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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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dreihundert Reiter, die dreitausend Fusssoldaten im Ganzen
repräsentirten, ohne dass im Einzelnen die Rathsherrn- oder
Ritterstelle dem Geschlecht entsprochen oder der factische
Bestand der Geschlechter wirklich dreihundert gewesen wäre.
Wie die Geschlechtsgenossenschaften selbst zugleich Markge-
nossenschaften waren, scheinen auch die Curien und die
Tribus zugleich Eintheilung der Bürger und der Feldmark
gewesen zu sein; unter den wenigen Curiennamen, die wir
kennen, finden sich theils gentilicische Bezeichnungen, zum
Beispiel Titia, theils locale, zum Beispiel Veliensis. Standes-
vorzüge innerhalb der Bürgerschaften bestanden nicht. Aller-
dings behaupteten die Ramner, als der älteste Theil der Ge-
meinde, überall wo die ,Theile' auftraten, die erste Stelle und
ebenso unterschied man von den ,Altbürgern' (maiores gentes),
das heisst denjenigen Geschlechtern, deren Aufnahme in die
Bürgerschaft nicht mehr nachzuweisen war, die ,Neubürger'
(minores gentes), deren Reception, wie zum Beispiel die der
albischen Geschlechter, auf ein noch bekanntes Ereigniss zu-
rückgeführt werden konnte. Allein rechtliche Folgen knüpften
sich keine an diesen thatsächlichen Unterschied; der Neubür-
ger stand politisch dem Altbürger völlig gleich und wie dieser
dem Nichtbürger schroff gegenüber. -- Die Bürgerschaft hatte
allein das Recht und die Pflicht die Waffen zu tragen; sie ist
die ,Kriegerschaft' (populus, populari brandschatzen; popa
der Schlächter), und ,Lanzenmänner' (quirites) heisst sie der
König, wenn er zu ihnen redet. Zum Angriffsheere, der ,Lese'
(legio) stellt jeder Theil gleich viel Reiter (celeres) und Fuss-
volk, von jenen hundert (centuria), von diesen tausend (milites
von mille und ire), so dass drei Centurien der Reiter, drei
Tausendschaften der Fussgänger, jene unter dem Abtheilungs-
führer der Reiter (tribunus celerum), diese unter denen der
Fussgänger (tribuni militum) das Kriegsheer bilden. Bei der
steigenden Zahl und Kraft des Staates ward es möglich die
Reiterei zu verdoppeln, so dass seitdem jeder Theil zwei
Centurien stellte; ob zugleich eine entsprechende Vermehrung
des Fussvolks stattfand, wissen wir nicht. -- Wenn die Bür-
gerschaft sich versammelte, erschienen bei der ,Zusammen-
kunft' (com-itia) alle Gemeindeglieder mit Ausnahme der Wei-
ber und der noch nicht waffenfähigen Kinder und traten nicht
in den militärischen Abtheilungen, sondern nach Curien zu-
sammen. Sie traten zusammen nicht wann es ihnen beliebte
noch zu gesetzten Fristen, sondern wenn der König die Bürger

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dreihundert Reiter, die dreitausend Fuſssoldaten im Ganzen
repräsentirten, ohne dass im Einzelnen die Rathsherrn- oder
Ritterstelle dem Geschlecht entsprochen oder der factische
Bestand der Geschlechter wirklich dreihundert gewesen wäre.
Wie die Geschlechtsgenossenschaften selbst zugleich Markge-
nossenschaften waren, scheinen auch die Curien und die
Tribus zugleich Eintheilung der Bürger und der Feldmark
gewesen zu sein; unter den wenigen Curiennamen, die wir
kennen, finden sich theils gentilicische Bezeichnungen, zum
Beispiel Titia, theils locale, zum Beispiel Veliensis. Standes-
vorzüge innerhalb der Bürgerschaften bestanden nicht. Aller-
dings behaupteten die Ramner, als der älteste Theil der Ge-
meinde, überall wo die ‚Theile‘ auftraten, die erste Stelle und
ebenso unterschied man von den ‚Altbürgern‘ (maiores gentes),
das heiſst denjenigen Geschlechtern, deren Aufnahme in die
Bürgerschaft nicht mehr nachzuweisen war, die ‚Neubürger‘
(minores gentes), deren Reception, wie zum Beispiel die der
albischen Geschlechter, auf ein noch bekanntes Ereigniſs zu-
rückgeführt werden konnte. Allein rechtliche Folgen knüpften
sich keine an diesen thatsächlichen Unterschied; der Neubür-
ger stand politisch dem Altbürger völlig gleich und wie dieser
dem Nichtbürger schroff gegenüber. — Die Bürgerschaft hatte
allein das Recht und die Pflicht die Waffen zu tragen; sie ist
die ‚Kriegerschaft‘ (populus, populari brandschatzen; popa
der Schlächter), und ‚Lanzenmänner‘ (quirites) heiſst sie der
König, wenn er zu ihnen redet. Zum Angriffsheere, der ‚Lese‘
(legio) stellt jeder Theil gleich viel Reiter (celeres) und Fuſs-
volk, von jenen hundert (centuria), von diesen tausend (milites
von mille und ire), so daſs drei Centurien der Reiter, drei
Tausendschaften der Fuſsgänger, jene unter dem Abtheilungs-
führer der Reiter (tribunus celerum), diese unter denen der
Fussgänger (tribuni militum) das Kriegsheer bilden. Bei der
steigenden Zahl und Kraft des Staates ward es möglich die
Reiterei zu verdoppeln, so daſs seitdem jeder Theil zwei
Centurien stellte; ob zugleich eine entsprechende Vermehrung
des Fuſsvolks stattfand, wissen wir nicht. — Wenn die Bür-
gerschaft sich versammelte, erschienen bei der ‚Zusammen-
kunft‘ (com-itia) alle Gemeindeglieder mit Ausnahme der Wei-
ber und der noch nicht waffenfähigen Kinder und traten nicht
in den militärischen Abtheilungen, sondern nach Curien zu-
sammen. Sie traten zusammen nicht wann es ihnen beliebte
noch zu gesetzten Fristen, sondern wenn der König die Bürger

