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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
andere Seite zu diesem um sich greifenden Cult der auslän-
dischen Mysterien war es denn, dass die Priester der Landes-
religion anfingen für ihre nutzbaren Privilegien zu kämpfen,
zum Beispiel Anspruch machten auf Befreiung von den öffent-
lichen Abgaben und sehr unwillig die Rückstände nachzahl-
ten (558).

Aehnliche Erscheinungen begegnen im politischen Leben,
wo die alte Sitte und die neue Weise gleichfalls oft sich
schroff gegenübertraten. Der wunderlichste und der folgen-
reichste unter den neuen politischen Gedanken dieser Epoche
ist jenes Project einer Emancipation der Hellenen, dessen
schmählicher Schiffbruch früher dargestellt ward; man kann
dies als die fixe Idee der neuen Schule bezeichnen, eben wie
die Karthagerfurcht die fixe Idee der alten gewesen und denn
auch von Cato bis zur Lächerlichkeit gepredigt worden ist.
Ueberall beginnen die alten ehrbaren Gebräuche zu verschwin-
den und was sich sonst von selbst verbot, muss durch Gesetze
untersagt werden. Dahin gehört zum Beispiel, dass auch die,
welche keine Schlachten geschlagen hatten, anfingen sich um
die Ehre des Triumphs zu bewerben (zum Beispiel 574); dass
blutjunge Leute sich zu den höchsten Aemtern drängten, bis
ein Gesetz dagegen erlassen ward; dahin vor allem die immer
mehr überhand nehmende Behandlung der Criminalsachen in
den Volksgerichten nicht nach Recht und Gerechtigkeit, son-
dern nach Gunst und Mitleid. Es kam schon vor, dass einem
Feldherrn, der die ihm auf Treue und Glauben sich ergeben-
den Bundesgenossen wortbrüchig hatte niedermetzeln lassen,
seine eigenen Thränen und die seiner unmündigen Kinder
die Freisprechung verschafften. Wie sehr die Kriegszucht und
der kriegerische Geist des Volkes im Sinken war, bewies der
panische Schreck, der in dem unbedeutenden istrischen Krieg
Heer und Flotte der Römer, ja ganz Italien in einer kaum
glaublichen Weise ergriff (576) und wegen dessen Cato seinen
Landsleuten eine eigene Strafrede hielt; ja im dritten make-
donischen Krieg ward durch die elende Disciplin in der That
schon das Wohl des Staates auf das Spiel gesetzt. Nicht
ganz mit Unrecht wird dies Erschlaffen der Kriegszucht zurück-
geführt auf den Sieger von Zama. Die alte schöne Sitte, dass
der Oberfeldherr des einen Jahres in einem andern wieder
als Stabsoffizier eintrat, wird schon selten; es ist Demonstra-
tion gegen die neue Schule, dass Cato und Flaccus sich in
dieser Art unter Glabrios Oberbefehl stellen. Wie sehr das

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dischen Mysterien war es denn, daſs die Priester der Landes-
religion anfingen für ihre nutzbaren Privilegien zu kämpfen,
zum Beispiel Anspruch machten auf Befreiung von den öffent-
lichen Abgaben und sehr unwillig die Rückstände nachzahl-
ten (558).

