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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ANFAENGE DER SAMNITEN.
Abruzzen scheint die scharfe Sonderung der Bergthäler eine
strenge Abgeschlossenheit der einzelnen Cantone hervorgerufen
zu haben, sowohl unter sich wie gegen das Ausland; woher
es kommt, dass diese Bergcantone in geringem Zusammen-
hang unter sich und in völliger Isolirung gegen das übrige
Italien verharrt und trotz der Tapferkeit ihrer Bewohner we-
niger als irgend ein anderer Theil der italischen Nation in
die Entwicklung der Geschichte der Halbinsel eingegriffen
haben. Dagegen ist das Volk Samniten in dem östlichen Stamm
der Italiker ebenso entschieden der Höhepunkt der politischen
Entwicklung wie in dem westlichen das latinische. Seit früher
Zeit, vielleicht von der ersten Einwanderung an umschloss ein
festes politisches Band diese Nation und gab ihr die Kraft
später mit Rom um den ersten Platz in Italien in ebenbür-
tigem Kampf zu ringen. Wie das Band geknüpft ward, wissen
wir ebenso wenig als wir die Organisation dieser Einigung
nachweisen können; das aber ist klar, dass darin keine ein-
zelne Gemeinde überwog und noch weniger ein städtischer
Mittelpunkt den samnitischen Stamm zusammenhielt wie Rom
den latinischen, sondern dass die Kraft des Landes in den
einzelnen Bauerschaften, die Gewalt in der aus ihren Vertre-
tern gebildeten Versammlung liegt, die erforderlichen Falls
den Bundesfeldherrn ernannte. Damit hängt es zusammen,
dass die Politik dieser Eidgenossenschaft nicht aggressiv ist,
sondern sich beschränkt auf die Vertheidigung der Grenzen;
nur im Einheitsstaat ist die Kraft so concentrirt, die Leiden-
schaft so mächtig, dass die Erweiterung der Grenzen plan-
mässig verfolgt wird. Was die Römer gewannen, erwarb der
Staat; was die Samniten besetzten, das eroberten freiwillige
Schaaren, die auf Landraub ausgingen und von der Heimath
im Glück wie im Unglück preisgegeben waren. Die ganze
Geschichte der beiden Völker ist vorgezeichnet in ihrem dia-
metral auseinander gehenden Colonisationssystem. Doch gehö-
ren die Eroberungen, welche die Samniten im südlichen und
südwestlichen Italien machten, erst einer späteren Periode an;
in der Epoche, während die Könige in Rom herrschten, schei-
nen die Samniten selbst erst die Sitze sich gewonnen zu haben,
in denen wir später sie finden. Als ein einzelnes Ereigniss
aus dem Kreise dieser Völkerbewegungen ist der Ueberfall von
Kyme durch Tyrrhener vom obern Meer, Umbrer und Dau-
nier im Jahre der Stadt 234 (Ol. 64) zu erwähnen; es mö-
gen sich, wenn man den allerdings sehr romantisch gefärbten

