Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

FÜNFTES BUCH. KAPITEL III.
Majorität der Aristokratie gegen ihn, den abtrünnigen Sullaner
gesinnt war und welchem Schicksal er entgegenging, wenn er als
Feldherr der Regierung mit der gewöhnlichen Competenz sich
nach dem Osten senden liess. Begreiflich ist er daher, dass der
Feldherr als die erste Bedingung der Uebernahme des Comman-
dos eine vom Senat unabhängige Stellung bezeichnete und dass
die Bürgerschaft bereitwillig darauf einging. Es ist ferner in ho-
hem Grade wahrscheinlich, dass Pompeius diesmal durch seine
Umgebungen, die über sein Zurückweichen vor zwei Jahren ver-
muthlich nicht wenig ungehalten waren, zu rascherem Handeln
fortgerissen ward. Die Gesetzvorschläge über Lucullus Abbe-
rufung und die Expedition gegen die Piraten wurden eingebracht
von dem Volkstribun Aulus Gabinius, einem ökonomisch und
sittlich ruinirten Mann, aber einem gewandten Unterhändler,
einem dreisten Redner und tapferen Soldaten. So wenig ernst-
haft auch Pompeius Betheurungen gemeint waren, dass er den
Oberbefehl in dem Seeräuberkriege durchaus nicht wünsche und
nur nach häuslicher Ruhe sich sehne, so ist doch davon wahr-
scheinlich so viel wahr, dass der kecke und bewegliche Client,
der mit Pompeius und dessen engerem Kreise im vertraulichen
Verkehr stand und die Verhältnisse und die Menschen vollkom-
men durchschaute, seinem kurzsichtigen und unbehülflichen Pa-
tron die Entscheidung zum guten Theil über den Kopf nahm. --
Die Demokratie, wie unzufrieden ihre Führer im Stillen mit die-
sem Streiche sein mochten, konnte doch nicht wohl öffentlich
gegen den Gesetzvorschlag auftreten. Die Durchbringung des-
selben hätte sie allem Anschein nach auf keinen Fall zu hin-
dern vermocht, wohl aber mit Pompeius offen gebrochen und
dadurch ihn genöthigt, entweder der Oligarchie sich zu nähern
oder gar beiden Parteien gegenüber seine persönliche Politik
rücksichtslos zu verfolgen. Es blieb den Demokraten nichts
übrig als ihre Allianz mit Pompeius, wie hohl sie immer war,
auch jetzt noch festzuhalten, und diese Gelegenheit zu ergreifen
um den Senat endlich einmal definitiv zu stürzen und aus der
Opposition in das Regiment überzugehen, das Weitere aber der
Zukunft und des Pompeius wohlbekannter Charakterschwäche zu
überlassen. So unterstützten denn auch ihre Führer, der Prätor
Lucius Quinctius, derselbe der sieben Jahre zuvor für die Wieder-
herstellung der tribunicischen Gewalt thätig gewesen war (S. 87),
und der gewesene Quästor Gaius Caesar die gabinischen Gesetz-
vorschläge. -- Die privilegirten Klassen waren ausser sich, nicht
bloss die Nobilität, sondern ebenso die kaufmännische Aristo-

FÜNFTES BUCH. KAPITEL III.
