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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Gemeinfreien, die die Steuerlast erdrückte, bei ihnen zu borgen
und zuerst thatsächlich als Schuldner, dann rechtlich als Hörige
sich ihrer Freiheit zu begeben. Gestützt auf die Schaaren ihrer
Andbakten oder Ambakten, das heisst ihrer gedungenen reisigen
Knechte,* trotzten sie den gesetzlichen Behörden und dem Land-
sturm und sprengten thatsächlich das Gemeinwesen. Wenn in
einem Clan, der etwa 80000 Waffenfähige zählte, ein einzelner
Adlicher mit 10000 Knechten, ungerechnet die Hörigen und die
Schuldner, auf dem Landtage erscheinen konnte, so ist es ein-
leuchtend, dass ein solcher mehr ein unabhängiger Dynast war als
ein Bürger seines Clan. Es kam hinzu, dass die vornehmen Fa-
milien der verschiedenen Clans innig unter sich zusammenhingen
und durch Zwischenheirathen und Sonderverträge gleichsam einen
geschlossenen Bund bildeten, dem gegenüber der einzelne Clan
ohnmächtig war. Eine Folge war, dass die Gemeinden es nicht
vermochten den Landfrieden aufrecht zu halten und durchgängig
das Faustrecht regierte. Schutz fand nur noch der hörige Mann
bei seinem Herrn, den Pflicht und Interesse nöthigten die seinem
Clienten zugefügte Unbill zu ahnden; die Freien zu beschirmen
hatte der Staat die Macht nicht mehr, wesshalb diese zahl-

* Das merkwürdige Wort, die Wurzel unseres ,Amt', ist, wie das
Gefolgsystem selbst, sowohl den Kelten wie den Deutschen eigen und auf
jeden Fall entweder im Keltischen oder im Deutschen Lehnwort. Der
wahrscheinlichen Ableitung nach ist es ursprünglich deutsch und bezeichnet
zunächst den im Kampfe dem Herrn ,gegen den Rücken' (and = gegen,
bak = Rücken) stehenden Knecht und darum den Gefolgmann überhaupt.
Dass das Wort schon bei den Kelten des Pothals im sechsten Jahrhundert
Roms und ebenso am Ende des siebenten bei den transalpinischen eingebür-
gert war, beweist dessen Vorkommen als gallisches Wort bei Ennius und
bei Caesar. Es ist das allerdings merkwürdig, aber doch auch historisch
mit der Entlehnung aus dem Deutschen wohl zu vereinigen. Das alte kel-
tische Gefolgsystem, in dem die Gefolgmänner natürlich die geringeren
Clansglieder waren, muss nothwendig späterhin durch ein Gefolge gedun-
gener Knechte verdrängt worden sein; und dies eben sind die Andbakten,
die douloi misthotoi, wie die auf gute Quellen zurückgehenden Glossen
dies Wort übersetzen. Es ist also das Ambaktenthum bei den Kelten keine
altnationale, sondern eine relativ junge Institution; und bei dem zwischen
den Kelten und Deutschen Jahrhunderte lang bestehenden und weiterhin
zu erörternden Verhältniss ist es nicht bloss möglich, sondern sogar wahr-
scheinlich, dass die Kelten zu diesen gedungenen Waffenknechten haupt-
sächlich Deutsche nahmen. Die ,Schweizer' sind also um einige Jahrtau-
sende älter als man meint. -- Wenn die Benennung, womit die Kelten und
nach ihrem Beispiel die Römer die Deutschen als Nation bezeichnen, der
Name Germani wirklich keltischen Ursprungs ist (I, 373), so steht dies
damit, wie man sieht, im besten Einklang.

FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Gemeinfreien, die die Steuerlast erdrückte, bei ihnen zu borgen
und zuerst thatsächlich als Schuldner, dann rechtlich als Hörige
sich ihrer Freiheit zu begeben. Gestützt auf die Schaaren ihrer
Andbakten oder Ambakten, das heiſst ihrer gedungenen reisigen
Knechte,* trotzten sie den gesetzlichen Behörden und dem Land-
sturm und sprengten thatsächlich das Gemeinwesen. Wenn in
einem Clan, der etwa 80000 Waffenfähige zählte, ein einzelner
Adlicher mit 10000 Knechten, ungerechnet die Hörigen und die
Schuldner, auf dem Landtage erscheinen konnte, so ist es ein-
leuchtend, daſs ein solcher mehr ein unabhängiger Dynast war als
ein Bürger seines Clan. Es kam hinzu, daſs die vornehmen Fa-
milien der verschiedenen Clans innig unter sich zusammenhingen
und durch Zwischenheirathen und Sonderverträge gleichsam einen
geschlossenen Bund bildeten, dem gegenüber der einzelne Clan
ohnmächtig war. Eine Folge war, daſs die Gemeinden es nicht
vermochten den Landfrieden aufrecht zu halten und durchgängig
das Faustrecht regierte. Schutz fand nur noch der hörige Mann
bei seinem Herrn, den Pflicht und Interesse nöthigten die seinem
Clienten zugefügte Unbill zu ahnden; die Freien zu beschirmen
hatte der Staat die Macht nicht mehr, weſshalb diese zahl-