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[59/0073] URSPRUENGLICHE VERFASSUNG ROMS. dreihundert Reiter, die dreitausend Fuſssoldaten im Ganzen repräsentirten, ohne dass im Einzelnen die Rathsherrn- oder Ritterstelle dem Geschlecht entsprochen oder der factische Bestand der Geschlechter wirklich dreihundert gewesen wäre. Wie die Geschlechtsgenossenschaften selbst zugleich Markge- nossenschaften waren, scheinen auch die Curien und die Tribus zugleich Eintheilung der Bürger und der Feldmark gewesen zu sein; unter den wenigen Curiennamen, die wir kennen, finden sich theils gentilicische Bezeichnungen, zum Beispiel Titia, theils locale, zum Beispiel Veliensis. Standes- vorzüge innerhalb der Bürgerschaften bestanden nicht. Aller- dings behaupteten die Ramner, als der älteste Theil der Ge- meinde, überall wo die ‚Theile‘ auftraten, die erste Stelle und ebenso unterschied man von den ‚Altbürgern‘ (maiores gentes), das heiſst denjenigen Geschlechtern, deren Aufnahme in die Bürgerschaft nicht mehr nachzuweisen war, die ‚Neubürger‘ (minores gentes), deren Reception, wie zum Beispiel die der albischen Geschlechter, auf ein noch bekanntes Ereigniſs zu- rückgeführt werden konnte. Allein rechtliche Folgen knüpften sich keine an diesen thatsächlichen Unterschied; der Neubür- ger stand politisch dem Altbürger völlig gleich und wie dieser dem Nichtbürger schroff gegenüber. — Die Bürgerschaft hatte allein das Recht und die Pflicht die Waffen zu tragen; sie ist die ‚Kriegerschaft‘ (populus, populari brandschatzen; popa der Schlächter), und ‚Lanzenmänner‘ (quirites) heiſst sie der König, wenn er zu ihnen redet. Zum Angriffsheere, der ‚Lese‘ (legio) stellt jeder Theil gleich viel Reiter (celeres) und Fuſs- volk, von jenen hundert (centuria), von diesen tausend (milites von mille und ire), so daſs drei Centurien der Reiter, drei Tausendschaften der Fuſsgänger, jene unter dem Abtheilungs- führer der Reiter (tribunus celerum), diese unter denen der Fussgänger (tribuni militum) das Kriegsheer bilden. Bei der steigenden Zahl und Kraft des Staates ward es möglich die Reiterei zu verdoppeln, so daſs seitdem jeder Theil zwei Centurien stellte; ob zugleich eine entsprechende Vermehrung des Fuſsvolks stattfand, wissen wir nicht. — Wenn die Bür- gerschaft sich versammelte, erschienen bei der ‚Zusammen- kunft‘ (com-itia) alle Gemeindeglieder mit Ausnahme der Wei- ber und der noch nicht waffenfähigen Kinder und traten nicht in den militärischen Abtheilungen, sondern nach Curien zu- sammen. Sie traten zusammen nicht wann es ihnen beliebte noch zu gesetzten Fristen, sondern wenn der König die Bürger

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/73>, abgerufen am 29.04.2024.