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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
treverische Gebiet bedrohten, zogen auf die Nachricht von Ario-
vists Niederlage wieder zurück in das innere Dentschland, wobei
sie unterwegs durch die nächstwohnenden Völkerschaften an-
sehnliche Einbusse erlitten.

Die Folgen dieses einen Feldzuges waren unermesslich;
noch Jahrtausende nachher wurden sie empfunden. Der Rhein
war die Grenze des römischen Reiches gegen die Deutschen ge-
worden. In Gallien, das nicht mehr vermochte sich selber zu
gebieten, hatten bisher die Römer im Süden geherrscht, seit Kur-
zem die Deutschen versucht im Norden sich festzusetzen. In
Folge der letzten Ereignisse war es entschieden worden, dass
Gallien nicht nur zum Theil, sondern ganz der römischen Ober-
hoheit unterlag und dass die Naturgrenze, die der mächtige Fluss
darbietet, auch bestimmt war die staatliche Grenze zu werden.
In seiner besseren Zeit hatte der Senat nicht geruht, bis die
Herrschaft Roms Italiens natürliche Grenzen erreicht hatte, die
Alpen und das Mittelmeer mit seinen Inseln. Einer ähnlichen
militärischen Arrondirung bedurfte auch das erweiterte Reich;
aber die Regierung überliess dieselbe dem Zufall und sah höch-
stens darauf, nicht dass die Grenzen vertheidigt werden konn-
ten, sondern dass sie nicht unmittelbar von ihr selbst verthei-
digt zu werden brauchten. Man fühlte es, dass jetzt ein ande-
rer Geist und ein anderer Arm die Geschicke Roms zu lenken
begann.

Die Grundmauern des künftigen Gebäudes standen; es han-
delte sich darum dasselbe auszubauen und bei den Galliern die
Anerkennung der römischen Herrschaft, bei den Deutschen die
der Rheingrenze vollständig durchzuführen. Es fehlte hieran
doch noch gar viel. In ganz Mittelgallien zwar von der römi-
schen Grenze bis hinauf nach Chartres und Trier fügte man sich
ohne Widerrede dem neuen Machthaber und am oberen und mitt-
leren Rhein war auch von den Deutschen vorläufig kein Angriff
zu besorgen. Allein das nördliche Gallien, sowohl die armorica-
nischen Gaue in der Bretagne und der Normandie als auch die
mächtigere Conföderation der Belgen war von den gegen das
mittlere Gallien geführten Schlägen nicht mit getroffen worden.
Es kam hinzu, dass, wie bemerkt, zwischen den Belgen und den
überrheinischen Deutschen sehr enge Beziehungen bestanden und
auch an der Rheinmündung germanische Stämme sich fertig

in Gallien von ihm getroffenen organischen Einrichtungen grundsätzlich
Stillschweigen beobachtet.

DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
treverische Gebiet bedrohten, zogen auf die Nachricht von Ario-
vists Niederlage wieder zurück in das innere Dentschland, wobei
sie unterwegs durch die nächstwohnenden Völkerschaften an-
sehnliche Einbuſse erlitten.

Die Folgen dieses einen Feldzuges waren unermeſslich;
noch Jahrtausende nachher wurden sie empfunden. Der Rhein
war die Grenze des römischen Reiches gegen die Deutschen ge-
worden. In Gallien, das nicht mehr vermochte sich selber zu
gebieten, hatten bisher die Römer im Süden geherrscht, seit Kur-
zem die Deutschen versucht im Norden sich festzusetzen. In
Folge der letzten Ereignisse war es entschieden worden, daſs
Gallien nicht nur zum Theil, sondern ganz der römischen Ober-
hoheit unterlag und daſs die Naturgrenze, die der mächtige Fluſs
darbietet, auch bestimmt war die staatliche Grenze zu werden.
In seiner besseren Zeit hatte der Senat nicht geruht, bis die
Herrschaft Roms Italiens natürliche Grenzen erreicht hatte, die
Alpen und das Mittelmeer mit seinen Inseln. Einer ähnlichen
militärischen Arrondirung bedurfte auch das erweiterte Reich;
aber die Regierung überlieſs dieselbe dem Zufall und sah höch-
stens darauf, nicht daſs die Grenzen vertheidigt werden konn-
ten, sondern daſs sie nicht unmittelbar von ihr selbst verthei-
digt zu werden brauchten. Man fühlte es, daſs jetzt ein ande-
rer Geist und ein anderer Arm die Geschicke Roms zu lenken
begann.

