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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ROMS HEGEMONIE IN LATIUM.
Mit den reicher strömenden Mitteln, mit den steigenden An-
forderungen, mit dem erweiterten politischen Horizont musste
auch der Charakter der Stadt sich ändern. Hatte bisher der
Römer sich begnügt die Hügel unter der Burg, wie sich einer
nach dem andern mit Gebäuden füllte, nothdürftig zu ver-
schanzen; war der Brückenkopf auf dem andern Ufer isolirt,
die Brücke wehrlos und deshalb zum schleunigsten Abbrechen
eingerichtet gewesen, so verlangte die Hauptstadt von Latium
ein anderes in sich geschlossenes Vertheidigungssystem. Es
ward also, angeblich unter der Regierung des Königs Servius
Tullius, Brücke, Stadt und Burg mit einem Wall eingeschlos-
sen, der eine zusammenhängende und gesicherte Vertheidi-
gungslinie darbot. Der Wall begann am Fluss bei der subli-
cischen Holzbrücke, welche über den natürlichen Brücken-
pfeiler, die Tiberinsel hinüberführte auf das Castell des Iani-
culum, so dass der südliche Zugang zu der Brücke sich inner-
halb der Ringmauern befand. Von da lief er zum Capitol,
dessen vom Palatin abgewendete Mauer einen Theil des Stadt-
walles bildete, umfasste alsdann den ganzen Raum des Quiri-
nal, Viminal und Esquilin, wo ein mächtiger Erddamm den
Mangel der natürlichen Böschung ersetzte, ferner den Caelius
und den Aventin, wo er wiederum an den Fluss anstiess. So
war nicht bloss die Altstadt auf dem Palatin und die Neu-
stadt auf den Carinen in den Mauerring gezogen, sondern
auch die Vorstädte, die auf dem Esquilin, an den Abhängen
des Palatin, auf dem Caelius und sonst entstanden waren,
ja sogar die beiden von Häusern frei gelassenen bewaldeten
Spitzen, der Burghügel und der Aventin. Die unbrauchbaren und
der Ansiedlung hinderlichen Mauern der bisherigen Stadt liess
man verfallen; die Burg aber mit ihrem Felsenbrunnen, dem
sorgfältig gefassten ,Quellhaus' (tullianum), blieb nach wie
vor ein besonderes Castell, das noch nach Eroberung der Stadt ver-
theidigungsfähig war. -- Aber das Werk war nicht vollständig,
so lange der mit schwerer Mühe geschirmte Boden nicht auch
dem Flusse abgewonnen war, dessen Wasser das Thal zwi-
schen dem Palatin und dem Capitol beständig füllte, so dass
hier eine regelmässige Fähre bestand, und das Thal zwischen
dem Capitol und der Velia so wie das zwischen Palatin und
Aventin versumpfte. Die aus prachtvollen Quadern zusammen-
gefügten unterirdischen Abzugsgräben, wie sie noch heute stehen
und wie die Späteren sie als ein Wunderwerk des königlichen
Rom anstaunten, dürften eher der folgenden Epoche angehören,

