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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG.
sondern vernichtet ward. Die immer nothwendiger werdende
Intervention in die inneren Angelegenheiten der griechischen
Kleinstaaten mit ihrer Missregierung und ihrer politischen wie
socialen Anarchie, die Entwaffnung Makedoniens, wo die Nord-
grenze nothwendig einer anderen Wehr als blosser Posten
bedurfte, endlich die beginnende Grundsteuerentrichtung nach
Rom aus Makedonien und Illyrien sind ebensoviel Anfänge
der nahenden Verwandlung der Clientelstaaten in Unterthanen
Roms.

Werfen wir zum Schluss einen Blick zurück auf den
von Rom seit der Einigung Italiens bis auf Makedoniens
Zertrümmerung durchmessenen Lauf, so erscheint die römi-
sche Weltherrschaft keineswegs, wie man wohl zu sagen
pflegt, als ein von unersättlicher Ländergier entworfener und
durchgeführter Riesenplan, sondern als ein Ergebniss, das der
römischen Regierung sich ohne, ja wider ihren Willen aufge-
drungen hat. Es ist offenbar für jede nicht oberflächliche
Betrachtung, dass man während dieses ganzen Zeitraums
nichts wollte und begehrte als die Herrschaft über Italien,
dass man bloss wünschte nicht übermächtige Nachbarn neben
sich zu haben und dass man, nicht aus Humanität gegen die
Besiegten, sondern in dem sehr richtigen Gefühl den Kern
des Reiches nicht von der Umlage erdrücken zu lassen, sich
sehr ernstlich dagegen stemmte erst Africa, dann Griechenland,
endlich Asien in den Kreis der römischen Clientel hineinzu-
ziehen, bis die Umstände jedesmal die Erweiterung des Kreises
erzwangen oder wenigstens mit unwiderstehlicher Gewalt nahe
legten. Die Römer haben stets behauptet, dass sie nicht Erobe-
rungspolitik trieben und stets die Angegriffenen gewesen seien;
es ist etwas sehr Wahres darin, denn mit Ausnahme des Krieges
um Sicilien sind zu allen grossen Kriegen, zu dem hannibalischen
und dem antiochischen und nicht minder zu denen mit Philippos
und Perseus, sie entweder durch einen unmittelbaren Angriff oder
durch eine unerhörte Störung der bestehenden politischen Ver-
hältnisse genöthigt und daher auch in der Regel von ihrem
Ausbruch überrascht worden. Dass sie sich nicht so gemä-
ssigt haben, wie sie vor allem im eigenen Interesse Italiens
es hätten thun sollen, dass zum Beispiel die Festhaltung Spa-
niens, die Feststellung der Tutel über Africa, vor allem der
halb phantastische Plan den Griechen überall die Freiheit zu
bringen, schwere Fehler waren gegen die italische Politik, ist
deutlich genug. Allein die Ursachen davon sind theils die

DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG.
sondern vernichtet ward. Die immer nothwendiger werdende
Intervention in die inneren Angelegenheiten der griechischen
Kleinstaaten mit ihrer Miſsregierung und ihrer politischen wie
socialen Anarchie, die Entwaffnung Makedoniens, wo die Nord-
grenze nothwendig einer anderen Wehr als bloſser Posten
bedurfte, endlich die beginnende Grundsteuerentrichtung nach
Rom aus Makedonien und Illyrien sind ebensoviel Anfänge
der nahenden Verwandlung der Clientelstaaten in Unterthanen
Roms.

