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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL IX.
sonanten fast ohne Ausnahme vermieden *. Dieses weiche
klangvolle Idiom ward allmählich durch Abwerfen der vocali-
schen und consonantischen Endungen und durch Abschwächen
oder Ausstossen der Vocale in eine unerträglich harte und
rauhe Sprache verwandelt **; so machte man zum Beispiel
ramtha aus ramuthaf, Tarchnaf aus Tarquinius, Menrva aus
Minerva, Menle, Pultuke, Elchfentre aus Menelaos, Polydeukes,
Alexandros. Wie dumpf und rauh die Aussprache war, zeigt
am deutlichsten, dass o und u, b und p, c und g, d und t
den Etruskern schon in sehr früher Zeit zusammenfielen,
während sich wie im Lateinischen und in den rauheren grie-
chischen Dialekten der Accent auf die Anfangssylbe zurückzog.
Aehnlich erging es mit den aspirirten Consonanten; während
die Italiker sie wegwarfen mit Ausnahme des aspirirten b oder
des f und die Griechen umgekehrt mit Ausnahme dieses
Lautes die übrigen th ph kh beibehielten, liessen die Etrusker
den weichsten und lieblichsten, das ph gänzlich ausser in Lehn-
wörtern fallen und bedienten sich dagegen der übrigen drei in
ungemeiner Ausdehnung, selbst wo sie nicht hingehörten, wie
zum Beispiel Thetis ihnen Thethis, Telephus Thelaphe, Odysseus
Utuze oder Uthuze heisst. Von den wenigen Wörtern und
Endungen, deren Bedeutung ermittelt ist, entfernen die mei-
sten sich weit von allen griechisch-italischen Analogien; so
die Endung al zur Bezeichnung der Abstammung, häufig als
Metronymikon, wie zum Beispiel Canial auf einer zwiespra-
chigen Inschrift von Chiusi übersetzt wird durch Cainia natus;
die Endung sa bei Frauennamen zur Bezeichnung des Ge-
schlechts, in das sie eingeheirathet haben: Lecnesa zum Bei-
spiel Gattin eines Licinius; die Namensendung enna, wie zum
Beispiel Vivenna, Spurinna den römischen Vibius oder Vibie-
nus
und Spurius zu entsprechen scheinen; clan mit dem Ca-
sus clensi ist Sohn; sekh Tochter; ril Jahr; der Gott Hermes
ist Turms, Aphrodite Turan, Hephaestos Sethlans, Bakchos
Fufluns, Helios und Eos Usil. Neben diesen fremdartigen
Formen und Lauten finden sich allerdings einzelne Analogien
zwischen dem Etruskischen und dem Latein; aber manches

* Dahin gehören zum Beispiel Inschriften caeritischer Thongefässe wie: mi-
nicethumamimathumaramlisiaithipurenaietheeruisieepanaminethunastavhelefu
oder:
mi ramuthaf kaiufinaia.
** Wie die Sprache jetzt klingen mochte, davon kann einen Begriff ge-
ben zum Beispiel der Anfang der grossen perusiner Inschrift: eulat tanna
larezul amevakhr lautn velthinase stlaafunas slelethcaru.

ERSTES BUCH. KAPITEL IX.
sonanten fast ohne Ausnahme vermieden *. Dieses weiche
klangvolle Idiom ward allmählich durch Abwerfen der vocali-
schen und consonantischen Endungen und durch Abschwächen
oder Ausstoſsen der Vocale in eine unerträglich harte und
rauhe Sprache verwandelt **; so machte man zum Beispiel
ramϑa aus ramuϑaf, Tarchnaf aus Tarquinius, Menrva aus
Minerva, Menle, Pultuke, Elchfentre aus Menelaos, Polydeukes,
Alexandros. Wie dumpf und rauh die Aussprache war, zeigt
am deutlichsten, daſs o und u, b und p, c und g, d und t
den Etruskern schon in sehr früher Zeit zusammenfielen,
während sich wie im Lateinischen und in den rauheren grie-
chischen Dialekten der Accent auf die Anfangssylbe zurückzog.
Aehnlich erging es mit den aspirirten Consonanten; während
die Italiker sie wegwarfen mit Ausnahme des aspirirten b oder
des f und die Griechen umgekehrt mit Ausnahme dieses
Lautes die übrigen ϑ φ χ beibehielten, lieſsen die Etrusker
den weichsten und lieblichsten, das φ gänzlich auſser in Lehn-
wörtern fallen und bedienten sich dagegen der übrigen drei in
ungemeiner Ausdehnung, selbst wo sie nicht hingehörten, wie
zum Beispiel Thetis ihnen Thethis, Telephus Thelaphe, Odysseus
Utuze oder Uthuze heiſst. Von den wenigen Wörtern und
Endungen, deren Bedeutung ermittelt ist, entfernen die mei-
sten sich weit von allen griechisch-italischen Analogien; so
die Endung al zur Bezeichnung der Abstammung, häufig als
Metronymikon, wie zum Beispiel Canial auf einer zwiespra-
chigen Inschrift von Chiusi übersetzt wird durch Cainia natus;
die Endung sa bei Frauennamen zur Bezeichnung des Ge-
schlechts, in das sie eingeheirathet haben: Lecnesa zum Bei-
spiel Gattin eines Licinius; die Namensendung enna, wie zum
Beispiel Vivenna, Spurinna den römischen Vibius oder Vibie-
nus
und Spurius zu entsprechen scheinen; clan mit dem Ca-
sus clensi ist Sohn; seχ Tochter; ril Jahr; der Gott Hermes
ist Turms, Aphrodite Turan, Hephaestos Sethlans, Bakchos
Fufluns, Helios und Eos Usil. Neben diesen fremdartigen
Formen und Lauten finden sich allerdings einzelne Analogien
zwischen dem Etruskischen und dem Latein; aber manches

