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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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Seiten umworben säumten die Geldherren nicht ihre vortheilhafte
Lage sich zu Nutze zu machen und zunächst der Regierung sich
wieder zu nähern. Schon die Beziehungen des Senats zu Crassus
und seiner Clientel gehören in diesen Zusammenhang; haupt-
sächlich aber scheint ein besseres Verhältniss zwischen dem Se-
nat und der Geldaristokratie dadurch hergestellt zu sein, dass
dieser dem tüchtigsten unter den senatorischen Offizieren Lucius
Lucullus auf Andringen der von Lucullus schwer gekränkten Ca-
pitalisten im J. 686 die Verwaltung der für diese so wichtigen
Provinz Asia abnahm (S. 65). Auch das Zugeständniss reservir-
ter Sitze im Theater, das dem Ritterstand jetzt (687) zu Theil
ward, ist von politischer Bedeutung: ähnlich wie der Senat hun-
dertundzwanzig Jahre zuvor durch die Anweisung besonderer
Sitzplätze sich offiziell als bevorrechteten Stand angekündigt
hatte (I, 605), ward hiemit die Ritterschaft als zweite privile-
girte Klasse förmlich anerkannt. -- Während aber die haupt-
städtischen Factionen also mit einander des gewohnten Haders
pflegten, bei dem denn doch nimmermehr eine eigentliche Ent-
scheidung herauskommen konnte, gingen im Osten die Ereig-
nisse ihren verhängnissvollen Gang, wie wir ihn früher geschil-
dert haben, und sie waren es, die den zögernden Verlauf der
hauptstädtischen Politik zur Krise drängten. Der Land- wie der
Seekrieg hatte dort die ungünstigste Wendung genommen. Im
Anfang des J. 687 war die pontische Armee der Römer aufgerie-
ben, die armenische in voller Auflösung auf dem Rückzug, alle
Eroberungen verloren, das Meer ausschliesslich in der Gewalt der
Piraten, die Kornpreise in Italien dadurch so in die Höhe getrie-
ben, dass man eine förmliche Hungersnoth befürchtete. Wohl
hatten, wir wir sahen, diesen Nothstand zum Theil die Fehler
der Feldherren, namentlich die völlige Unfähigkeit des Admirals
Marcus Antonius und die Verwegenheit des sonst tüchtigen Lu-
cius Lucullus, verschuldet; wohl auch die Demokratie durch ihre
Wühlereien zu der Auflösung des armenischen Heeres wesentlich
beigetragen. Aber natürlich ward die Regierung jetzt für alles,
was sie und was Andere verdorben hatten, in Bausch und Bogen
verantwortlich gemacht und die grollende hungrige Menge ver-
langte nur eine Gelegenheit um mit dem Senat abzurechnen.

Es war eine entscheidende Krise. Die Oligarchie, wie man
sie auch herabwürdigen und entwaffnen mochte, stand dennoch
aufrecht, so lange die Verwaltung der öffentlichen Angelegenhei-
ten in ihren Händen blieb. Erst wenn die Gegner diese, das
heisst namentlich die Oberleitung der militärischen Angelegen-

Röm. Gesch. III. 7

STURZ DER OLIGARCHIE.
Seiten umworben säumten die Geldherren nicht ihre vortheilhafte
Lage sich zu Nutze zu machen und zunächst der Regierung sich
wieder zu nähern. Schon die Beziehungen des Senats zu Crassus
und seiner Clientel gehören in diesen Zusammenhang; haupt-
sächlich aber scheint ein besseres Verhältniſs zwischen dem Se-
nat und der Geldaristokratie dadurch hergestellt zu sein, daſs
dieser dem tüchtigsten unter den senatorischen Offizieren Lucius
Lucullus auf Andringen der von Lucullus schwer gekränkten Ca-
pitalisten im J. 686 die Verwaltung der für diese so wichtigen
Provinz Asia abnahm (S. 65). Auch das Zugeständniſs reservir-
ter Sitze im Theater, das dem Ritterstand jetzt (687) zu Theil
ward, ist von politischer Bedeutung: ähnlich wie der Senat hun-
dertundzwanzig Jahre zuvor durch die Anweisung besonderer
Sitzplätze sich offiziell als bevorrechteten Stand angekündigt
hatte (I, 605), ward hiemit die Ritterschaft als zweite privile-
girte Klasse förmlich anerkannt. — Während aber die haupt-
städtischen Factionen also mit einander des gewohnten Haders
pflegten, bei dem denn doch nimmermehr eine eigentliche Ent-
scheidung herauskommen konnte, gingen im Osten die Ereig-
nisse ihren verhängniſsvollen Gang, wie wir ihn früher geschil-
dert haben, und sie waren es, die den zögernden Verlauf der
hauptstädtischen Politik zur Krise drängten. Der Land- wie der
Seekrieg hatte dort die ungünstigste Wendung genommen. Im
Anfang des J. 687 war die pontische Armee der Römer aufgerie-
ben, die armenische in voller Auflösung auf dem Rückzug, alle
Eroberungen verloren, das Meer ausschlieſslich in der Gewalt der
Piraten, die Kornpreise in Italien dadurch so in die Höhe getrie-
ben, daſs man eine förmliche Hungersnoth befürchtete. Wohl
hatten, wir wir sahen, diesen Nothstand zum Theil die Fehler
der Feldherren, namentlich die völlige Unfähigkeit des Admirals
Marcus Antonius und die Verwegenheit des sonst tüchtigen Lu-
cius Lucullus, verschuldet; wohl auch die Demokratie durch ihre
Wühlereien zu der Auflösung des armenischen Heeres wesentlich
beigetragen. Aber natürlich ward die Regierung jetzt für alles,
was sie und was Andere verdorben hatten, in Bausch und Bogen
verantwortlich gemacht und die grollende hungrige Menge ver-
langte nur eine Gelegenheit um mit dem Senat abzurechnen.

