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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
Hinsicht ein Umschwung ein. Vor allen Dingen ward die Herr-
schaft auf dem mittelländischen Meer wieder hergestellt, die erste
Lebensfrage für einen Staat wie der römische war. Gegen Osten
wurde durch Annectirung der pontischen und syrischen Land-
schaften die Euphratgrenze gesichert. Aber es war noch übrig in
den transalpinischen Eroberungen zugleich das römische Gebiet
gegen Norden und Westen abzuschliessen und der hellenischen
Civilisation, der noch keineswegs gebrochenen Kraft des italischen
Stammes hier ein neues jungfräuliches Gebiet zu gewinnen. Die-
ser Aufgabe hat Gaius Caesar sich unterzogen. Es ist ein Irrthum
und mehr noch ein Frevel gegen den in der Geschichte mächti-
gen heiligen Geist, wenn man Gallien einzig als den Exercirplatz
betrachtet, auf dem Caesar sich und seine Legionen für den be-
vorstehenden Bürgerkrieg übte. Wenn auch die Unterwerfung
des Westens für Caesar insofern ein Mittel zum Zweck war, als
er seine spätere Machtstellung in den transalpinischen Kriegen
begründet hat, so ist eben dies das Privilegium des staats-
männischen Genies, dass seine Mittel selbst wieder Zwecke sind.
Caesar bedurfte wohl für seine Parteizwecke einer militärischen
Macht; Gallien aber hat er nicht als Parteimann erobert. Es
war für Rom eine politische Nothwendigkeit der ewig drohen-
den Invasion der Deutschen schon jenseit der Alpen zu begeg-
nen und dort einen Damm zu ziehen, der der römischen Welt
den Frieden sicherte. Aber auch dieser Zweck, wie wichtig er
immer war, war noch nicht der höchste und letzte, wesshalb
Gallien von Caesar erobert ward. Als der römischen Bürger-
schaft die alte Heimath zu eng geworden war und sie in Gefahr
stand zu verkümmern, rettete die italische Eroberungspolitik des
Senats dieselbe vom Untergang. Jetzt war auch die italische Hei-
math wieder zu eng geworden; wieder siechte der Staat an dem-
selben in gleicher Art, nur in grösseren Verhältnissen sich wie-
derholenden socialen Missverhältniss. Es war ein genialer Ge-
danke, eine grossartige Hoffnung, welche Caesar über die Alpen
führte, der Gedanke und die Zuversicht dort seinen Mitbürgern
eine neue grenzenlose Heimath zu gewinnen und den Staat zum
zweiten Mal dadurch zu regeneriren, dass er auf eine breitere
Basis gestellt ward.

Gewissermassen lässt sich zu den auf die Unterwerfung des
Westens abzielenden Unternehmungen schon der Feldzug rechnen,
den Caesar im J. 693 im jenseitigen Spanien unternahm. Wie
lange auch Spanien schon den Römern gehorchte, immer noch
war selbst nach der Expedition des Decimus Brutus gegen die

DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
Hinsicht ein Umschwung ein. Vor allen Dingen ward die Herr-
schaft auf dem mittelländischen Meer wieder hergestellt, die erste
Lebensfrage für einen Staat wie der römische war. Gegen Osten
wurde durch Annectirung der pontischen und syrischen Land-
schaften die Euphratgrenze gesichert. Aber es war noch übrig in
den transalpinischen Eroberungen zugleich das römische Gebiet
gegen Norden und Westen abzuschlieſsen und der hellenischen
Civilisation, der noch keineswegs gebrochenen Kraft des italischen
Stammes hier ein neues jungfräuliches Gebiet zu gewinnen. Die-
ser Aufgabe hat Gaius Caesar sich unterzogen. Es ist ein Irrthum
und mehr noch ein Frevel gegen den in der Geschichte mächti-
gen heiligen Geist, wenn man Gallien einzig als den Exercirplatz
betrachtet, auf dem Caesar sich und seine Legionen für den be-
vorstehenden Bürgerkrieg übte. Wenn auch die Unterwerfung
des Westens für Caesar insofern ein Mittel zum Zweck war, als
er seine spätere Machtstellung in den transalpinischen Kriegen
begründet hat, so ist eben dies das Privilegium des staats-
männischen Genies, daſs seine Mittel selbst wieder Zwecke sind.
Caesar bedurfte wohl für seine Parteizwecke einer militärischen
Macht; Gallien aber hat er nicht als Parteimann erobert. Es
war für Rom eine politische Nothwendigkeit der ewig drohen-
den Invasion der Deutschen schon jenseit der Alpen zu begeg-
nen und dort einen Damm zu ziehen, der der römischen Welt
den Frieden sicherte. Aber auch dieser Zweck, wie wichtig er
immer war, war noch nicht der höchste und letzte, weſshalb
Gallien von Caesar erobert ward. Als der römischen Bürger-
schaft die alte Heimath zu eng geworden war und sie in Gefahr
stand zu verkümmern, rettete die italische Eroberungspolitik des
Senats dieselbe vom Untergang. Jetzt war auch die italische Hei-
math wieder zu eng geworden; wieder siechte der Staat an dem-
selben in gleicher Art, nur in gröſseren Verhältnissen sich wie-
derholenden socialen Miſsverhältniſs. Es war ein genialer Ge-
danke, eine groſsartige Hoffnung, welche Caesar über die Alpen
führte, der Gedanke und die Zuversicht dort seinen Mitbürgern
eine neue grenzenlose Heimath zu gewinnen und den Staat zum
zweiten Mal dadurch zu regeneriren, daſs er auf eine breitere
Basis gestellt ward.

