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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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ciren und auch die Möglichkeit künftiger Auftheilung abzuschnei-
den. Freilich wären es zunächst diese Ländereien gewesen, aus
denen die 36000 von Drusus verheissenen neuen Bauerhufen
hätten gebildet werden sollen; allein man sparte sich die Unter-
suchung, wo denn unter dem Monde diese hunderttausende von
Morgen italischen Domaniallands belegen sein möchten, und legte
das livische Colonialgesetz, das seinen Dienst gethan, stillschwei-
gend zu den Acten. Dagegen wurde durch ein Gesetz, das im
Auftrag des Senats der Volkstribun Spurius Thorius durch-
brachte, die gesetzlich immer noch bestehende Landtheilungs-
commission im J. 635 aufgehoben und den Occupanten des Do-
maniallandes ein fester Zins auferlegt, dessen Ertrag dem haupt-
städtischen Pöbel zu Gute kam -- es scheint, indem die
Kornvertheilung zum Theil darauf fundirt ward: noch weiter
gehende Vorschläge, vielleicht eine Steigerung der Getreidespen-
den, wehrte der verständige Volkstribun Gaius Marius ab. Acht
Jahre später (643) geschah der letzte Schritt, indem durch einen
neuen Volksschluss* das occupirte Domanialland geradezu um-
gewandelt ward in zinsfreies Privateigenthum der bisherigen Oc-
cupanten. Man fügte hinzu, dass in Zukunft Domanialland über-
haupt nicht occupirt, sondern entweder verpachtet werden oder als
gemeine Weide offen stehen solle; für den letzten Fall ward durch
Feststellung eines sehr niedrigen Maximum von zehn Stück
Gross- und funfzig Stück Kleinvieh dahin gewirkt, dass nicht
der grosse Heerdenbesitzer den kleinen thatsächlich ausschliesse
-- verständige Bestimmungen, in denen die Schädlichkeit des
Occupationssystems nachträglich officielle Anerkennung fand,
die aber leider erst getroffen wurden, als in Folge dieses Sy-
stems der Staat bereits wesentlich um seine Domanialbesitzun-
gen gekommen war. So war der Hauptzweck erreicht und die
Occupation in Eigenthum verwandelt. Indem die römische Ari-
stokratie also für sich selber sorgte, beschwichtigte sie zugleich
die italischen Bundesgenossen dadurch dass sie denselben an dem
von ihnen und namentlich von ihrer municipalen Aristokratie
genutzten latinischen Domanialland zwar nicht das Eigenthum
verlieh, aber doch das ihnen durch ihre Privilegien verbriefte
Recht daran ungeschmälert wahrte. Die Gegenpartei war in der
üblen Lage, dass in den wichtigsten materiellen Fragen die Inter-

* Es ist grossentheils noch vorhanden und bekannt unter dem jetzt seit
dreihundert Jahren grundlos fortgepflanzten Namen des thorischen Acker-
gesetzes.

VIERTES BUCH. KAPITEL IV.
ciren und auch die Möglichkeit künftiger Auftheilung abzuschnei-
den. Freilich wären es zunächst diese Ländereien gewesen, aus
denen die 36000 von Drusus verheiſsenen neuen Bauerhufen
hätten gebildet werden sollen; allein man sparte sich die Unter-
suchung, wo denn unter dem Monde diese hunderttausende von
Morgen italischen Domaniallands belegen sein möchten, und legte
das livische Colonialgesetz, das seinen Dienst gethan, stillschwei-
gend zu den Acten. Dagegen wurde durch ein Gesetz, das im
Auftrag des Senats der Volkstribun Spurius Thorius durch-
brachte, die gesetzlich immer noch bestehende Landtheilungs-
commission im J. 635 aufgehoben und den Occupanten des Do-
maniallandes ein fester Zins auferlegt, dessen Ertrag dem haupt-
städtischen Pöbel zu Gute kam — es scheint, indem die
Kornvertheilung zum Theil darauf fundirt ward: noch weiter
gehende Vorschläge, vielleicht eine Steigerung der Getreidespen-
den, wehrte der verständige Volkstribun Gaius Marius ab. Acht
Jahre später (643) geschah der letzte Schritt, indem durch einen
neuen Volksschluſs* das occupirte Domanialland geradezu um-
gewandelt ward in zinsfreies Privateigenthum der bisherigen Oc-
cupanten. Man fügte hinzu, daſs in Zukunft Domanialland über-
haupt nicht occupirt, sondern entweder verpachtet werden oder als
gemeine Weide offen stehen solle; für den letzten Fall ward durch
Feststellung eines sehr niedrigen Maximum von zehn Stück
Groſs- und funfzig Stück Kleinvieh dahin gewirkt, daſs nicht
der groſse Heerdenbesitzer den kleinen thatsächlich ausschlieſse
— verständige Bestimmungen, in denen die Schädlichkeit des
Occupationssystems nachträglich officielle Anerkennung fand,
die aber leider erst getroffen wurden, als in Folge dieses Sy-
stems der Staat bereits wesentlich um seine Domanialbesitzun-
gen gekommen war. So war der Hauptzweck erreicht und die
Occupation in Eigenthum verwandelt. Indem die römische Ari-
stokratie also für sich selber sorgte, beschwichtigte sie zugleich
die italischen Bundesgenossen dadurch daſs sie denselben an dem
von ihnen und namentlich von ihrer municipalen Aristokratie
genutzten latinischen Domanialland zwar nicht das Eigenthum
verlieh, aber doch das ihnen durch ihre Privilegien verbriefte
Recht daran ungeschmälert wahrte. Die Gegenpartei war in der
üblen Lage, daſs in den wichtigsten materiellen Fragen die Inter-

