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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
Turner, der noch als Oberoffizier mit seinen Soldaten um die
Wette sprang, lief und hob, ein kräftiger und gewandter Reiter
und Fechter, ein kecker Freischaarenführer, war der Jüngling in
einem Alter, das ihn noch von jedem Amt und vom Senat aus-
schloss, Imperator und Triumphator geworden und hatte nächst
Sulla den ersten Platz in der öffentlichen Meinung, ja von dem
lässlichen halb anerkennenden halb ironischen Regenten selbst
den Beinamen des Grossen sich erworben. Zum Unglück ent-
sprach seine geistige Begabung diesen unerhörten Erfolgen
schlechterdings nicht. Er war kein böser und kein unfähiger,
aber ein durchaus gewöhnlicher Mensch, das Ideal eines civili-
sirten Unteroffiziers. Ein einsichtiger, tapferer und erfahrener,
durchaus ein vorzüglicher Soldat war er doch auch als Militär
ohne eine Spur höherer Begabung; als Feldherr wie überhaupt
ist es ihm eigen mit einer an Aengstlichkeit grenzenden Vorsicht
zu Werke zu gehen und wo möglich den entscheidenden Schlag
erst dann zu führen, wenn die ungeheuerste Ueberlegenheit über
den Gegner hergestellt ist. Seine Bildung ist die Dutzendbildung
der Zeit; obwohl durch und durch Soldat, versäumte er es den-
noch nicht, als er nach Rhodos kam, die dortigen Redekünstler
pflichtmässig zu bewundern und zu beschenken. Seine Recht-
schaffenheit war die des reichen Mannes, der mit seinem be-
trächtlichen ererbten und erworbenen Vermögen verständig Haus
hält; er verschmähte es nicht in der üblichen senatorischen Weise
Geld zu machen, aber er war zu kalt und zu reich um desswegen
sich in besondere Gefahren zu begeben und hervorragende Schande
sich aufzuladen. Die unter seinen Zeitgenossen im Schwange
gehende Lasterhaftigkeit hat mehr als seine eigene Tugend ihm
den -- relativ allerdings wohl gerechtfertigten -- Ruhm der
Tüchtigkeit und Uneigennützigkeit verschafft. Sein ,ehrliches
Gesicht' ward fast sprichwörtlich und noch nach seinem Tode
galt er als ein würdiger und sittlicher Mann; in der That zeigte
er im Familienleben Anhänglichkeit an Frau und Kinder und es
gereicht ihm zur Ehre, dass er zuerst von der barbarischen Sitte
abging die gefangenen feindlichen Könige und Feldherren nach
ihrer Aufführung im Triumph hinrichten zu lassen. Aber das
hielt ihn nicht ab, wenn sein Herr und Meister Sulla befahl,
sich von der geliebten Frau zu scheiden, weil sie einem ver-
fehmten Geschlecht angehörte, und auf desselben Gebieters
Wink Männer, die ihm in schwerer Zeit hülfreich beigestanden
hatten, mit grosser Seelenruhe vor seinen Augen hinrichten
zu lassen (II, 319); er war nicht grausam, wie man ihm vor-

FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
Turner, der noch als Oberoffizier mit seinen Soldaten um die
Wette sprang, lief und hob, ein kräftiger und gewandter Reiter
und Fechter, ein kecker Freischaarenführer, war der Jüngling in
einem Alter, das ihn noch von jedem Amt und vom Senat aus-
schloſs, Imperator und Triumphator geworden und hatte nächst
Sulla den ersten Platz in der öffentlichen Meinung, ja von dem
läſslichen halb anerkennenden halb ironischen Regenten selbst
den Beinamen des Groſsen sich erworben. Zum Unglück ent-
sprach seine geistige Begabung diesen unerhörten Erfolgen
schlechterdings nicht. Er war kein böser und kein unfähiger,
aber ein durchaus gewöhnlicher Mensch, das Ideal eines civili-
sirten Unteroffiziers. Ein einsichtiger, tapferer und erfahrener,
durchaus ein vorzüglicher Soldat war er doch auch als Militär
ohne eine Spur höherer Begabung; als Feldherr wie überhaupt
ist es ihm eigen mit einer an Aengstlichkeit grenzenden Vorsicht
zu Werke zu gehen und wo möglich den entscheidenden Schlag
erst dann zu führen, wenn die ungeheuerste Ueberlegenheit über
den Gegner hergestellt ist. Seine Bildung ist die Dutzendbildung
der Zeit; obwohl durch und durch Soldat, versäumte er es den-
noch nicht, als er nach Rhodos kam, die dortigen Redekünstler
pflichtmäſsig zu bewundern und zu beschenken. Seine Recht-