ANFAENGE DER SAMNITEN.
Abruzzen scheint die scharfe Sonderung der Bergthäler eine
strenge Abgeschlossenheit der einzelnen Cantone hervorgerufen
zu haben, sowohl unter sich wie gegen das Ausland; woher
es kommt, daſs diese Bergcantone in geringem Zusammen-
hang unter sich und in völliger Isolirung gegen das übrige
Italien verharrt und trotz der Tapferkeit ihrer Bewohner we-
niger als irgend ein anderer Theil der italischen Nation in
die Entwicklung der Geschichte der Halbinsel eingegriffen
haben. Dagegen ist das Volk Samniten in dem östlichen Stamm
der Italiker ebenso entschieden der Höhepunkt der politischen
Entwicklung wie in dem westlichen das latinische. Seit früher
Zeit, vielleicht von der ersten Einwanderung an umschloſs ein
festes politisches Band diese Nation und gab ihr die Kraft
später mit Rom um den ersten Platz in Italien in ebenbür-
tigem Kampf zu ringen. Wie das Band geknüpft ward, wissen
wir ebenso wenig als wir die Organisation dieser Einigung
nachweisen können; das aber ist klar, daſs darin keine ein-
zelne Gemeinde überwog und noch weniger ein städtischer
Mittelpunkt den samnitischen Stamm zusammenhielt wie Rom
den latinischen, sondern daſs die Kraft des Landes in den
einzelnen Bauerschaften, die Gewalt in der aus ihren Vertre-
tern gebildeten Versammlung liegt, die erforderlichen Falls
den Bundesfeldherrn ernannte. Damit hängt es zusammen,
daſs die Politik dieser Eidgenossenschaft nicht aggressiv ist,
sondern sich beschränkt auf die Vertheidigung der Grenzen;
nur im Einheitsstaat ist die Kraft so concentrirt, die Leiden-
schaft so mächtig, daſs die Erweiterung der Grenzen plan-
mäſsig verfolgt wird. Was die Römer gewannen, erwarb der
Staat; was die Samniten besetzten, das eroberten freiwillige
Schaaren, die auf Landraub ausgingen und von der Heimath
im Glück wie im Unglück preisgegeben waren. Die ganze
Geschichte der beiden Völker ist vorgezeichnet in ihrem dia-
metral auseinander gehenden Colonisationssystem. Doch gehö-
ren die Eroberungen, welche die Samniten im südlichen und
südwestlichen Italien machten, erst einer späteren Periode an;
in der Epoche, während die Könige in Rom herrschten, schei-
nen die Samniten selbst erst die Sitze sich gewonnen zu haben,
in denen wir später sie finden. Als ein einzelnes Ereigniſs
aus dem Kreise dieser Völkerbewegungen ist der Ueberfall von
Kyme durch Tyrrhener vom obern Meer, Umbrer und Dau-
nier im Jahre der Stadt 234 (Ol. 64) zu erwähnen; es mö-
gen sich, wenn man den allerdings sehr romantisch gefärbten

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[77/0091] ANFAENGE DER SAMNITEN. Abruzzen scheint die scharfe Sonderung der Bergthäler eine strenge Abgeschlossenheit der einzelnen Cantone hervorgerufen zu haben, sowohl unter sich wie gegen das Ausland; woher es kommt, daſs diese Bergcantone in geringem Zusammen- hang unter sich und in völliger Isolirung gegen das übrige Italien verharrt und trotz der Tapferkeit ihrer Bewohner we- niger als irgend ein anderer Theil der italischen Nation in die Entwicklung der Geschichte der Halbinsel eingegriffen haben. Dagegen ist das Volk Samniten in dem östlichen Stamm der Italiker ebenso entschieden der Höhepunkt der politischen Entwicklung wie in dem westlichen das latinische. Seit früher Zeit, vielleicht von der ersten Einwanderung an umschloſs ein festes politisches Band diese Nation und gab ihr die Kraft später mit Rom um den ersten Platz in Italien in ebenbür- tigem Kampf zu ringen. Wie das Band geknüpft ward, wissen wir ebenso wenig als wir die Organisation dieser Einigung nachweisen können; das aber ist klar, daſs darin keine ein- zelne Gemeinde überwog und noch weniger ein städtischer Mittelpunkt den samnitischen Stamm zusammenhielt wie Rom den latinischen, sondern daſs die Kraft des Landes in den einzelnen Bauerschaften, die Gewalt in der aus ihren Vertre- tern gebildeten Versammlung liegt, die erforderlichen Falls den Bundesfeldherrn ernannte. Damit hängt es zusammen, daſs die Politik dieser Eidgenossenschaft nicht aggressiv ist, sondern sich beschränkt auf die Vertheidigung der Grenzen; nur im Einheitsstaat ist die Kraft so concentrirt, die Leiden- schaft so mächtig, daſs die Erweiterung der Grenzen plan- mäſsig verfolgt wird. Was die Römer gewannen, erwarb der Staat; was die Samniten besetzten, das eroberten freiwillige Schaaren, die auf Landraub ausgingen und von der Heimath im Glück wie im Unglück preisgegeben waren. Die ganze Geschichte der beiden Völker ist vorgezeichnet in ihrem dia- metral auseinander gehenden Colonisationssystem. Doch gehö- ren die Eroberungen, welche die Samniten im südlichen und südwestlichen Italien machten, erst einer späteren Periode an; in der Epoche, während die Könige in Rom herrschten, schei- nen die Samniten selbst erst die Sitze sich gewonnen zu haben, in denen wir später sie finden. Als ein einzelnes Ereigniſs aus dem Kreise dieser Völkerbewegungen ist der Ueberfall von Kyme durch Tyrrhener vom obern Meer, Umbrer und Dau- nier im Jahre der Stadt 234 (Ol. 64) zu erwähnen; es mö- gen sich, wenn man den allerdings sehr romantisch gefärbten

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/91>, abgerufen am 29.04.2024.