Gewissermaſsen läſst sich zu den auf die Unterwerfung des
Westens abzielenden Unternehmungen schon der Feldzug rechnen,
den Caesar im J. 693 im jenseitigen Spanien unternahm. Wie
lange auch Spanien schon den Römern gehorchte, immer noch
war selbst nach der Expedition des Decimus Brutus gegen die

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[203/0213] DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. Hinsicht ein Umschwung ein. Vor allen Dingen ward die Herr- schaft auf dem mittelländischen Meer wieder hergestellt, die erste Lebensfrage für einen Staat wie der römische war. Gegen Osten wurde durch Annectirung der pontischen und syrischen Land- schaften die Euphratgrenze gesichert. Aber es war noch übrig in den transalpinischen Eroberungen zugleich das römische Gebiet gegen Norden und Westen abzuschlieſsen und der hellenischen Civilisation, der noch keineswegs gebrochenen Kraft des italischen Stammes hier ein neues jungfräuliches Gebiet zu gewinnen. Die- ser Aufgabe hat Gaius Caesar sich unterzogen. Es ist ein Irrthum und mehr noch ein Frevel gegen den in der Geschichte mächti- gen heiligen Geist, wenn man Gallien einzig als den Exercirplatz betrachtet, auf dem Caesar sich und seine Legionen für den be- vorstehenden Bürgerkrieg übte. Wenn auch die Unterwerfung des Westens für Caesar insofern ein Mittel zum Zweck war, als er seine spätere Machtstellung in den transalpinischen Kriegen begründet hat, so ist eben dies das Privilegium des staats- männischen Genies, daſs seine Mittel selbst wieder Zwecke sind. Caesar bedurfte wohl für seine Parteizwecke einer militärischen Macht; Gallien aber hat er nicht als Parteimann erobert. Es war für Rom eine politische Nothwendigkeit der ewig drohen- den Invasion der Deutschen schon jenseit der Alpen zu begeg- nen und dort einen Damm zu ziehen, der der römischen Welt den Frieden sicherte. Aber auch dieser Zweck, wie wichtig er immer war, war noch nicht der höchste und letzte, weſshalb Gallien von Caesar erobert ward. Als der römischen Bürger- schaft die alte Heimath zu eng geworden war und sie in Gefahr stand zu verkümmern, rettete die italische Eroberungspolitik des Senats dieselbe vom Untergang. Jetzt war auch die italische Hei- math wieder zu eng geworden; wieder siechte der Staat an dem- selben in gleicher Art, nur in gröſseren Verhältnissen sich wie- derholenden socialen Miſsverhältniſs. Es war ein genialer Ge- danke, eine groſsartige Hoffnung, welche Caesar über die Alpen führte, der Gedanke und die Zuversicht dort seinen Mitbürgern eine neue grenzenlose Heimath zu gewinnen und den Staat zum zweiten Mal dadurch zu regeneriren, daſs er auf eine breitere Basis gestellt ward. Gewissermaſsen läſst sich zu den auf die Unterwerfung des Westens abzielenden Unternehmungen schon der Feldzug rechnen, den Caesar im J. 693 im jenseitigen Spanien unternahm. Wie lange auch Spanien schon den Römern gehorchte, immer noch war selbst nach der Expedition des Decimus Brutus gegen die

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/213>, abgerufen am 29.04.2024.