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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
hielt; was er aber beabsichtige, ob den Römern den Schwieger-
sohn theuer zu verkaufen oder mit dem Schwiegersohn gemein-
schaftlich den Nationalkrieg aufzunehmen, wussten weder die
Römer noch Jugurtha und vielleicht der König selbst nicht. Dar-
über verliess Metellus die Provinz, die er durch Volksbeschluss
genöthigt worden war seinem ehemaligen Unterfeldherrn, dem
jetzigen Consul Marius abzutreten und dieser übernahm für den
nächsten Feldzug 648 den Oberbefehl. Er verdankte ihn gewis-
sermassen einer Revolution. Im Vertrauen auf seine geleisteten
Dienste und nebenher auf ihm zu Theil gewordene Orakel hatte
er sich entschlossen als Bewerber um das Consulat aufzutreten.
Wenn die Aristokratie die ebenso verfassungsmässige wie sonst
vollkommen gerechtfertigte Bewerbung des tüchtigen durchaus
nicht oppositionell gesinnten Mannes unterstützt hätte, so würde
dabei nichts herausgekommen sein als die Verzeichnung eines
neuen Geschlechts in den consularischen Fasten; statt dessen be-
handelte sie das Begehren eines nicht adlichen Mannes nach dem
Consulat als eine unerhörte und frevelhafte Neuerung -- voll-
kommen wie einst der plebejische Bewerber von den Patriciern
behandelt worden war, nur jetzt ohne jeden formalen Rechts-
grund -- und gab dadurch den vielen erbitterten und misswol-
lenden Leuten eine erwünschte Gelegenheit sich an der Aristo-
kratie zu rächen. Mit spitzen Reden von Metellus verhöhnt --
Marius möge mit seiner Candidatur warten, hiess es, bis Metellus
Sohn, ein bartloser Knabe, mit ihm sich bewerben könne -- und
kaum aufs Ungnädigste im letzten Augenblick entlassen, trat der
tapfere Offizier in der Hauptstadt auf als Consularcandidat für 647.
Hier vergalt er das erlittene Unrecht seinem Feldherrn reich-
lich, indem er vor der gaffenden Menge die Kriegführung und
Verwaltung seines Feldherrn in Africa in einer ebenso unmilitä-
rischen als schmählich unbilligen Weise kritisirte, ja sogar es
nicht verschmähte dem lieben ewig von geheimen höchst uner-
hörten und höchst unzweifelhaften Conspirationen der vorneh-
men Herren munkelnden Pöbel das platte Mährchen aufzutischen,
dass Metellus den Krieg absichtlich verschleppe, um so lange wie
möglich Oberbefehlshaber zu bleiben. Den Gassenbuben leuch-
tete dies vollkommen ein und die gegen den Senat mit Recht er-
bitterte Kaufmannschaft erklärte sich einstimmig für Marius; so
ward er nicht bloss mit ungeheurer Majorität zum Consul ge-
wählt, sondern ihm auch, da das Commando für 647 bereits
Metellus zugesichert war, wenigstens von 648 an der Oberbefehl
im africanischen Krieg durch Volksschluss übertragen. Jetzt trat

Röm. Gesch. II. 10

DIE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
hielt; was er aber beabsichtige, ob den Römern den Schwieger-
sohn theuer zu verkaufen oder mit dem Schwiegersohn gemein-
schaftlich den Nationalkrieg aufzunehmen, wuſsten weder die
Römer noch Jugurtha und vielleicht der König selbst nicht. Dar-
über verlieſs Metellus die Provinz, die er durch Volksbeschluſs
genöthigt worden war seinem ehemaligen Unterfeldherrn, dem
jetzigen Consul Marius abzutreten und dieser übernahm für den
nächsten Feldzug 648 den Oberbefehl. Er verdankte ihn gewis-
sermaſsen einer Revolution. Im Vertrauen auf seine geleisteten
Dienste und nebenher auf ihm zu Theil gewordene Orakel hatte
er sich entschlossen als Bewerber um das Consulat aufzutreten.
Wenn die Aristokratie die ebenso verfassungsmäſsige wie sonst
vollkommen gerechtfertigte Bewerbung des tüchtigen durchaus
nicht oppositionell gesinnten Mannes unterstützt hätte, so würde
dabei nichts herausgekommen sein als die Verzeichnung eines
neuen Geschlechts in den consularischen Fasten; statt dessen be-
handelte sie das Begehren eines nicht adlichen Mannes nach dem
Consulat als eine unerhörte und frevelhafte Neuerung — voll-
kommen wie einst der plebejische Bewerber von den Patriciern
behandelt worden war, nur jetzt ohne jeden formalen Rechts-
grund — und gab dadurch den vielen erbitterten und miſswol-
lenden Leuten eine erwünschte Gelegenheit sich an der Aristo-
kratie zu rächen. Mit spitzen Reden von Metellus verhöhnt —
Marius möge mit seiner Candidatur warten, hieſs es, bis Metellus
Sohn, ein bartloser Knabe, mit ihm sich bewerben könne — und
kaum aufs Ungnädigste im letzten Augenblick entlassen, trat der
tapfere Offizier in der Hauptstadt auf als Consularcandidat für 647.
Hier vergalt er das erlittene Unrecht seinem Feldherrn reich-
lich, indem er vor der gaffenden Menge die Kriegführung und
Verwaltung seines Feldherrn in Africa in einer ebenso unmilitä-
rischen als schmählich unbilligen Weise kritisirte, ja sogar es
nicht verschmähte dem lieben ewig von geheimen höchst uner-
hörten und höchst unzweifelhaften Conspirationen der vorneh-
men Herren munkelnden Pöbel das platte Mährchen aufzutischen,
daſs Metellus den Krieg absichtlich verschleppe, um so lange wie
möglich Oberbefehlshaber zu bleiben. Den Gassenbuben leuch-
tete dies vollkommen ein und die gegen den Senat mit Recht er-
bitterte Kaufmannschaft erklärte sich einstimmig für Marius; so
ward er nicht bloſs mit ungeheurer Majorität zum Consul ge-
wählt, sondern ihm auch, da das Commando für 647 bereits
Metellus zugesichert war, wenigstens von 648 an der Oberbefehl
im africanischen Krieg durch Volksschluſs übertragen. Jetzt trat