Die Grundmauern des künftigen Gebäudes standen; es han-
delte sich darum dasselbe auszubauen und bei den Galliern die
Anerkennung der römischen Herrschaft, bei den Deutschen die
der Rheingrenze vollständig durchzuführen. Es fehlte hieran
doch noch gar viel. In ganz Mittelgallien zwar von der römi-
schen Grenze bis hinauf nach Chartres und Trier fügte man sich
ohne Widerrede dem neuen Machthaber und am oberen und mitt-
leren Rhein war auch von den Deutschen vorläufig kein Angriff
zu besorgen. Allein das nördliche Gallien, sowohl die armorica-
nischen Gaue in der Bretagne und der Normandie als auch die
mächtigere Conföderation der Belgen war von den gegen das
mittlere Gallien geführten Schlägen nicht mit getroffen worden.
Es kam hinzu, daſs, wie bemerkt, zwischen den Belgen und den
überrheinischen Deutschen sehr enge Beziehungen bestanden und
auch an der Rheinmündung germanische Stämme sich fertig

in Gallien von ihm getroffenen organischen Einrichtungen grundsätzlich
Stillschweigen beobachtet.
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[235/0245] DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. treverische Gebiet bedrohten, zogen auf die Nachricht von Ario- vists Niederlage wieder zurück in das innere Dentschland, wobei sie unterwegs durch die nächstwohnenden Völkerschaften an- sehnliche Einbuſse erlitten. Die Folgen dieses einen Feldzuges waren unermeſslich; noch Jahrtausende nachher wurden sie empfunden. Der Rhein war die Grenze des römischen Reiches gegen die Deutschen ge- worden. In Gallien, das nicht mehr vermochte sich selber zu gebieten, hatten bisher die Römer im Süden geherrscht, seit Kur- zem die Deutschen versucht im Norden sich festzusetzen. In Folge der letzten Ereignisse war es entschieden worden, daſs Gallien nicht nur zum Theil, sondern ganz der römischen Ober- hoheit unterlag und daſs die Naturgrenze, die der mächtige Fluſs darbietet, auch bestimmt war die staatliche Grenze zu werden. In seiner besseren Zeit hatte der Senat nicht geruht, bis die Herrschaft Roms Italiens natürliche Grenzen erreicht hatte, die Alpen und das Mittelmeer mit seinen Inseln. Einer ähnlichen militärischen Arrondirung bedurfte auch das erweiterte Reich; aber die Regierung überlieſs dieselbe dem Zufall und sah höch- stens darauf, nicht daſs die Grenzen vertheidigt werden konn- ten, sondern daſs sie nicht unmittelbar von ihr selbst verthei- digt zu werden brauchten. Man fühlte es, daſs jetzt ein ande- rer Geist und ein anderer Arm die Geschicke Roms zu lenken begann. Die Grundmauern des künftigen Gebäudes standen; es han- delte sich darum dasselbe auszubauen und bei den Galliern die Anerkennung der römischen Herrschaft, bei den Deutschen die der Rheingrenze vollständig durchzuführen. Es fehlte hieran doch noch gar viel. In ganz Mittelgallien zwar von der römi- schen Grenze bis hinauf nach Chartres und Trier fügte man sich ohne Widerrede dem neuen Machthaber und am oberen und mitt- leren Rhein war auch von den Deutschen vorläufig kein Angriff zu besorgen. Allein das nördliche Gallien, sowohl die armorica- nischen Gaue in der Bretagne und der Normandie als auch die mächtigere Conföderation der Belgen war von den gegen das mittlere Gallien geführten Schlägen nicht mit getroffen worden. Es kam hinzu, daſs, wie bemerkt, zwischen den Belgen und den überrheinischen Deutschen sehr enge Beziehungen bestanden und auch an der Rheinmündung germanische Stämme sich fertig * * in Gallien von ihm getroffenen organischen Einrichtungen grundsätzlich Stillschweigen beobachtet.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/245>, abgerufen am 30.04.2024.