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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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von ihm als eine Nation behandelt, die er ganz sich unterwor-
fen, und zwischen den einzelnen Gauen kein Unterschied ge-
macht. Als gedungener Feldhauptmann der Sequaner hatte er
den Rhein überschritten; dennoch mussten auch sie, als wären
sie gleichfalls besiegte Feinde, ihm für seine Söldner ein Drittel
ihrer Mark abtreten -- vermuthlich den später von den Tribok-
kern bewohnten Landstrich --; ja als sei dies nicht genug, ward
ihnen nachher für die nachgekommenen Haruder noch ein zwei-
tes Drittel abverlangt. Ariovist schien im Keltenlande die Rolle
des makedonischen Philipp übernehmen und die germanisch ge-
sinnten Kelten nicht minder wie die den Römern anhängenden
tyrannisiren zu wollen. -- Das Auftreten des kräftigen Fürsten
in einer so gefährlichen Nähe, das allein schon die ernstesten
Besorgnisse der Römer erwecken musste, erschien noch bedroh-
licher insofern, als dasselbe keineswegs vereinzelt stand. Auch
die am rechten Rheinufer ansässigen Usipeten und Tencterer wa-
ren, der unaufhörlichen Verheerung ihres Gebiets durch die über-
müthigen Sueben müde, das Jahr bevor Caesar in Gallien eintraf
(695) aus ihren bisherigen Sitzen aufgebrochen um sich andere
am unteren Rheine zu suchen. Schon hatten sie an dessen Mün-
dung den auf dem rechten Rheinufer belegenen Theil des Gebiets
der Menapier weggenommen und es war vorherzusehen, dass sie
den Versuch machen würden auch auf dem linken Ufer sich fest-
zusetzen. Zwischen Köln und Mainz sammelten ferner sich sue-
bische Haufen und drohten in dem gegenüberliegenden Keltengau
der Treverer als ungeladene Gäste zu erscheinen. Endlich ward
das Gebiet des östlichsten Clans der Kelten, der streitbaren und
zahlreichen Helvetier immer nachdrücklicher von den Germanen
heimgesucht, so dass die Helvetier, die vielleicht schon durch das
Zurückströmen ihrer Ansiedler aus dem verlorenen Gebiet nord-
wärts vom Rheine ohnehin an Uebervölkerung litten, überdies
durch die Festsetzung Ariovists im Gebiet der Sequaner einer
völligen Isolirung von ihren Stammgenossen entgegengingen, den
verzweifelten Entschluss fassten ihr bisheriges Gebiet freiwillig
den Germanen zu räumen und westlich vom Jura geräumigere
und fruchtbarere Sitze und zugleich wo möglich die Hegemonie
im inneren Gallien zu gewinnen -- ein Plan, den schon während
der kimbrischen Invasion einige ihrer Districte gefasst und aus-
zuführen versucht hatten (II, 167). Die Rauraker, deren Gebiet
(Basel und das südliche Elsass) in ähnlicher Weise bedroht war,
ferner die Reste der Boier, die bereits früher von den Germanen
gezwungen waren ihrer Heimath den Rücken zu kehren und nun

