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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.

Am Bodensee also war der hier drohenden Invasion der
Deutschen vorgebeugt und zugleich die den Römern feindliche
Partei unter den Kelten gedemüthigt. Eine schwerere Arbeit
stand bevor gegen die am Mittelrhein bereits über den Rhein
gegangenen und täglich sich mehrenden Deutschen. Die Römer
hatten Ursache genug gegen die in Gallien mit ihnen concur-
rirende Macht des Ariovist feindlich aufzutreten; die Veranlas-
sung war leicht gefunden. Im Vergleich mit dem von Ariovist
ihnen drohenden oder bereits auferlegten Joch mochte dem
grösseren Theil der Kelten die römische Suprematie das gerin-
gere Uebel dünken; die Minorität, die an ihrem Römerhass fest-
hielt, musste wenigstens verstummen. Ein unter römischem Ein-
fluss abgehaltener Landtag der Keltenstämme des mittleren Galliens
ersuchte im Namen der keltischen Nation den römischen Feld-
herrn um Beistand gegen die Deutschen. Der Feldherr ging darauf
ein und auf seine Veranlassung stellten die Haeduer die Zahlung
des vertragsmässig an Ariovist zu entrichtenden Tributes ein und
forderten die gestellten Geisseln zurück. Die Angriffe, die Ario-
vist wegen dieses Vertragsbruchs gegen die Clienten Roms rich-
tete, gaben Caesar Veranlassung mit ihm in directe Verhandlung
zu treten und ausser der Rückgabe der Geisseln und dem Verspre-
chen mit den Haeduern Frieden zu halten namentlich zu fordern,
dass Ariovist sich anheischig mache keine Deutschen mehr über
den Rhein nachzuziehen. Der deutsche Feldherr begegnete dem
römischen mit dem Vollgefühl ebenbürtiger Macht und eben-
bürtigen Rechtes. Ihm sei das nördliche Gallien so gut nach
Kriegsrecht unterthänig geworden wie den Römern das südliche;
wie er die Römer nicht hindere von den Allobrogen Tribut zu
nehmen, so dürften auch sie ihm nicht wehren seine Untertha-
nen zu besteuern. In späteren geheimen Eröffnungen zeigte es
sich, dass der Fürst der römischen Verhältnisse wohl kundig
war: er erwähnte der Aufforderungen, die ihm von Rom aus zu-
gekommen seien Caesar aus dem Wege zu räumen und erbot
sich, wenn Caesar ihm das nördliche Gallien überlassen wolle,
ihm dagegen zur Erlangung der Herrschaft über Italien behülf-
lich zu sein -- wie ihm der Hader der keltischen Nation Gallien
eröffnet hatte, so schien er von dem Hader der italischen die Be-

Colonien Caesars die Beinamen sextanorum, decimanorum u. a. m. Es
waren keltische oder deutsche Reiter Caesars, die, natürlich unter Erthei-
lung des römischen oder doch des latinischen Bürgerrechts, hier Landloose
empfingen.
FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.

Am Bodensee also war der hier drohenden Invasion der
Deutschen vorgebeugt und zugleich die den Römern feindliche
Partei unter den Kelten gedemüthigt. Eine schwerere Arbeit
stand bevor gegen die am Mittelrhein bereits über den Rhein
gegangenen und täglich sich mehrenden Deutschen. Die Römer
hatten Ursache genug gegen die in Gallien mit ihnen concur-
rirende Macht des Ariovist feindlich aufzutreten; die Veranlas-
sung war leicht gefunden. Im Vergleich mit dem von Ariovist
ihnen drohenden oder bereits auferlegten Joch mochte dem
gröſseren Theil der Kelten die römische Suprematie das gerin-
gere Uebel dünken; die Minorität, die an ihrem Römerhaſs fest-
hielt, muſste wenigstens verstummen. Ein unter römischem Ein-
fluſs abgehaltener Landtag der Keltenstämme des mittleren Galliens
ersuchte im Namen der keltischen Nation den römischen Feld-
herrn um Beistand gegen die Deutschen. Der Feldherr ging darauf
ein und auf seine Veranlassung stellten die Haeduer die Zahlung
des vertragsmäſsig an Ariovist zu entrichtenden Tributes ein und
forderten die gestellten Geiſseln zurück. Die Angriffe, die Ario-
vist wegen dieses Vertragsbruchs gegen die Clienten Roms rich-
tete, gaben Caesar Veranlassung mit ihm in directe Verhandlung
zu treten und auſser der Rückgabe der Geiſseln und dem Verspre-
chen mit den Haeduern Frieden zu halten namentlich zu fordern,
daſs Ariovist sich anheischig mache keine Deutschen mehr über
den Rhein nachzuziehen. Der deutsche Feldherr begegnete dem
römischen mit dem Vollgefühl ebenbürtiger Macht und eben-
bürtigen Rechtes. Ihm sei das nördliche Gallien so gut nach
Kriegsrecht unterthänig geworden wie den Römern das südliche;
wie er die Römer nicht hindere von den Allobrogen Tribut zu
nehmen, so dürften auch sie ihm nicht wehren seine Untertha-
nen zu besteuern. In späteren geheimen Eröffnungen zeigte es
sich, daſs der Fürst der römischen Verhältnisse wohl kundig
war: er erwähnte der Aufforderungen, die ihm von Rom aus zu-
gekommen seien Caesar aus dem Wege zu räumen und erbot
sich, wenn Caesar ihm das nördliche Gallien überlassen wolle,
ihm dagegen zur Erlangung der Herrschaft über Italien behülf-
lich zu sein — wie ihm der Hader der keltischen Nation Gallien
eröffnet hatte, so schien er von dem Hader der italischen die Be-