Majorität der Aristokratie gegen ihn, den abtrünnigen Sullaner
gesinnt war und welchem Schicksal er entgegenging, wenn er als
Feldherr der Regierung mit der gewöhnlichen Competenz sich
nach dem Osten senden lieſs. Begreiflich ist er daher, daſs der
Feldherr als die erste Bedingung der Uebernahme des Comman-
dos eine vom Senat unabhängige Stellung bezeichnete und daſs
die Bürgerschaft bereitwillig darauf einging. Es ist ferner in ho-
hem Grade wahrscheinlich, daſs Pompeius diesmal durch seine
Umgebungen, die über sein Zurückweichen vor zwei Jahren ver-
muthlich nicht wenig ungehalten waren, zu rascherem Handeln
fortgerissen ward. Die Gesetzvorschläge über Lucullus Abbe-
rufung und die Expedition gegen die Piraten wurden eingebracht
von dem Volkstribun Aulus Gabinius, einem ökonomisch und
sittlich ruinirten Mann, aber einem gewandten Unterhändler,
einem dreisten Redner und tapferen Soldaten. So wenig ernst-
haft auch Pompeius Betheurungen gemeint waren, daſs er den
Oberbefehl in dem Seeräuberkriege durchaus nicht wünsche und
nur nach häuslicher Ruhe sich sehne, so ist doch davon wahr-
scheinlich so viel wahr, daſs der kecke und bewegliche Client,
der mit Pompeius und dessen engerem Kreise im vertraulichen
Verkehr stand und die Verhältnisse und die Menschen vollkom-
men durchschaute, seinem kurzsichtigen und unbehülflichen Pa-
tron die Entscheidung zum guten Theil über den Kopf nahm. —
Die Demokratie, wie unzufrieden ihre Führer im Stillen mit die-
sem Streiche sein mochten, konnte doch nicht wohl öffentlich
gegen den Gesetzvorschlag auftreten. Die Durchbringung des-
selben hätte sie allem Anschein nach auf keinen Fall zu hin-
dern vermocht, wohl aber mit Pompeius offen gebrochen und
dadurch ihn genöthigt, entweder der Oligarchie sich zu nähern
oder gar beiden Parteien gegenüber seine persönliche Politik
rücksichtslos zu verfolgen. Es blieb den Demokraten nichts
übrig als ihre Allianz mit Pompeius, wie hohl sie immer war,
auch jetzt noch festzuhalten, und diese Gelegenheit zu ergreifen
um den Senat endlich einmal definitiv zu stürzen und aus der
Opposition in das Regiment überzugehen, das Weitere aber der
Zukunft und des Pompeius wohlbekannter Charakterschwäche zu
überlassen. So unterstützten denn auch ihre Führer, der Prätor
Lucius Quinctius, derselbe der sieben Jahre zuvor für die Wieder-
herstellung der tribunicischen Gewalt thätig gewesen war (S. 87),
und der gewesene Quästor Gaius Caesar die gabinischen Gesetz-
vorschläge. — Die privilegirten Klassen waren auſser sich, nicht
bloſs die Nobilität, sondern ebenso die kaufmännische Aristo-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0112" n="102"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. KAPITEL III.</fw><lb/>
Majorität der Aristokratie gegen ihn, den abtrünnigen Sullaner<lb/>
gesinnt war und welchem Schicksal er entgegenging, wenn er als<lb/>
Feldherr der Regierung mit der gewöhnlichen Competenz sich<lb/>
nach dem Osten senden lie&#x017F;s. Begreiflich ist er daher, da&#x017F;s der<lb/>
Feldherr als die erste Bedingung der Uebernahme des Comman-<lb/>
dos eine vom Senat unabhängige Stellung bezeichnete und da&#x017F;s<lb/>
die Bürgerschaft bereitwillig darauf einging. Es ist ferner in ho-<lb/>
hem Grade wahrscheinlich, da&#x017F;s Pompeius diesmal durch seine<lb/>
Umgebungen, die über sein Zurückweichen vor zwei Jahren ver-<lb/>
muthlich nicht wenig ungehalten waren, zu rascherem Handeln<lb/>
fortgerissen ward. Die Gesetzvorschläge über Lucullus Abbe-<lb/>
rufung und die Expedition gegen die Piraten wurden eingebracht<lb/>
von dem Volkstribun Aulus Gabinius, einem ökonomisch und<lb/>
sittlich ruinirten Mann, aber einem gewandten Unterhändler,<lb/>
einem dreisten Redner und tapferen Soldaten. So wenig ernst-<lb/>
haft auch Pompeius Betheurungen gemeint waren, da&#x017F;s er den<lb/>
Oberbefehl in dem Seeräuberkriege durchaus nicht wünsche und<lb/>
nur nach häuslicher Ruhe sich sehne, so ist doch davon wahr-<lb/>
scheinlich so viel wahr, da&#x017F;s der kecke und bewegliche Client,<lb/>
der mit Pompeius und dessen engerem Kreise im vertraulichen<lb/>
Verkehr stand und die Verhältnisse und die Menschen vollkom-<lb/>
men durchschaute, seinem kurzsichtigen und unbehülflichen Pa-<lb/>
