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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Schlacht entspann sich eine Anzahl zusammenhangloser Gefechte.
Labienus mit dem linken Flügel warf die Atrebaten und verfolgte
sie bis über den Fluss. Das römische Mitteltreffen drängte die
Veromanduer den Abhang hinab. Auf dem rechten Flügel aber
wurden die Römer von den weit zahlreicheren Nerviern völlig
umzingelt und der Uferkamm mit dem halbfertigen Lager von
diesen besetzt; die beiden Legionen, jede einzeln in ein dichtes
Knäuel geballt und von vorn und in beiden Flanken angegriffen,
ihrer meisten Offiziere und ihrer besten Soldaten beraubt, schie-
nen im Begriff gesprengt und zusammengehauen zu werden.
Schon flohen der römische Tross und die Bundestruppen nach
allen Seiten; von der keltischen Reiterei jagten ganze Abtheilun-
gen, wie das Contingent der Treverer, mit verhängten Zügeln da-
von, um vom Schlachtfelde selbst die willkommene Kunde der
erlittenen Niederlage daheim zu melden. Es stand alles auf dem
Spiel. Der Feldherr selbst ergriff den Schild und focht unter den
Vordersten; sein Beispiel, sein auch jetzt noch begeisternder Zu-
ruf brachten die schwankenden Reihen wieder zum Stehen. Schon
hatte man einigermassen sich Luft gemacht und wenigstens die
Verbindung der beiden Legionen dieses Flügels wiederhergestellt,
als Succurs herbeikam: theils die römische Nachhut, die mit dem
Gepäck erst jetzt eintraf, theils vom andern Flussufer her die sieg-
reiche zehnte Legion, die Labienus, endlich die auf dem rechten
Flügel drohende Gefahr gewahrend, seinem Feldherrn zu Hülfe
sandte. Die Nervier, von ihren Verbündeten getrennt und von
allen Seiten zugleich angegriffen, bewährten jetzt, wo das Glück
sich wandte, denselben Heldenmuth, wie da sie sich Sieger glaub-
ten; noch von den Leichenbergen der Ihrigen herunter fochten
sie bis auf den letzten Mann. Nach ihrer eigenen Angabe über-
lebten von ihren sechshundert Rathsherren nur drei diesen Tag.
Nach einer so vernichtenden Niederlage mussten die Nervier,
Atrebaten und Veromanduer wohl die römische Hoheit anerken-
nen. Die Aduatuker, zu spät eingetroffen um an dem Kampfe an
der Sambre Theil zu nehmen, versuchten zwar noch in einer
ihrer Festungen sich zu halten, allein auch sie unterwarfen sich;
ein Versuch nach der Ergebung das römische Lager vor der
Stadt nächtlich zu überfallen, schlug fehl und der Treubruch
ward von den Römern mit furchtbarer Strenge geahndet. Die
Clientel der Aduatuker, die aus den Eburonen zwischen Maas und
Rhein und anderen kleinen benachbarten Stämmen bestand, wurde
von den Römern selbstständig erklärt, die gefangenen Aduatuker
aber in Masse zu Gunsten des römischen Schatzes unter dem

FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Schlacht entspann sich eine Anzahl zusammenhangloser Gefechte.
Labienus mit dem linken Flügel warf die Atrebaten und verfolgte
sie bis über den Fluſs. Das römische Mitteltreffen drängte die
Veromanduer den Abhang hinab. Auf dem rechten Flügel aber
wurden die Römer von den weit zahlreicheren Nerviern völlig
umzingelt und der Uferkamm mit dem halbfertigen Lager von
diesen besetzt; die beiden Legionen, jede einzeln in ein dichtes
Knäuel geballt und von vorn und in beiden Flanken angegriffen,
ihrer meisten Offiziere und ihrer besten Soldaten beraubt, schie-
nen im Begriff gesprengt und zusammengehauen zu werden.