* Dahin gehören zum Beispiel Inschriften caeritischer Thongefäſse wie: mi-
niceϑumamimaϑumaramlisiaiϑipurenaieϑeeruisieepanamineϑunastavhelefu
oder:
mi ramuϑaf kaiufinaia.
** Wie die Sprache jetzt klingen mochte, davon kann einen Begriff ge-
ben zum Beispiel der Anfang der groſsen perusiner Inschrift: eulat tanna
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[80/0094] ERSTES BUCH. KAPITEL IX. sonanten fast ohne Ausnahme vermieden *. Dieses weiche klangvolle Idiom ward allmählich durch Abwerfen der vocali- schen und consonantischen Endungen und durch Abschwächen oder Ausstoſsen der Vocale in eine unerträglich harte und rauhe Sprache verwandelt **; so machte man zum Beispiel ramϑa aus ramuϑaf, Tarchnaf aus Tarquinius, Menrva aus Minerva, Menle, Pultuke, Elchfentre aus Menelaos, Polydeukes, Alexandros. Wie dumpf und rauh die Aussprache war, zeigt am deutlichsten, daſs o und u, b und p, c und g, d und t den Etruskern schon in sehr früher Zeit zusammenfielen, während sich wie im Lateinischen und in den rauheren grie- chischen Dialekten der Accent auf die Anfangssylbe zurückzog. Aehnlich erging es mit den aspirirten Consonanten; während die Italiker sie wegwarfen mit Ausnahme des aspirirten b oder des f und die Griechen umgekehrt mit Ausnahme dieses Lautes die übrigen ϑ φ χ beibehielten, lieſsen die Etrusker den weichsten und lieblichsten, das φ gänzlich auſser in Lehn- wörtern fallen und bedienten sich dagegen der übrigen drei in ungemeiner Ausdehnung, selbst wo sie nicht hingehörten, wie zum Beispiel Thetis ihnen Thethis, Telephus Thelaphe, Odysseus Utuze oder Uthuze heiſst. Von den wenigen Wörtern und Endungen, deren Bedeutung ermittelt ist, entfernen die mei- sten sich weit von allen griechisch-italischen Analogien; so die Endung al zur Bezeichnung der Abstammung, häufig als Metronymikon, wie zum Beispiel Canial auf einer zwiespra- chigen Inschrift von Chiusi übersetzt wird durch Cainia natus; die Endung sa bei Frauennamen zur Bezeichnung des Ge- schlechts, in das sie eingeheirathet haben: Lecnesa zum Bei- spiel Gattin eines Licinius; die Namensendung enna, wie zum Beispiel Vivenna, Spurinna den römischen Vibius oder Vibie- nus und Spurius zu entsprechen scheinen; clan mit dem Ca- sus clensi ist Sohn; seχ Tochter; ril Jahr; der Gott Hermes ist Turms, Aphrodite Turan, Hephaestos Sethlans, Bakchos Fufluns, Helios und Eos Usil. Neben diesen fremdartigen Formen und Lauten finden sich allerdings einzelne Analogien zwischen dem Etruskischen und dem Latein; aber manches * Dahin gehören zum Beispiel Inschriften caeritischer Thongefäſse wie: mi- niceϑumamimaϑumaramlisiaiϑipurenaieϑeeruisieepanamineϑunastavhelefu oder: mi ramuϑaf kaiufinaia. ** Wie die Sprache jetzt klingen mochte, davon kann einen Begriff ge- ben zum Beispiel der Anfang der groſsen perusiner Inschrift: eulat tanna larezul amevaχr lautn velϑinase stlaafunas sleleϑcaru.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/94>, abgerufen am 29.04.2024.