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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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SULPICISCHE REVOLUTION.
der neuen Wahlordnung gewählt werden würden, theils beson-
ders in den mit der Bezwingung der Reste der italischen Insur-
rection beschäftigten Armeen Garantieen gegen einen neuen Sturm
auf die Oligarchie in Italien zurückzulassen. Allein in den Con-
sularcomitien fiel die Wahl nicht auf die von Sulla aufgestellten
Candidaten, sondern neben Gnaeus Octavius, einem allerdings
streng optimatisch gesinnten Mann, auf Lucius Cornelius Cinna,
der zur entschiedensten Opposition gehörte. Vermuthlich war
es hauptsächlich die Capitalistenpartei, die mit dieser Wahl dem
Urheber des Zinsgesetzes vergalt. Sulla nahm die unbequeme
Wahl mit der Erklärung hin, dass es ihn freue die Bürger von
ihrer verfassungsmässigen Wahlfreiheit Gebrauch machen zu se-
hen, und begnügte sich beiden Consuln den Schwur abzuneh-
men auf treue Beobachtung der bestehenden Verfassung. Von
den Armeen kam es vornämlich auf die Nordarmee an, da die
campanische grösstentheils nach Asien abzugehen bestimmt war.
Sulla liess durch Volksschluss das Commando über jene auf sei-
nen treuergebenen Collegen Quintus Rufus übertragen und den
bisherigen Feldherrn Gnaeus Strabo in möglichst schonender
Weise zurückrufen, um so mehr als dieser der Ritterpartei an-
gehörte und seine passive Haltung während der sulpicischen Un-
ruhen der Aristokratie nicht geringe Bedenken erregt hatte. Ru-
fus traf bei dem Heer ein und übernahm an Strabos Stelle den
Oberbefehl; allein wenige Tage nachher ward er von den Solda-
ten erschlagen und Strabo trat wieder zurück in das kaum abge-
gebene Commando. Er galt als der Anstifter des Mordes; gewiss
ist es, dass er ein Mann war, zu dem man solcher That sich ver-
sehen konnte, der die Früchte der Unthat erntete und die wohl-
bekannten Urheber nur mit Worten strafte. Mehr hatte auch
Sulla nicht gethan, als seine Soldaten den Albinus erschlagen
hatten; er liess auch dies hingehen. Als sein Consulat zu Ende
ging, sah sich Sulla einerseits von seinem Nachfolger Cinna ge-
drängt endlich nach Asien abzugehen, wo seine Anwesenheit al-
lerdings dringend Noth that, andrerseits von einem der neuen Tri-
bune vor das Volksgericht geladen; es war dem blödesten Auge
klar, dass ein neuer Sturm sich vorbereitete und dass die Gegner
seine Entfernung wünschten. Sulla hatte die Wahl mit Cinna,
vielleicht mit Strabo es zum Bruche zu treiben und abermals auf
Rom zu marschiren oder die italischen Angelegenheiten gehen zu
lassen wie sie konnten und mochten und nach einem andern Welt-
theil sich zu entfernen. Sulla entschied sich -- ob mehr aus Pa-
triotismus oder mehr aus Indifferenz, wird nie ausgemacht wer-

SULPICISCHE REVOLUTION.
der neuen Wahlordnung gewählt werden würden, theils beson-
ders in den mit der Bezwingung der Reste der italischen Insur-
rection beschäftigten Armeen Garantieen gegen einen neuen Sturm
auf die Oligarchie in Italien zurückzulassen. Allein in den Con-
sularcomitien fiel die Wahl nicht auf die von Sulla aufgestellten
Candidaten, sondern neben Gnaeus Octavius, einem allerdings
streng optimatisch gesinnten Mann, auf Lucius Cornelius Cinna,
der zur entschiedensten Opposition gehörte. Vermuthlich war
es hauptsächlich die Capitalistenpartei, die mit dieser Wahl dem
Urheber des Zinsgesetzes vergalt. Sulla nahm die unbequeme
Wahl mit der Erklärung hin, daſs es ihn freue die Bürger von
ihrer verfassungsmäſsigen Wahlfreiheit Gebrauch machen zu se-
hen, und begnügte sich beiden Consuln den Schwur abzuneh-
men auf treue Beobachtung der bestehenden Verfassung. Von
den Armeen kam es vornämlich auf die Nordarmee an, da die
campanische gröſstentheils nach Asien abzugehen bestimmt war.