Aehnliche Erscheinungen begegnen im politischen Leben,
wo die alte Sitte und die neue Weise gleichfalls oft sich
schroff gegenübertraten. Der wunderlichste und der folgen-
reichste unter den neuen politischen Gedanken dieser Epoche
ist jenes Project einer Emancipation der Hellenen, dessen
schmählicher Schiffbruch früher dargestellt ward; man kann
dies als die fixe Idee der neuen Schule bezeichnen, eben wie
die Karthagerfurcht die fixe Idee der alten gewesen und denn
auch von Cato bis zur Lächerlichkeit gepredigt worden ist.
Ueberall beginnen die alten ehrbaren Gebräuche zu verschwin-
den und was sich sonst von selbst verbot, muſs durch Gesetze
untersagt werden. Dahin gehört zum Beispiel, daſs auch die,
welche keine Schlachten geschlagen hatten, anfingen sich um
die Ehre des Triumphs zu bewerben (zum Beispiel 574); daſs
blutjunge Leute sich zu den höchsten Aemtern drängten, bis
ein Gesetz dagegen erlassen ward; dahin vor allem die immer
mehr überhand nehmende Behandlung der Criminalsachen in
den Volksgerichten nicht nach Recht und Gerechtigkeit, son-
dern nach Gunst und Mitleid. Es kam schon vor, daſs einem
Feldherrn, der die ihm auf Treue und Glauben sich ergeben-
den Bundesgenossen wortbrüchig hatte niedermetzeln lassen,
seine eigenen Thränen und die seiner unmündigen Kinder
die Freisprechung verschafften. Wie sehr die Kriegszucht und
der kriegerische Geist des Volkes im Sinken war, bewies der
panische Schreck, der in dem unbedeutenden istrischen Krieg
Heer und Flotte der Römer, ja ganz Italien in einer kaum
glaublichen Weise ergriff (576) und wegen dessen Cato seinen
Landsleuten eine eigene Strafrede hielt; ja im dritten make-
donischen Krieg ward durch die elende Disciplin in der That
schon das Wohl des Staates auf das Spiel gesetzt. Nicht
ganz mit Unrecht wird dies Erschlaffen der Kriegszucht zurück-
geführt auf den Sieger von Zama. Die alte schöne Sitte, daſs
der Oberfeldherr des einen Jahres in einem andern wieder
als Stabsoffizier eintrat, wird schon selten; es ist Demonstra-
tion gegen die neue Schule, daſs Cato und Flaccus sich in
dieser Art unter Glabrios Oberbefehl stellen. Wie sehr das

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[640/0654] DRITTES BUCH. KAPITEL XI. andere Seite zu diesem um sich greifenden Cult der auslän- dischen Mysterien war es denn, daſs die Priester der Landes- religion anfingen für ihre nutzbaren Privilegien zu kämpfen, zum Beispiel Anspruch machten auf Befreiung von den öffent- lichen Abgaben und sehr unwillig die Rückstände nachzahl- ten (558). Aehnliche Erscheinungen begegnen im politischen Leben, wo die alte Sitte und die neue Weise gleichfalls oft sich schroff gegenübertraten. Der wunderlichste und der folgen- reichste unter den neuen politischen Gedanken dieser Epoche ist jenes Project einer Emancipation der Hellenen, dessen schmählicher Schiffbruch früher dargestellt ward; man kann dies als die fixe Idee der neuen Schule bezeichnen, eben wie die Karthagerfurcht die fixe Idee der alten gewesen und denn auch von Cato bis zur Lächerlichkeit gepredigt worden ist. Ueberall beginnen die alten ehrbaren Gebräuche zu verschwin- den und was sich sonst von selbst verbot, muſs durch Gesetze untersagt werden. Dahin gehört zum Beispiel, daſs auch die, welche keine Schlachten geschlagen hatten, anfingen sich um die Ehre des Triumphs zu bewerben (zum Beispiel 574); daſs blutjunge Leute sich zu den höchsten Aemtern drängten, bis ein Gesetz dagegen erlassen ward; dahin vor allem die immer mehr überhand nehmende Behandlung der Criminalsachen in den Volksgerichten nicht nach Recht und Gerechtigkeit, son- dern nach Gunst und Mitleid. Es kam schon vor, daſs einem Feldherrn, der die ihm auf Treue und Glauben sich ergeben- den Bundesgenossen wortbrüchig hatte niedermetzeln lassen, seine eigenen Thränen und die seiner unmündigen Kinder die Freisprechung verschafften. Wie sehr die Kriegszucht und der kriegerische Geist des Volkes im Sinken war, bewies der panische Schreck, der in dem unbedeutenden istrischen Krieg Heer und Flotte der Römer, ja ganz Italien in einer kaum glaublichen Weise ergriff (576) und wegen dessen Cato seinen Landsleuten eine eigene Strafrede hielt; ja im dritten make- donischen Krieg ward durch die elende Disciplin in der That schon das Wohl des Staates auf das Spiel gesetzt. Nicht ganz mit Unrecht wird dies Erschlaffen der Kriegszucht zurück- geführt auf den Sieger von Zama. Die alte schöne Sitte, daſs der Oberfeldherr des einen Jahres in einem andern wieder als Stabsoffizier eintrat, wird schon selten; es ist Demonstra- tion gegen die neue Schule, daſs Cato und Flaccus sich in dieser Art unter Glabrios Oberbefehl stellen. Wie sehr das

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 640. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/654>, abgerufen am 30.04.2024.