Röm. Gesch. II. 10
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[145/0155] DIE RESTAURATIONSHERRSCHAFT. hielt; was er aber beabsichtige, ob den Römern den Schwieger- sohn theuer zu verkaufen oder mit dem Schwiegersohn gemein- schaftlich den Nationalkrieg aufzunehmen, wuſsten weder die Römer noch Jugurtha und vielleicht der König selbst nicht. Dar- über verlieſs Metellus die Provinz, die er durch Volksbeschluſs genöthigt worden war seinem ehemaligen Unterfeldherrn, dem jetzigen Consul Marius abzutreten und dieser übernahm für den nächsten Feldzug 648 den Oberbefehl. Er verdankte ihn gewis- sermaſsen einer Revolution. Im Vertrauen auf seine geleisteten Dienste und nebenher auf ihm zu Theil gewordene Orakel hatte er sich entschlossen als Bewerber um das Consulat aufzutreten. Wenn die Aristokratie die ebenso verfassungsmäſsige wie sonst vollkommen gerechtfertigte Bewerbung des tüchtigen durchaus nicht oppositionell gesinnten Mannes unterstützt hätte, so würde dabei nichts herausgekommen sein als die Verzeichnung eines neuen Geschlechts in den consularischen Fasten; statt dessen be- handelte sie das Begehren eines nicht adlichen Mannes nach dem Consulat als eine unerhörte und frevelhafte Neuerung — voll- kommen wie einst der plebejische Bewerber von den Patriciern behandelt worden war, nur jetzt ohne jeden formalen Rechts- grund — und gab dadurch den vielen erbitterten und miſswol- lenden Leuten eine erwünschte Gelegenheit sich an der Aristo- kratie zu rächen. Mit spitzen Reden von Metellus verhöhnt — Marius möge mit seiner Candidatur warten, hieſs es, bis Metellus Sohn, ein bartloser Knabe, mit ihm sich bewerben könne — und kaum aufs Ungnädigste im letzten Augenblick entlassen, trat der tapfere Offizier in der Hauptstadt auf als Consularcandidat für 647. Hier vergalt er das erlittene Unrecht seinem Feldherrn reich- lich, indem er vor der gaffenden Menge die Kriegführung und Verwaltung seines Feldherrn in Africa in einer ebenso unmilitä- rischen als schmählich unbilligen Weise kritisirte, ja sogar es nicht verschmähte dem lieben ewig von geheimen höchst uner- hörten und höchst unzweifelhaften Conspirationen der vorneh- men Herren munkelnden Pöbel das platte Mährchen aufzutischen, daſs Metellus den Krieg absichtlich verschleppe, um so lange wie möglich Oberbefehlshaber zu bleiben. Den Gassenbuben leuch- tete dies vollkommen ein und die gegen den Senat mit Recht er- bitterte Kaufmannschaft erklärte sich einstimmig für Marius; so ward er nicht bloſs mit ungeheurer Majorität zum Consul ge- wählt, sondern ihm auch, da das Commando für 647 bereits Metellus zugesichert war, wenigstens von 648 an der Oberbefehl im africanischen Krieg durch Volksschluſs übertragen. Jetzt trat Röm. Gesch. II. 10

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/155>, abgerufen am 06.05.2024.