* Es ist groſsentheils noch vorhanden und bekannt unter dem jetzt seit
dreihundert Jahren grundlos fortgepflanzten Namen des thorischen Acker-
gesetzes.
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[122/0132] VIERTES BUCH. KAPITEL IV. ciren und auch die Möglichkeit künftiger Auftheilung abzuschnei- den. Freilich wären es zunächst diese Ländereien gewesen, aus denen die 36000 von Drusus verheiſsenen neuen Bauerhufen hätten gebildet werden sollen; allein man sparte sich die Unter- suchung, wo denn unter dem Monde diese hunderttausende von Morgen italischen Domaniallands belegen sein möchten, und legte das livische Colonialgesetz, das seinen Dienst gethan, stillschwei- gend zu den Acten. Dagegen wurde durch ein Gesetz, das im Auftrag des Senats der Volkstribun Spurius Thorius durch- brachte, die gesetzlich immer noch bestehende Landtheilungs- commission im J. 635 aufgehoben und den Occupanten des Do- maniallandes ein fester Zins auferlegt, dessen Ertrag dem haupt- städtischen Pöbel zu Gute kam — es scheint, indem die Kornvertheilung zum Theil darauf fundirt ward: noch weiter gehende Vorschläge, vielleicht eine Steigerung der Getreidespen- den, wehrte der verständige Volkstribun Gaius Marius ab. Acht Jahre später (643) geschah der letzte Schritt, indem durch einen neuen Volksschluſs * das occupirte Domanialland geradezu um- gewandelt ward in zinsfreies Privateigenthum der bisherigen Oc- cupanten. Man fügte hinzu, daſs in Zukunft Domanialland über- haupt nicht occupirt, sondern entweder verpachtet werden oder als gemeine Weide offen stehen solle; für den letzten Fall ward durch Feststellung eines sehr niedrigen Maximum von zehn Stück Groſs- und funfzig Stück Kleinvieh dahin gewirkt, daſs nicht der groſse Heerdenbesitzer den kleinen thatsächlich ausschlieſse — verständige Bestimmungen, in denen die Schädlichkeit des Occupationssystems nachträglich officielle Anerkennung fand, die aber leider erst getroffen wurden, als in Folge dieses Sy- stems der Staat bereits wesentlich um seine Domanialbesitzun- gen gekommen war. So war der Hauptzweck erreicht und die Occupation in Eigenthum verwandelt. Indem die römische Ari- stokratie also für sich selber sorgte, beschwichtigte sie zugleich die italischen Bundesgenossen dadurch daſs sie denselben an dem von ihnen und namentlich von ihrer municipalen Aristokratie genutzten latinischen Domanialland zwar nicht das Eigenthum verlieh, aber doch das ihnen durch ihre Privilegien verbriefte Recht daran ungeschmälert wahrte. Die Gegenpartei war in der üblen Lage, daſs in den wichtigsten materiellen Fragen die Inter- * Es ist groſsentheils noch vorhanden und bekannt unter dem jetzt seit dreihundert Jahren grundlos fortgepflanzten Namen des thorischen Acker- gesetzes.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/132>, abgerufen am 08.05.2024.