* Das merkwürdige Wort, die Wurzel unseres ‚Amt‘, ist, wie das
Gefolgsystem selbst, sowohl den Kelten wie den Deutschen eigen und auf
jeden Fall entweder im Keltischen oder im Deutschen Lehnwort. Der
wahrscheinlichen Ableitung nach ist es ursprünglich deutsch und bezeichnet
zunächst den im Kampfe dem Herrn ‚gegen den Rücken‘ (and = gegen,
bak = Rücken) stehenden Knecht und darum den Gefolgmann überhaupt.
Daſs das Wort schon bei den Kelten des Pothals im sechsten Jahrhundert
Roms und ebenso am Ende des siebenten bei den transalpinischen eingebür-
gert war, beweist dessen Vorkommen als gallisches Wort bei Ennius und
bei Caesar. Es ist das allerdings merkwürdig, aber doch auch historisch
mit der Entlehnung aus dem Deutschen wohl zu vereinigen. Das alte kel-
tische Gefolgsystem, in dem die Gefolgmänner natürlich die geringeren
Clansglieder waren, muſs nothwendig späterhin durch ein Gefolge gedun-
gener Knechte verdrängt worden sein; und dies eben sind die Andbakten,
die δοὺλοι μισϑωτοί, wie die auf gute Quellen zurückgehenden Glossen
dies Wort übersetzen. Es ist also das Ambaktenthum bei den Kelten keine
altnationale, sondern eine relativ junge Institution; und bei dem zwischen
den Kelten und Deutschen Jahrhunderte lang bestehenden und weiterhin
zu erörternden Verhältniſs ist es nicht bloſs möglich, sondern sogar wahr-
scheinlich, daſs die Kelten zu diesen gedungenen Waffenknechten haupt-
sächlich Deutsche nahmen. Die ‚Schweizer‘ sind also um einige Jahrtau-
sende älter als man meint. — Wenn die Benennung, womit die Kelten und
nach ihrem Beispiel die Römer die Deutschen als Nation bezeichnen, der
Name Germani wirklich keltischen Ursprungs ist (I, 373), so steht dies
damit, wie man sieht, im besten Einklang.
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[214/0224] FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. Gemeinfreien, die die Steuerlast erdrückte, bei ihnen zu borgen und zuerst thatsächlich als Schuldner, dann rechtlich als Hörige sich ihrer Freiheit zu begeben. Gestützt auf die Schaaren ihrer Andbakten oder Ambakten, das heiſst ihrer gedungenen reisigen Knechte, * trotzten sie den gesetzlichen Behörden und dem Land- sturm und sprengten thatsächlich das Gemeinwesen. Wenn in einem Clan, der etwa 80000 Waffenfähige zählte, ein einzelner Adlicher mit 10000 Knechten, ungerechnet die Hörigen und die Schuldner, auf dem Landtage erscheinen konnte, so ist es ein- leuchtend, daſs ein solcher mehr ein unabhängiger Dynast war als ein Bürger seines Clan. Es kam hinzu, daſs die vornehmen Fa- milien der verschiedenen Clans innig unter sich zusammenhingen und durch Zwischenheirathen und Sonderverträge gleichsam einen geschlossenen Bund bildeten, dem gegenüber der einzelne Clan ohnmächtig war. Eine Folge war, daſs die Gemeinden es nicht vermochten den Landfrieden aufrecht zu halten und durchgängig das Faustrecht regierte. Schutz fand nur noch der hörige Mann bei seinem Herrn, den Pflicht und Interesse nöthigten die seinem Clienten zugefügte Unbill zu ahnden; die Freien zu beschirmen hatte der Staat die Macht nicht mehr, weſshalb diese zahl- * Das merkwürdige Wort, die Wurzel unseres ‚Amt‘, ist, wie das Gefolgsystem selbst, sowohl den Kelten wie den Deutschen eigen und auf jeden Fall entweder im Keltischen oder im Deutschen Lehnwort. Der wahrscheinlichen Ableitung nach ist es ursprünglich deutsch und bezeichnet zunächst den im Kampfe dem Herrn ‚gegen den Rücken‘ (and = gegen, bak = Rücken) stehenden Knecht und darum den Gefolgmann überhaupt. Daſs das Wort schon bei den Kelten des Pothals im sechsten Jahrhundert Roms und ebenso am Ende des siebenten bei den transalpinischen eingebür- gert war, beweist dessen Vorkommen als gallisches Wort bei Ennius und bei Caesar. Es ist das allerdings merkwürdig, aber doch auch historisch mit der Entlehnung aus dem Deutschen wohl zu vereinigen. Das alte kel- tische Gefolgsystem, in dem die Gefolgmänner natürlich die geringeren Clansglieder waren, muſs nothwendig späterhin durch ein Gefolge gedun- gener Knechte verdrängt worden sein; und dies eben sind die Andbakten, die δοὺλοι μισϑωτοί, wie die auf gute Quellen zurückgehenden Glossen dies Wort übersetzen. Es ist also das Ambaktenthum bei den Kelten keine altnationale, sondern eine relativ junge Institution; und bei dem zwischen den Kelten und Deutschen Jahrhunderte lang bestehenden und weiterhin zu erörternden Verhältniſs ist es nicht bloſs möglich, sondern sogar wahr- scheinlich, daſs die Kelten zu diesen gedungenen Waffenknechten haupt- sächlich Deutsche nahmen. Die ‚Schweizer‘ sind also um einige Jahrtau- sende älter als man meint. — Wenn die Benennung, womit die Kelten und nach ihrem Beispiel die Römer die Deutschen als Nation bezeichnen, der Name Germani wirklich keltischen Ursprungs ist (I, 373), so steht dies damit, wie man sieht, im besten Einklang.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/224>, abgerufen am 30.04.2024.