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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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COALITION DER PRAETENDENTEN.
Allein die demokratische Partei, die in der Coalition die erste
Rolle spielte, konnte den Justizmord des 5. Dec. 691, den sie
so laut und mit so gutem Recht getadelt hatte, unmöglich nach
ihrem Siege ungeahndet lassen. Hätte man die wirklichen Urheber
des verhängnissvollen Beschlusses zur Rechenschaft ziehen wol-
len, so musste man freilich sich nicht an den schwachmüthigen
Consul halten, sondern an die Fraction der strengen Aristokratie,
die den ängstlichen Mann zu jener Execution gedrängt hatte; aber
nach formellem Recht waren allerdings nicht die Rathgeber des
Consuls, sondern zunächst der Consul selbst für dieselbe verant-
wortlich und vor allem war es der mildere Weg nur den Consul
zur Rechenschaft zu ziehen und das Senatscollegium ganz aus dem
Spiele zu lassen, welche Absicht sehr scharf darin hervortritt,
dass der Senatsbeschluss, kraft dessen Cicero die Hinrichtung an-
ordnete, in den Motiven des gegen Cicero gerichteten Antrags als
untergeschoben bezeichnet ward. Es kam hinzu dass Cicero
es nicht über sich gewinnen konnte weder den Machthabern die
verlangte Garantie zu geben, noch unter einem der mehrfach ihm
dargebotenen schicklichen Vorwände sich selbst von Rom zu
verbannen, noch auch nur zu schweigen. Bei dem besten Willen
jeden Anstoss zu vermeiden und der aufrichtigsten Angst hatte
er doch nicht Haltung genug um vorsichtig zu sein; das Wort
musste heraus, wenn ein petulanter Witz ihn prickelte oder wenn
sein durch das Lob so vieler adlichen Herren fast übergeschnapp-
tes Selbstbewusstsein die wohlcadenzirten Perioden des plebeji-
schen Advokaten schwellte. Die Ausführung der gegen Cato und
Cicero beschlossenen Massregeln ward dem lockeren und wüsten,
aber nicht talentlosen Publius Clodius übertragen, der seit Jahren
mit Cicero in der bittersten Feindschaft lebte und, um diese be-
friedigen und als Demagoge eine Rolle spielen zu können, unter
Caesars Consulat sich durch eilige Adoption aus einem Patricier
in einen Plebejer verwandelt und dann für das J. 696 zum Volks-
tribun hatte wählen lassen. Als Rückhalt für Clodius verweilte
der Proconsul Caesar, bis der Schlag gegen die beiden Opfer
gefallen war, in der unmittelbaren Nähe der Hauptstadt. Den
erhaltenen Aufträgen gemäss proponirte Clodius der Bürger-
schaft Cato mit der Regulirung der verwickelten Gemeindever-
hältnisse der Byzantiner und mit der Einziehung des Königreichs
Kypros zu beauftragen, welches ebenso wie Aegypten durch das
Testament Alexanders II. den Römern angefallen war und nicht
wie Aegypten die römische Einziehung abgekauft, dessen König
überdies den Clodius vor Zeiten persönlich beleidigt hatte. Hin-

COALITION DER PRAETENDENTEN.
Allein die demokratische Partei, die in der Coalition die erste
Rolle spielte, konnte den Justizmord des 5. Dec. 691, den sie
so laut und mit so gutem Recht getadelt hatte, unmöglich nach
ihrem Siege ungeahndet lassen. Hätte man die wirklichen Urheber
des verhängniſsvollen Beschlusses zur Rechenschaft ziehen wol-
len, so muſste man freilich sich nicht an den schwachmüthigen
Consul halten, sondern an die Fraction der strengen Aristokratie,
die den ängstlichen Mann zu jener Execution gedrängt hatte; aber
nach formellem Recht waren allerdings nicht die Rathgeber des
Consuls, sondern zunächst der Consul selbst für dieselbe verant-
wortlich und vor allem war es der mildere Weg nur den Consul
zur Rechenschaft zu ziehen und das Senatscollegium ganz aus dem
Spiele zu lassen, welche Absicht sehr scharf darin hervortritt,
daſs der Senatsbeschluſs, kraft dessen Cicero die Hinrichtung an-
ordnete, in den Motiven des gegen Cicero gerichteten Antrags als
untergeschoben bezeichnet ward. Es kam hinzu daſs Cicero
es nicht über sich gewinnen konnte weder den Machthabern die
verlangte Garantie zu geben, noch unter einem der mehrfach ihm
dargebotenen schicklichen Vorwände sich selbst von Rom zu
verbannen, noch auch nur zu schweigen. Bei dem besten Willen
jeden Anstoſs zu vermeiden und der aufrichtigsten Angst hatte