Es war eine entscheidende Krise. Die Oligarchie, wie man
sie auch herabwürdigen und entwaffnen mochte, stand dennoch
aufrecht, so lange die Verwaltung der öffentlichen Angelegenhei-
ten in ihren Händen blieb. Erst wenn die Gegner diese, das
heiſst namentlich die Oberleitung der militärischen Angelegen-

Röm. Gesch. III. 7
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[97/0107] STURZ DER OLIGARCHIE. Seiten umworben säumten die Geldherren nicht ihre vortheilhafte Lage sich zu Nutze zu machen und zunächst der Regierung sich wieder zu nähern. Schon die Beziehungen des Senats zu Crassus und seiner Clientel gehören in diesen Zusammenhang; haupt- sächlich aber scheint ein besseres Verhältniſs zwischen dem Se- nat und der Geldaristokratie dadurch hergestellt zu sein, daſs dieser dem tüchtigsten unter den senatorischen Offizieren Lucius Lucullus auf Andringen der von Lucullus schwer gekränkten Ca- pitalisten im J. 686 die Verwaltung der für diese so wichtigen Provinz Asia abnahm (S. 65). Auch das Zugeständniſs reservir- ter Sitze im Theater, das dem Ritterstand jetzt (687) zu Theil ward, ist von politischer Bedeutung: ähnlich wie der Senat hun- dertundzwanzig Jahre zuvor durch die Anweisung besonderer Sitzplätze sich offiziell als bevorrechteten Stand angekündigt hatte (I, 605), ward hiemit die Ritterschaft als zweite privile- girte Klasse förmlich anerkannt. — Während aber die haupt- städtischen Factionen also mit einander des gewohnten Haders pflegten, bei dem denn doch nimmermehr eine eigentliche Ent- scheidung herauskommen konnte, gingen im Osten die Ereig- nisse ihren verhängniſsvollen Gang, wie wir ihn früher geschil- dert haben, und sie waren es, die den zögernden Verlauf der hauptstädtischen Politik zur Krise drängten. Der Land- wie der Seekrieg hatte dort die ungünstigste Wendung genommen. Im Anfang des J. 687 war die pontische Armee der Römer aufgerie- ben, die armenische in voller Auflösung auf dem Rückzug, alle Eroberungen verloren, das Meer ausschlieſslich in der Gewalt der Piraten, die Kornpreise in Italien dadurch so in die Höhe getrie- ben, daſs man eine förmliche Hungersnoth befürchtete. Wohl hatten, wir wir sahen, diesen Nothstand zum Theil die Fehler der Feldherren, namentlich die völlige Unfähigkeit des Admirals Marcus Antonius und die Verwegenheit des sonst tüchtigen Lu- cius Lucullus, verschuldet; wohl auch die Demokratie durch ihre Wühlereien zu der Auflösung des armenischen Heeres wesentlich beigetragen. Aber natürlich ward die Regierung jetzt für alles, was sie und was Andere verdorben hatten, in Bausch und Bogen verantwortlich gemacht und die grollende hungrige Menge ver- langte nur eine Gelegenheit um mit dem Senat abzurechnen. Es war eine entscheidende Krise. Die Oligarchie, wie man sie auch herabwürdigen und entwaffnen mochte, stand dennoch aufrecht, so lange die Verwaltung der öffentlichen Angelegenhei- ten in ihren Händen blieb. Erst wenn die Gegner diese, das heiſst namentlich die Oberleitung der militärischen Angelegen- Röm. Gesch. III. 7

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/107>, abgerufen am 05.05.2024.