schaffenheit war die des reichen Mannes, der mit seinem be-
trächtlichen ererbten und erworbenen Vermögen verständig Haus
hält; er verschmähte es nicht in der üblichen senatorischen Weise
Geld zu machen, aber er war zu kalt und zu reich um deſswegen
sich in besondere Gefahren zu begeben und hervorragende Schande
sich aufzuladen. Die unter seinen Zeitgenossen im Schwange
gehende Lasterhaftigkeit hat mehr als seine eigene Tugend ihm
den — relativ allerdings wohl gerechtfertigten — Ruhm der
Tüchtigkeit und Uneigennützigkeit verschafft. Sein ‚ehrliches
Gesicht‘ ward fast sprichwörtlich und noch nach seinem Tode
galt er als ein würdiger und sittlicher Mann; in der That zeigte
er im Familienleben Anhänglichkeit an Frau und Kinder und es
gereicht ihm zur Ehre, daſs er zuerst von der barbarischen Sitte
abging die gefangenen feindlichen Könige und Feldherren nach
ihrer Aufführung im Triumph hinrichten zu lassen. Aber das
hielt ihn nicht ab, wenn sein Herr und Meister Sulla befahl,
sich von der geliebten Frau zu scheiden, weil sie einem ver-
fehmten Geschlecht angehörte, und auf desselben Gebieters
Wink Männer, die ihm in schwerer Zeit hülfreich beigestanden
hatten, mit groſser Seelenruhe vor seinen Augen hinrichten
zu lassen (II, 319); er war nicht grausam, wie man ihm vor-

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[10/0020] FÜNFTES BUCH. KAPITEL I. Turner, der noch als Oberoffizier mit seinen Soldaten um die Wette sprang, lief und hob, ein kräftiger und gewandter Reiter und Fechter, ein kecker Freischaarenführer, war der Jüngling in einem Alter, das ihn noch von jedem Amt und vom Senat aus- schloſs, Imperator und Triumphator geworden und hatte nächst Sulla den ersten Platz in der öffentlichen Meinung, ja von dem läſslichen halb anerkennenden halb ironischen Regenten selbst den Beinamen des Groſsen sich erworben. Zum Unglück ent- sprach seine geistige Begabung diesen unerhörten Erfolgen schlechterdings nicht. Er war kein böser und kein unfähiger, aber ein durchaus gewöhnlicher Mensch, das Ideal eines civili- sirten Unteroffiziers. Ein einsichtiger, tapferer und erfahrener, durchaus ein vorzüglicher Soldat war er doch auch als Militär ohne eine Spur höherer Begabung; als Feldherr wie überhaupt ist es ihm eigen mit einer an Aengstlichkeit grenzenden Vorsicht zu Werke zu gehen und wo möglich den entscheidenden Schlag erst dann zu führen, wenn die ungeheuerste Ueberlegenheit über den Gegner hergestellt ist. Seine Bildung ist die Dutzendbildung der Zeit; obwohl durch und durch Soldat, versäumte er es den- noch nicht, als er nach Rhodos kam, die dortigen Redekünstler pflichtmäſsig zu bewundern und zu beschenken. Seine Recht- schaffenheit war die des reichen Mannes, der mit seinem be- trächtlichen ererbten und erworbenen Vermögen verständig Haus hält; er verschmähte es nicht in der üblichen senatorischen Weise Geld zu machen, aber er war zu kalt und zu reich um deſswegen sich in besondere Gefahren zu begeben und hervorragende Schande sich aufzuladen. Die unter seinen Zeitgenossen im Schwange gehende Lasterhaftigkeit hat mehr als seine eigene Tugend ihm den — relativ allerdings wohl gerechtfertigten — Ruhm der Tüchtigkeit und Uneigennützigkeit verschafft. Sein ‚ehrliches Gesicht‘ ward fast sprichwörtlich und noch nach seinem Tode galt er als ein würdiger und sittlicher Mann; in der That zeigte er im Familienleben Anhänglichkeit an Frau und Kinder und es gereicht ihm zur Ehre, daſs er zuerst von der barbarischen Sitte abging die gefangenen feindlichen Könige und Feldherren nach ihrer Aufführung im Triumph hinrichten zu lassen. Aber das hielt ihn nicht ab, wenn sein Herr und Meister Sulla befahl, sich von der geliebten Frau zu scheiden, weil sie einem ver- fehmten Geschlecht angehörte, und auf desselben Gebieters Wink Männer, die ihm in schwerer Zeit hülfreich beigestanden hatten, mit groſser Seelenruhe vor seinen Augen hinrichten zu lassen (II, 319); er war nicht grausam, wie man ihm vor-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/20>, abgerufen am 28.04.2024.