er doch nicht Haltung genug um vorsichtig zu sein; das Wort
muſste heraus, wenn ein petulanter Witz ihn prickelte oder wenn
sein durch das Lob so vieler adlichen Herren fast übergeschnapp-
tes Selbstbewuſstsein die wohlcadenzirten Perioden des plebeji-
schen Advokaten schwellte. Die Ausführung der gegen Cato und
Cicero beschlossenen Maſsregeln ward dem lockeren und wüsten,
aber nicht talentlosen Publius Clodius übertragen, der seit Jahren
mit Cicero in der bittersten Feindschaft lebte und, um diese be-
friedigen und als Demagoge eine Rolle spielen zu können, unter
Caesars Consulat sich durch eilige Adoption aus einem Patricier
in einen Plebejer verwandelt und dann für das J. 696 zum Volks-
tribun hatte wählen lassen. Als Rückhalt für Clodius verweilte
der Proconsul Caesar, bis der Schlag gegen die beiden Opfer
gefallen war, in der unmittelbaren Nähe der Hauptstadt. Den
erhaltenen Aufträgen gemäſs proponirte Clodius der Bürger-
schaft Cato mit der Regulirung der verwickelten Gemeindever-
hältnisse der Byzantiner und mit der Einziehung des Königreichs
Kypros zu beauftragen, welches ebenso wie Aegypten durch das
Testament Alexanders II. den Römern angefallen war und nicht
wie Aegypten die römische Einziehung abgekauft, dessen König
überdies den Clodius vor Zeiten persönlich beleidigt hatte. Hin-

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[199/0209] COALITION DER PRAETENDENTEN. Allein die demokratische Partei, die in der Coalition die erste Rolle spielte, konnte den Justizmord des 5. Dec. 691, den sie so laut und mit so gutem Recht getadelt hatte, unmöglich nach ihrem Siege ungeahndet lassen. Hätte man die wirklichen Urheber des verhängniſsvollen Beschlusses zur Rechenschaft ziehen wol- len, so muſste man freilich sich nicht an den schwachmüthigen Consul halten, sondern an die Fraction der strengen Aristokratie, die den ängstlichen Mann zu jener Execution gedrängt hatte; aber nach formellem Recht waren allerdings nicht die Rathgeber des Consuls, sondern zunächst der Consul selbst für dieselbe verant- wortlich und vor allem war es der mildere Weg nur den Consul zur Rechenschaft zu ziehen und das Senatscollegium ganz aus dem Spiele zu lassen, welche Absicht sehr scharf darin hervortritt, daſs der Senatsbeschluſs, kraft dessen Cicero die Hinrichtung an- ordnete, in den Motiven des gegen Cicero gerichteten Antrags als untergeschoben bezeichnet ward. Es kam hinzu daſs Cicero es nicht über sich gewinnen konnte weder den Machthabern die verlangte Garantie zu geben, noch unter einem der mehrfach ihm dargebotenen schicklichen Vorwände sich selbst von Rom zu verbannen, noch auch nur zu schweigen. Bei dem besten Willen jeden Anstoſs zu vermeiden und der aufrichtigsten Angst hatte er doch nicht Haltung genug um vorsichtig zu sein; das Wort muſste heraus, wenn ein petulanter Witz ihn prickelte oder wenn sein durch das Lob so vieler adlichen Herren fast übergeschnapp- tes Selbstbewuſstsein die wohlcadenzirten Perioden des plebeji- schen Advokaten schwellte. Die Ausführung der gegen Cato und Cicero beschlossenen Maſsregeln ward dem lockeren und wüsten, aber nicht talentlosen Publius Clodius übertragen, der seit Jahren mit Cicero in der bittersten Feindschaft lebte und, um diese be- friedigen und als Demagoge eine Rolle spielen zu können, unter Caesars Consulat sich durch eilige Adoption aus einem Patricier in einen Plebejer verwandelt und dann für das J. 696 zum Volks- tribun hatte wählen lassen. Als Rückhalt für Clodius verweilte der Proconsul Caesar, bis der Schlag gegen die beiden Opfer gefallen war, in der unmittelbaren Nähe der Hauptstadt. Den erhaltenen Aufträgen gemäſs proponirte Clodius der Bürger- schaft Cato mit der Regulirung der verwickelten Gemeindever- hältnisse der Byzantiner und mit der Einziehung des Königreichs Kypros zu beauftragen, welches ebenso wie Aegypten durch das Testament Alexanders II. den Römern angefallen war und nicht wie Aegypten die römische Einziehung abgekauft, dessen König überdies den Clodius vor Zeiten persönlich beleidigt hatte. Hin-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/209>, abgerufen am 29.04.2024.