Colonien Caesars die Beinamen sextanorum, decimanorum u. a. m. Es
waren keltische oder deutsche Reiter Caesars, die, natürlich unter Erthei-
lung des römischen oder doch des latinischen Bürgerrechts, hier Landloose
empfingen.
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[232/0242] FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. Am Bodensee also war der hier drohenden Invasion der Deutschen vorgebeugt und zugleich die den Römern feindliche Partei unter den Kelten gedemüthigt. Eine schwerere Arbeit stand bevor gegen die am Mittelrhein bereits über den Rhein gegangenen und täglich sich mehrenden Deutschen. Die Römer hatten Ursache genug gegen die in Gallien mit ihnen concur- rirende Macht des Ariovist feindlich aufzutreten; die Veranlas- sung war leicht gefunden. Im Vergleich mit dem von Ariovist ihnen drohenden oder bereits auferlegten Joch mochte dem gröſseren Theil der Kelten die römische Suprematie das gerin- gere Uebel dünken; die Minorität, die an ihrem Römerhaſs fest- hielt, muſste wenigstens verstummen. Ein unter römischem Ein- fluſs abgehaltener Landtag der Keltenstämme des mittleren Galliens ersuchte im Namen der keltischen Nation den römischen Feld- herrn um Beistand gegen die Deutschen. Der Feldherr ging darauf ein und auf seine Veranlassung stellten die Haeduer die Zahlung des vertragsmäſsig an Ariovist zu entrichtenden Tributes ein und forderten die gestellten Geiſseln zurück. Die Angriffe, die Ario- vist wegen dieses Vertragsbruchs gegen die Clienten Roms rich- tete, gaben Caesar Veranlassung mit ihm in directe Verhandlung zu treten und auſser der Rückgabe der Geiſseln und dem Verspre- chen mit den Haeduern Frieden zu halten namentlich zu fordern, daſs Ariovist sich anheischig mache keine Deutschen mehr über den Rhein nachzuziehen. Der deutsche Feldherr begegnete dem römischen mit dem Vollgefühl ebenbürtiger Macht und eben- bürtigen Rechtes. Ihm sei das nördliche Gallien so gut nach Kriegsrecht unterthänig geworden wie den Römern das südliche; wie er die Römer nicht hindere von den Allobrogen Tribut zu nehmen, so dürften auch sie ihm nicht wehren seine Untertha- nen zu besteuern. In späteren geheimen Eröffnungen zeigte es sich, daſs der Fürst der römischen Verhältnisse wohl kundig war: er erwähnte der Aufforderungen, die ihm von Rom aus zu- gekommen seien Caesar aus dem Wege zu räumen und erbot sich, wenn Caesar ihm das nördliche Gallien überlassen wolle, ihm dagegen zur Erlangung der Herrschaft über Italien behülf- lich zu sein — wie ihm der Hader der keltischen Nation Gallien eröffnet hatte, so schien er von dem Hader der italischen die Be- * * Colonien Caesars die Beinamen sextanorum, decimanorum u. a. m. Es waren keltische oder deutsche Reiter Caesars, die, natürlich unter Erthei- lung des römischen oder doch des latinischen Bürgerrechts, hier Landloose empfingen.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/242>, abgerufen am 30.04.2024.