Sulla lieſs durch Volksschluſs das Commando über jene auf sei-
nen treuergebenen Collegen Quintus Rufus übertragen und den
bisherigen Feldherrn Gnaeus Strabo in möglichst schonender
Weise zurückrufen, um so mehr als dieser der Ritterpartei an-
gehörte und seine passive Haltung während der sulpicischen Un-
ruhen der Aristokratie nicht geringe Bedenken erregt hatte. Ru-
fus traf bei dem Heer ein und übernahm an Strabos Stelle den
Oberbefehl; allein wenige Tage nachher ward er von den Solda-
ten erschlagen und Strabo trat wieder zurück in das kaum abge-
gebene Commando. Er galt als der Anstifter des Mordes; gewiſs
ist es, daſs er ein Mann war, zu dem man solcher That sich ver-
sehen konnte, der die Früchte der Unthat erntete und die wohl-
bekannten Urheber nur mit Worten strafte. Mehr hatte auch
Sulla nicht gethan, als seine Soldaten den Albinus erschlagen
hatten; er lieſs auch dies hingehen. Als sein Consulat zu Ende
ging, sah sich Sulla einerseits von seinem Nachfolger Cinna ge-
drängt endlich nach Asien abzugehen, wo seine Anwesenheit al-
lerdings dringend Noth that, andrerseits von einem der neuen Tri-
bune vor das Volksgericht geladen; es war dem blödesten Auge
klar, daſs ein neuer Sturm sich vorbereitete und daſs die Gegner
seine Entfernung wünschten. Sulla hatte die Wahl mit Cinna,
vielleicht mit Strabo es zum Bruche zu treiben und abermals auf
Rom zu marschiren oder die italischen Angelegenheiten gehen zu
lassen wie sie konnten und mochten und nach einem andern Welt-
theil sich zu entfernen. Sulla entschied sich — ob mehr aus Pa-
triotismus oder mehr aus Indifferenz, wird nie ausgemacht wer-

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[251/0261] SULPICISCHE REVOLUTION. der neuen Wahlordnung gewählt werden würden, theils beson- ders in den mit der Bezwingung der Reste der italischen Insur- rection beschäftigten Armeen Garantieen gegen einen neuen Sturm auf die Oligarchie in Italien zurückzulassen. Allein in den Con- sularcomitien fiel die Wahl nicht auf die von Sulla aufgestellten Candidaten, sondern neben Gnaeus Octavius, einem allerdings streng optimatisch gesinnten Mann, auf Lucius Cornelius Cinna, der zur entschiedensten Opposition gehörte. Vermuthlich war es hauptsächlich die Capitalistenpartei, die mit dieser Wahl dem Urheber des Zinsgesetzes vergalt. Sulla nahm die unbequeme Wahl mit der Erklärung hin, daſs es ihn freue die Bürger von ihrer verfassungsmäſsigen Wahlfreiheit Gebrauch machen zu se- hen, und begnügte sich beiden Consuln den Schwur abzuneh- men auf treue Beobachtung der bestehenden Verfassung. Von den Armeen kam es vornämlich auf die Nordarmee an, da die campanische gröſstentheils nach Asien abzugehen bestimmt war. Sulla lieſs durch Volksschluſs das Commando über jene auf sei- nen treuergebenen Collegen Quintus Rufus übertragen und den bisherigen Feldherrn Gnaeus Strabo in möglichst schonender Weise zurückrufen, um so mehr als dieser der Ritterpartei an- gehörte und seine passive Haltung während der sulpicischen Un- ruhen der Aristokratie nicht geringe Bedenken erregt hatte. Ru- fus traf bei dem Heer ein und übernahm an Strabos Stelle den Oberbefehl; allein wenige Tage nachher ward er von den Solda- ten erschlagen und Strabo trat wieder zurück in das kaum abge- gebene Commando. Er galt als der Anstifter des Mordes; gewiſs ist es, daſs er ein Mann war, zu dem man solcher That sich ver- sehen konnte, der die Früchte der Unthat erntete und die wohl- bekannten Urheber nur mit Worten strafte. Mehr hatte auch Sulla nicht gethan, als seine Soldaten den Albinus erschlagen hatten; er lieſs auch dies hingehen. Als sein Consulat zu Ende ging, sah sich Sulla einerseits von seinem Nachfolger Cinna ge- drängt endlich nach Asien abzugehen, wo seine Anwesenheit al- lerdings dringend Noth that, andrerseits von einem der neuen Tri- bune vor das Volksgericht geladen; es war dem blödesten Auge klar, daſs ein neuer Sturm sich vorbereitete und daſs die Gegner seine Entfernung wünschten. Sulla hatte die Wahl mit Cinna, vielleicht mit Strabo es zum Bruche zu treiben und abermals auf Rom zu marschiren oder die italischen Angelegenheiten gehen zu lassen wie sie konnten und mochten und nach einem andern Welt- theil sich zu entfernen. Sulla entschied sich — ob mehr aus Pa- triotismus oder mehr aus Indifferenz, wird nie ausgemacht wer-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/261>, abgerufen am 29.04.2024.