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von ihm als eine Nation behandelt, die er ganz sich unterwor-
fen, und zwischen den einzelnen Gauen kein Unterschied ge-
macht. Als gedungener Feldhauptmann der Sequaner hatte er
den Rhein überschritten; dennoch muſsten auch sie, als wären
sie gleichfalls besiegte Feinde, ihm für seine Söldner ein Drittel
ihrer Mark abtreten — vermuthlich den später von den Tribok-
kern bewohnten Landstrich —; ja als sei dies nicht genug, ward
ihnen nachher für die nachgekommenen Haruder noch ein zwei-
tes Drittel abverlangt. Ariovist schien im Keltenlande die Rolle
des makedonischen Philipp übernehmen und die germanisch ge-
sinnten Kelten nicht minder wie die den Römern anhängenden
tyrannisiren zu wollen. — Das Auftreten des kräftigen Fürsten
in einer so gefährlichen Nähe, das allein schon die ernstesten
Besorgnisse der Römer erwecken muſste, erschien noch bedroh-
licher insofern, als dasselbe keineswegs vereinzelt stand. Auch
die am rechten Rheinufer ansässigen Usipeten und Tencterer wa-
ren, der unaufhörlichen Verheerung ihres Gebiets durch die über-
müthigen Sueben müde, das Jahr bevor Caesar in Gallien eintraf
(695) aus ihren bisherigen Sitzen aufgebrochen um sich andere
am unteren Rheine zu suchen. Schon hatten sie an dessen Mün-
dung den auf dem rechten Rheinufer belegenen Theil des Gebiets
der Menapier weggenommen und es war vorherzusehen, daſs sie
den Versuch machen würden auch auf dem linken Ufer sich fest-
zusetzen. Zwischen Köln und Mainz sammelten ferner sich sue-
bische Haufen und drohten in dem gegenüberliegenden Keltengau
der Treverer als ungeladene Gäste zu erscheinen. Endlich ward
das Gebiet des östlichsten Clans der Kelten, der streitbaren und
zahlreichen Helvetier immer nachdrücklicher von den Germanen
heimgesucht, so daſs die Helvetier, die vielleicht schon durch das
Zurückströmen ihrer Ansiedler aus dem verlorenen Gebiet nord-
wärts vom Rheine ohnehin an Uebervölkerung litten, überdies
durch die Festsetzung Ariovists im Gebiet der Sequaner einer
völligen Isolirung von ihren Stammgenossen entgegengingen, den
verzweifelten Entschluſs faſsten ihr bisheriges Gebiet freiwillig
den Germanen zu räumen und westlich vom Jura geräumigere
und fruchtbarere Sitze und zugleich wo möglich die Hegemonie
im inneren Gallien zu gewinnen — ein Plan, den schon während
der kimbrischen Invasion einige ihrer Districte gefaſst und aus-
zuführen versucht hatten (II, 167). Die Rauraker, deren Gebiet
(Basel und das südliche Elsaſs) in ähnlicher Weise bedroht war,
ferner die Reste der Boier, die bereits früher von den Germanen
gezwungen waren ihrer Heimath den Rücken zu kehren und nun

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[226/0236] FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. von ihm als eine Nation behandelt, die er ganz sich unterwor- fen, und zwischen den einzelnen Gauen kein Unterschied ge- macht. Als gedungener Feldhauptmann der Sequaner hatte er den Rhein überschritten; dennoch muſsten auch sie, als wären sie gleichfalls besiegte Feinde, ihm für seine Söldner ein Drittel ihrer Mark abtreten — vermuthlich den später von den Tribok- kern bewohnten Landstrich —; ja als sei dies nicht genug, ward ihnen nachher für die nachgekommenen Haruder noch ein zwei- tes Drittel abverlangt. Ariovist schien im Keltenlande die Rolle des makedonischen Philipp übernehmen und die germanisch ge- sinnten Kelten nicht minder wie die den Römern anhängenden tyrannisiren zu wollen. — Das Auftreten des kräftigen Fürsten in einer so gefährlichen Nähe, das allein schon die ernstesten Besorgnisse der Römer erwecken muſste, erschien noch bedroh- licher insofern, als dasselbe keineswegs vereinzelt stand. Auch die am rechten Rheinufer ansässigen Usipeten und Tencterer wa- ren, der unaufhörlichen Verheerung ihres Gebiets durch die über- müthigen Sueben müde, das Jahr bevor Caesar in Gallien eintraf (695) aus ihren bisherigen Sitzen aufgebrochen um sich andere am unteren Rheine zu suchen. Schon hatten sie an dessen Mün- dung den auf dem rechten Rheinufer belegenen Theil des Gebiets der Menapier weggenommen und es war vorherzusehen, daſs sie den Versuch machen würden auch auf dem linken Ufer sich fest- zusetzen. Zwischen Köln und Mainz sammelten ferner sich sue- bische Haufen und drohten in dem gegenüberliegenden Keltengau der Treverer als ungeladene Gäste zu erscheinen. Endlich ward das Gebiet des östlichsten Clans der Kelten, der streitbaren und zahlreichen Helvetier immer nachdrücklicher von den Germanen heimgesucht, so daſs die Helvetier, die vielleicht schon durch das Zurückströmen ihrer Ansiedler aus dem verlorenen Gebiet nord- wärts vom Rheine ohnehin an Uebervölkerung litten, überdies durch die Festsetzung Ariovists im Gebiet der Sequaner einer völligen Isolirung von ihren Stammgenossen entgegengingen, den verzweifelten Entschluſs faſsten ihr bisheriges Gebiet freiwillig den Germanen zu räumen und westlich vom Jura geräumigere und fruchtbarere Sitze und zugleich wo möglich die Hegemonie im inneren Gallien zu gewinnen — ein Plan, den schon während der kimbrischen Invasion einige ihrer Districte gefaſst und aus- zuführen versucht hatten (II, 167). Die Rauraker, deren Gebiet (Basel und das südliche Elsaſs) in ähnlicher Weise bedroht war, ferner die Reste der Boier, die bereits früher von den Germanen gezwungen waren ihrer Heimath den Rücken zu kehren und nun

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/236>, abgerufen am 30.04.2024.