tron die Entscheidung zum guten Theil über den Kopf nahm. &#x2014;<lb/>
Die Demokratie, wie unzufrieden ihre Führer im Stillen mit die-<lb/>
sem Streiche sein mochten, konnte doch nicht wohl öffentlich<lb/>
gegen den Gesetzvorschlag auftreten. Die Durchbringung des-<lb/>
selben hätte sie allem Anschein nach auf keinen Fall zu hin-<lb/>
dern vermocht, wohl aber mit Pompeius offen gebrochen und<lb/>
dadurch ihn genöthigt, entweder der Oligarchie sich zu nähern<lb/>
oder gar beiden Parteien gegenüber seine persönliche Politik<lb/>
rücksichtslos zu verfolgen. Es blieb den Demokraten nichts<lb/>
übrig als ihre Allianz mit Pompeius, wie hohl sie immer war,<lb/>
auch jetzt noch festzuhalten, und diese Gelegenheit zu ergreifen<lb/>
um den Senat endlich einmal definitiv zu stürzen und aus der<lb/>
Opposition in das Regiment überzugehen, das Weitere aber der<lb/>
Zukunft und des Pompeius wohlbekannter Charakterschwäche zu<lb/>
überlassen. So unterstützten denn auch ihre Führer, der Prätor<lb/>
Lucius Quinctius, derselbe der sieben Jahre zuvor für die Wieder-<lb/>
herstellung der tribunicischen Gewalt thätig gewesen war (S. 87),<lb/>
und der gewesene Quästor Gaius Caesar die gabinischen Gesetz-<lb/>
vorschläge. &#x2014; Die privilegirten Klassen waren au&#x017F;ser sich, nicht<lb/>
blo&#x017F;s die Nobilität, sondern ebenso die kaufmännische Aristo-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0112] FÜNFTES BUCH. KAPITEL III. Majorität der Aristokratie gegen ihn, den abtrünnigen Sullaner gesinnt war und welchem Schicksal er entgegenging, wenn er als Feldherr der Regierung mit der gewöhnlichen Competenz sich nach dem Osten senden lieſs. Begreiflich ist er daher, daſs der Feldherr als die erste Bedingung der Uebernahme des Comman- dos eine vom Senat unabhängige Stellung bezeichnete und daſs die Bürgerschaft bereitwillig darauf einging. Es ist ferner in ho- hem Grade wahrscheinlich, daſs Pompeius diesmal durch seine Umgebungen, die über sein Zurückweichen vor zwei Jahren ver- muthlich nicht wenig ungehalten waren, zu rascherem Handeln fortgerissen ward. Die Gesetzvorschläge über Lucullus Abbe- rufung und die Expedition gegen die Piraten wurden eingebracht von dem Volkstribun Aulus Gabinius, einem ökonomisch und sittlich ruinirten Mann, aber einem gewandten Unterhändler, einem dreisten Redner und tapferen Soldaten. So wenig ernst- haft auch Pompeius Betheurungen gemeint waren, daſs er den Oberbefehl in dem Seeräuberkriege durchaus nicht wünsche und nur nach häuslicher Ruhe sich sehne, so ist doch davon wahr- scheinlich so viel wahr, daſs der kecke und bewegliche Client, der mit Pompeius und dessen engerem Kreise im vertraulichen Verkehr stand und die Verhältnisse und die Menschen vollkom- men durchschaute, seinem kurzsichtigen und unbehülflichen Pa- tron die Entscheidung zum guten Theil über den Kopf nahm. — Die Demokratie, wie unzufrieden ihre Führer im Stillen mit die- sem Streiche sein mochten, konnte doch nicht wohl öffentlich gegen den Gesetzvorschlag auftreten. Die Durchbringung des- selben hätte sie allem Anschein nach auf keinen Fall zu hin- dern vermocht, wohl aber mit Pompeius offen gebrochen und dadurch ihn genöthigt, entweder der Oligarchie sich zu nähern oder gar beiden Parteien gegenüber seine persönliche Politik rücksichtslos zu verfolgen. Es blieb den Demokraten nichts übrig als ihre Allianz mit Pompeius, wie hohl sie immer war, auch jetzt noch festzuhalten, und diese Gelegenheit zu ergreifen um den Senat endlich einmal definitiv zu stürzen und aus der Opposition in das Regiment überzugehen, das Weitere aber der Zukunft und des Pompeius wohlbekannter Charakterschwäche zu überlassen. So unterstützten denn auch ihre Führer, der Prätor Lucius Quinctius, derselbe der sieben Jahre zuvor für die Wieder- herstellung der tribunicischen Gewalt thätig gewesen war (S. 87), und der gewesene Quästor Gaius Caesar die gabinischen Gesetz- vorschläge. — Die privilegirten Klassen waren auſser sich, nicht bloſs die Nobilität, sondern ebenso die kaufmännische Aristo-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/112
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/112>, abgerufen am 06.05.2024.