Erbitterung und seine Hoffnungen. In der That griff er mit
aller Entschlossenheit die Fortsetzung des väterlichen Werkes
an und rüstete eifriger als es vorher geschehen war zum
Kriege gegen Rom; es kam für ihn noch hinzu, dass es wahr-
lich nicht die Schuld der Römer war, wenn er das make-
donische Diadem trug. Mit Stolz sah die stolze makedonische

DRITTES BUCH. KAPITEL X.
wovon natürlich die Folge war, daſs im königlichen Hause
selbst Zwistigkeiten entstanden und namentlich des Königs
älterer und vom Vater zum Nachfolger bestimmter, aber in
ungleicher Ehe erzeugter Sohn Perseus in seinem Bruder
den künftigen Nebenbuhler zu unterdrücken suchte. Es scheint
nicht, daſs Demetrios sich in die römischen Intriguen einlieſs;
erst der falsche Verdacht des Verbrechens zwang ihn schuldig
zu werden und auch da beabsichtigte er, wie es scheint, nichts
weiter als die Flucht nach Rom. Indeſs Perseus sorgte dafür,
daſs der Vater diese Absicht auf die rechte Weise erfuhr; ein
untergeschobener Brief von Flamininus an Demetrios that das
Uebrige und so gab der Vater Befehl den Sohn aus dem Wege
zu räumen. Zu spät erfuhr Philippos die Ränke, die Perseus
gesponnen hatte und der Tod ereilte ihn über der Absicht
den Brudermörder zu strafen und von der Thronfolge auszu-
schlieſsen. Er starb im Jahre 575 in Demetrias, im neun-
undfunfzigsten Lebensjahre. Das Reich hinterlieſs er zer-
schmettert, das Haus zerrüttet, und gebrochenen Herzens
gestand er ein, daſs all seine Mühsal und all seine Frevel
vergeblich gewesen waren. — Sein Sohn Perseus trat darauf
die Regierung an, ohne in Makedonien oder bei dem römi-
schen Senat Widerspruch zu finden. Er war ein stattlicher
Mann, in allen Leibesübungen wohl erfahren, im Lager auf-
gewachsen und des Befehlens gewohnt, gleich seinem Vater
herrisch und nicht bedenklich in der Wahl seiner Mittel.
Ihn reizten nicht der Wein und die Frauen, über die Philippos
seines Regiments nur zu oft vergaſs; er war stetig und beharr-
lich wie sein Vater leichtsinnig und leidenschaftlich. Philippos,
schon als Knabe König und in den ersten zwanzig Jahren
seiner Herrschaft vom Glück begleitet, war vom Schicksal ver-
wöhnt und verdorben worden; Perseus bestieg den Thron in
seinem einunddreiſsigsten Jahr und wie er schon als Knabe
mitgenommen worden war in den unglücklichen römischen Krieg,
wie er aufgewachsen war im Druck der Erniedrigung und in
dem Gedanken einer nahen Wiedergeburt des Staates, so erbte
er von seinem Vater mit dem Reich seine Drangsale, seine
Erbitterung und seine Hoffnungen. In der That griff er mit
aller Entschlossenheit die Fortsetzung des väterlichen Werkes
an und rüstete eifriger als es vorher geschehen war zum
Kriege gegen Rom; es kam für ihn noch hinzu, daſs es wahr-
lich nicht die Schuld der Römer war, wenn er das make-
donische Diadem trug. Mit Stolz sah die stolze makedonische

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[574/0588] DRITTES BUCH. KAPITEL X. wovon natürlich die Folge war, daſs im königlichen Hause selbst Zwistigkeiten entstanden und namentlich des Königs älterer und vom Vater zum Nachfolger bestimmter, aber in ungleicher Ehe erzeugter Sohn Perseus in seinem Bruder den künftigen Nebenbuhler zu unterdrücken suchte. Es scheint nicht, daſs Demetrios sich in die römischen Intriguen einlieſs; erst der falsche Verdacht des Verbrechens zwang ihn schuldig zu werden und auch da beabsichtigte er, wie es scheint, nichts weiter als die Flucht nach Rom. Indeſs Perseus sorgte dafür, daſs der Vater diese Absicht auf die rechte Weise erfuhr; ein untergeschobener Brief von Flamininus an Demetrios that das Uebrige und so gab der Vater Befehl den Sohn aus dem Wege zu räumen. Zu spät erfuhr Philippos die Ränke, die Perseus gesponnen hatte und der Tod ereilte ihn über der Absicht den Brudermörder zu strafen und von der Thronfolge auszu- schlieſsen. Er starb im Jahre 575 in Demetrias, im neun- undfunfzigsten Lebensjahre. Das Reich hinterlieſs er zer- schmettert, das Haus zerrüttet, und gebrochenen Herzens gestand er ein, daſs all seine Mühsal und all seine Frevel vergeblich gewesen waren. — Sein Sohn Perseus trat darauf die Regierung an, ohne in Makedonien oder bei dem römi- schen Senat Widerspruch zu finden. Er war ein stattlicher Mann, in allen Leibesübungen wohl erfahren, im Lager auf- gewachsen und des Befehlens gewohnt, gleich seinem Vater herrisch und nicht bedenklich in der Wahl seiner Mittel. Ihn reizten nicht der Wein und die Frauen, über die Philippos seines Regiments nur zu oft vergaſs; er war stetig und beharr- lich wie sein Vater leichtsinnig und leidenschaftlich. Philippos, schon als Knabe König und in den ersten zwanzig Jahren seiner Herrschaft vom Glück begleitet, war vom Schicksal ver- wöhnt und verdorben worden; Perseus bestieg den Thron in seinem einunddreiſsigsten Jahr und wie er schon als Knabe mitgenommen worden war in den unglücklichen römischen Krieg, wie er aufgewachsen war im Druck der Erniedrigung und in dem Gedanken einer nahen Wiedergeburt des Staates, so erbte er von seinem Vater mit dem Reich seine Drangsale, seine Erbitterung und seine Hoffnungen. In der That griff er mit aller Entschlossenheit die Fortsetzung des väterlichen Werkes an und rüstete eifriger als es vorher geschehen war zum Kriege gegen Rom; es kam für ihn noch hinzu, daſs es wahr- lich nicht die Schuld der Römer war, wenn er das make- donische Diadem trug. Mit Stolz sah die stolze makedonische

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 574. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/588>, abgerufen am 08.05.2024.