Werfen wir zum Schluſs einen Blick zurück auf den
von Rom seit der Einigung Italiens bis auf Makedoniens
Zertrümmerung durchmessenen Lauf, so erscheint die römi-
sche Weltherrschaft keineswegs, wie man wohl zu sagen
pflegt, als ein von unersättlicher Ländergier entworfener und
durchgeführter Riesenplan, sondern als ein Ergebniſs, das der
römischen Regierung sich ohne, ja wider ihren Willen aufge-
drungen hat. Es ist offenbar für jede nicht oberflächliche
Betrachtung, daſs man während dieses ganzen Zeitraums
nichts wollte und begehrte als die Herrschaft über Italien,
daſs man bloſs wünschte nicht übermächtige Nachbarn neben
sich zu haben und daſs man, nicht aus Humanität gegen die
Besiegten, sondern in dem sehr richtigen Gefühl den Kern
des Reiches nicht von der Umlage erdrücken zu lassen, sich
sehr ernstlich dagegen stemmte erst Africa, dann Griechenland,
endlich Asien in den Kreis der römischen Clientel hineinzu-
ziehen, bis die Umstände jedesmal die Erweiterung des Kreises
erzwangen oder wenigstens mit unwiderstehlicher Gewalt nahe
legten. Die Römer haben stets behauptet, daſs sie nicht Erobe-
rungspolitik trieben und stets die Angegriffenen gewesen seien;
es ist etwas sehr Wahres darin, denn mit Ausnahme des Krieges
um Sicilien sind zu allen groſsen Kriegen, zu dem hannibalischen
und dem antiochischen und nicht minder zu denen mit Philippos
und Perseus, sie entweder durch einen unmittelbaren Angriff oder
durch eine unerhörte Störung der bestehenden politischen Ver-
hältnisse genöthigt und daher auch in der Regel von ihrem
Ausbruch überrascht worden. Daſs sie sich nicht so gemä-
ſsigt haben, wie sie vor allem im eigenen Interesse Italiens
es hätten thun sollen, daſs zum Beispiel die Festhaltung Spa-
niens, die Feststellung der Tutel über Africa, vor allem der
halb phantastische Plan den Griechen überall die Freiheit zu
bringen, schwere Fehler waren gegen die italische Politik, ist
deutlich genug. Allein die Ursachen davon sind theils die

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[599/0613] DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG. sondern vernichtet ward. Die immer nothwendiger werdende Intervention in die inneren Angelegenheiten der griechischen Kleinstaaten mit ihrer Miſsregierung und ihrer politischen wie socialen Anarchie, die Entwaffnung Makedoniens, wo die Nord- grenze nothwendig einer anderen Wehr als bloſser Posten bedurfte, endlich die beginnende Grundsteuerentrichtung nach Rom aus Makedonien und Illyrien sind ebensoviel Anfänge der nahenden Verwandlung der Clientelstaaten in Unterthanen Roms. Werfen wir zum Schluſs einen Blick zurück auf den von Rom seit der Einigung Italiens bis auf Makedoniens Zertrümmerung durchmessenen Lauf, so erscheint die römi- sche Weltherrschaft keineswegs, wie man wohl zu sagen pflegt, als ein von unersättlicher Ländergier entworfener und durchgeführter Riesenplan, sondern als ein Ergebniſs, das der römischen Regierung sich ohne, ja wider ihren Willen aufge- drungen hat. Es ist offenbar für jede nicht oberflächliche Betrachtung, daſs man während dieses ganzen Zeitraums nichts wollte und begehrte als die Herrschaft über Italien, daſs man bloſs wünschte nicht übermächtige Nachbarn neben sich zu haben und daſs man, nicht aus Humanität gegen die Besiegten, sondern in dem sehr richtigen Gefühl den Kern des Reiches nicht von der Umlage erdrücken zu lassen, sich sehr ernstlich dagegen stemmte erst Africa, dann Griechenland, endlich Asien in den Kreis der römischen Clientel hineinzu- ziehen, bis die Umstände jedesmal die Erweiterung des Kreises erzwangen oder wenigstens mit unwiderstehlicher Gewalt nahe legten. Die Römer haben stets behauptet, daſs sie nicht Erobe- rungspolitik trieben und stets die Angegriffenen gewesen seien; es ist etwas sehr Wahres darin, denn mit Ausnahme des Krieges um Sicilien sind zu allen groſsen Kriegen, zu dem hannibalischen und dem antiochischen und nicht minder zu denen mit Philippos und Perseus, sie entweder durch einen unmittelbaren Angriff oder durch eine unerhörte Störung der bestehenden politischen Ver- hältnisse genöthigt und daher auch in der Regel von ihrem Ausbruch überrascht worden. Daſs sie sich nicht so gemä- ſsigt haben, wie sie vor allem im eigenen Interesse Italiens es hätten thun sollen, daſs zum Beispiel die Festhaltung Spa- niens, die Feststellung der Tutel über Africa, vor allem der halb phantastische Plan den Griechen überall die Freiheit zu bringen, schwere Fehler waren gegen die italische Politik, ist deutlich genug. Allein die Ursachen davon sind theils die

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/613>, abgerufen am 30.04.2024.