ROMS HEGEMONIE IN LATIUM.
Mit den reicher strömenden Mitteln, mit den steigenden An-
forderungen, mit dem erweiterten politischen Horizont muſste
auch der Charakter der Stadt sich ändern. Hatte bisher der
Römer sich begnügt die Hügel unter der Burg, wie sich einer
nach dem andern mit Gebäuden füllte, nothdürftig zu ver-
schanzen; war der Brückenkopf auf dem andern Ufer isolirt,
die Brücke wehrlos und deshalb zum schleunigsten Abbrechen
eingerichtet gewesen, so verlangte die Hauptstadt von Latium
ein anderes in sich geschlossenes Vertheidigungssystem. Es
ward also, angeblich unter der Regierung des Königs Servius
Tullius, Brücke, Stadt und Burg mit einem Wall eingeschlos-
sen, der eine zusammenhängende und gesicherte Vertheidi-
gungslinie darbot. Der Wall begann am Fluſs bei der subli-
cischen Holzbrücke, welche über den natürlichen Brücken-
pfeiler, die Tiberinsel hinüberführte auf das Castell des Iani-
culum, so daſs der südliche Zugang zu der Brücke sich inner-
halb der Ringmauern befand. Von da lief er zum Capitol,
dessen vom Palatin abgewendete Mauer einen Theil des Stadt-
walles bildete, umfaſste alsdann den ganzen Raum des Quiri-
nal, Viminal und Esquilin, wo ein mächtiger Erddamm den
Mangel der natürlichen Böschung ersetzte, ferner den Caelius
und den Aventin, wo er wiederum an den Fluſs anstieſs. So
war nicht bloſs die Altstadt auf dem Palatin und die Neu-
stadt auf den Carinen in den Mauerring gezogen, sondern
auch die Vorstädte, die auf dem Esquilin, an den Abhängen
des Palatin, auf dem Caelius und sonst entstanden waren,
ja sogar die beiden von Häusern frei gelassenen bewaldeten
Spitzen, der Burghügel und der Aventin. Die unbrauchbaren und
der Ansiedlung hinderlichen Mauern der bisherigen Stadt lieſs
man verfallen; die Burg aber mit ihrem Felsenbrunnen, dem
sorgfältig gefaſsten ‚Quellhaus‘ (tullianum), blieb nach wie
vor ein besonderes Castell, das noch nach Eroberung der Stadt ver-
theidigungsfähig war. — Aber das Werk war nicht vollständig,
so lange der mit schwerer Mühe geschirmte Boden nicht auch
dem Flusse abgewonnen war, dessen Wasser das Thal zwi-
schen dem Palatin und dem Capitol beständig füllte, so daſs
hier eine regelmäſsige Fähre bestand, und das Thal zwischen
dem Capitol und der Velia so wie das zwischen Palatin und
Aventin versumpfte. Die aus prachtvollen Quadern zusammen-
gefügten unterirdischen Abzugsgräben, wie sie noch heute stehen
und wie die Späteren sie als ein Wunderwerk des königlichen
Rom anstaunten, dürften eher der folgenden Epoche angehören,

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[47/0061] ROMS HEGEMONIE IN LATIUM. Mit den reicher strömenden Mitteln, mit den steigenden An- forderungen, mit dem erweiterten politischen Horizont muſste auch der Charakter der Stadt sich ändern. Hatte bisher der Römer sich begnügt die Hügel unter der Burg, wie sich einer nach dem andern mit Gebäuden füllte, nothdürftig zu ver- schanzen; war der Brückenkopf auf dem andern Ufer isolirt, die Brücke wehrlos und deshalb zum schleunigsten Abbrechen eingerichtet gewesen, so verlangte die Hauptstadt von Latium ein anderes in sich geschlossenes Vertheidigungssystem. Es ward also, angeblich unter der Regierung des Königs Servius Tullius, Brücke, Stadt und Burg mit einem Wall eingeschlos- sen, der eine zusammenhängende und gesicherte Vertheidi- gungslinie darbot. Der Wall begann am Fluſs bei der subli- cischen Holzbrücke, welche über den natürlichen Brücken- pfeiler, die Tiberinsel hinüberführte auf das Castell des Iani- culum, so daſs der südliche Zugang zu der Brücke sich inner- halb der Ringmauern befand. Von da lief er zum Capitol, dessen vom Palatin abgewendete Mauer einen Theil des Stadt- walles bildete, umfaſste alsdann den ganzen Raum des Quiri- nal, Viminal und Esquilin, wo ein mächtiger Erddamm den Mangel der natürlichen Böschung ersetzte, ferner den Caelius und den Aventin, wo er wiederum an den Fluſs anstieſs. So war nicht bloſs die Altstadt auf dem Palatin und die Neu- stadt auf den Carinen in den Mauerring gezogen, sondern auch die Vorstädte, die auf dem Esquilin, an den Abhängen des Palatin, auf dem Caelius und sonst entstanden waren, ja sogar die beiden von Häusern frei gelassenen bewaldeten Spitzen, der Burghügel und der Aventin. Die unbrauchbaren und der Ansiedlung hinderlichen Mauern der bisherigen Stadt lieſs man verfallen; die Burg aber mit ihrem Felsenbrunnen, dem sorgfältig gefaſsten ‚Quellhaus‘ (tullianum), blieb nach wie vor ein besonderes Castell, das noch nach Eroberung der Stadt ver- theidigungsfähig war. — Aber das Werk war nicht vollständig, so lange der mit schwerer Mühe geschirmte Boden nicht auch dem Flusse abgewonnen war, dessen Wasser das Thal zwi- schen dem Palatin und dem Capitol beständig füllte, so daſs hier eine regelmäſsige Fähre bestand, und das Thal zwischen dem Capitol und der Velia so wie das zwischen Palatin und Aventin versumpfte. Die aus prachtvollen Quadern zusammen- gefügten unterirdischen Abzugsgräben, wie sie noch heute stehen und wie die Späteren sie als ein Wunderwerk des königlichen Rom anstaunten, dürften eher der folgenden Epoche angehören,

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/61>, abgerufen am 28.04.2024.