Schon flohen der römische Troſs und die Bundestruppen nach
allen Seiten; von der keltischen Reiterei jagten ganze Abtheilun-
gen, wie das Contingent der Treverer, mit verhängten Zügeln da-
von, um vom Schlachtfelde selbst die willkommene Kunde der
erlittenen Niederlage daheim zu melden. Es stand alles auf dem
Spiel. Der Feldherr selbst ergriff den Schild und focht unter den
Vordersten; sein Beispiel, sein auch jetzt noch begeisternder Zu-
ruf brachten die schwankenden Reihen wieder zum Stehen. Schon
hatte man einigermaſsen sich Luft gemacht und wenigstens die
Verbindung der beiden Legionen dieses Flügels wiederhergestellt,
als Succurs herbeikam: theils die römische Nachhut, die mit dem
Gepäck erst jetzt eintraf, theils vom andern Fluſsufer her die sieg-
reiche zehnte Legion, die Labienus, endlich die auf dem rechten
Flügel drohende Gefahr gewahrend, seinem Feldherrn zu Hülfe
sandte. Die Nervier, von ihren Verbündeten getrennt und von
allen Seiten zugleich angegriffen, bewährten jetzt, wo das Glück
sich wandte, denselben Heldenmuth, wie da sie sich Sieger glaub-
ten; noch von den Leichenbergen der Ihrigen herunter fochten
sie bis auf den letzten Mann. Nach ihrer eigenen Angabe über-
lebten von ihren sechshundert Rathsherren nur drei diesen Tag.
Nach einer so vernichtenden Niederlage muſsten die Nervier,
Atrebaten und Veromanduer wohl die römische Hoheit anerken-
nen. Die Aduatuker, zu spät eingetroffen um an dem Kampfe an
der Sambre Theil zu nehmen, versuchten zwar noch in einer
ihrer Festungen sich zu halten, allein auch sie unterwarfen sich;
ein Versuch nach der Ergebung das römische Lager vor der
Stadt nächtlich zu überfallen, schlug fehl und der Treubruch
ward von den Römern mit furchtbarer Strenge geahndet. Die
Clientel der Aduatuker, die aus den Eburonen zwischen Maas und
Rhein und anderen kleinen benachbarten Stämmen bestand, wurde
von den Römern selbstständig erklärt, die gefangenen Aduatuker
aber in Masse zu Gunsten des römischen Schatzes unter dem

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[238/0248] FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. Schlacht entspann sich eine Anzahl zusammenhangloser Gefechte. Labienus mit dem linken Flügel warf die Atrebaten und verfolgte sie bis über den Fluſs. Das römische Mitteltreffen drängte die Veromanduer den Abhang hinab. Auf dem rechten Flügel aber wurden die Römer von den weit zahlreicheren Nerviern völlig umzingelt und der Uferkamm mit dem halbfertigen Lager von diesen besetzt; die beiden Legionen, jede einzeln in ein dichtes Knäuel geballt und von vorn und in beiden Flanken angegriffen, ihrer meisten Offiziere und ihrer besten Soldaten beraubt, schie- nen im Begriff gesprengt und zusammengehauen zu werden. Schon flohen der römische Troſs und die Bundestruppen nach allen Seiten; von der keltischen Reiterei jagten ganze Abtheilun- gen, wie das Contingent der Treverer, mit verhängten Zügeln da- von, um vom Schlachtfelde selbst die willkommene Kunde der erlittenen Niederlage daheim zu melden. Es stand alles auf dem Spiel. Der Feldherr selbst ergriff den Schild und focht unter den Vordersten; sein Beispiel, sein auch jetzt noch begeisternder Zu- ruf brachten die schwankenden Reihen wieder zum Stehen. Schon hatte man einigermaſsen sich Luft gemacht und wenigstens die Verbindung der beiden Legionen dieses Flügels wiederhergestellt, als Succurs herbeikam: theils die römische Nachhut, die mit dem Gepäck erst jetzt eintraf, theils vom andern Fluſsufer her die sieg- reiche zehnte Legion, die Labienus, endlich die auf dem rechten Flügel drohende Gefahr gewahrend, seinem Feldherrn zu Hülfe sandte. Die Nervier, von ihren Verbündeten getrennt und von allen Seiten zugleich angegriffen, bewährten jetzt, wo das Glück sich wandte, denselben Heldenmuth, wie da sie sich Sieger glaub- ten; noch von den Leichenbergen der Ihrigen herunter fochten sie bis auf den letzten Mann. Nach ihrer eigenen Angabe über- lebten von ihren sechshundert Rathsherren nur drei diesen Tag. Nach einer so vernichtenden Niederlage muſsten die Nervier, Atrebaten und Veromanduer wohl die römische Hoheit anerken- nen. Die Aduatuker, zu spät eingetroffen um an dem Kampfe an der Sambre Theil zu nehmen, versuchten zwar noch in einer ihrer Festungen sich zu halten, allein auch sie unterwarfen sich; ein Versuch nach der Ergebung das römische Lager vor der Stadt nächtlich zu überfallen, schlug fehl und der Treubruch ward von den Römern mit furchtbarer Strenge geahndet. Die Clientel der Aduatuker, die aus den Eburonen zwischen Maas und Rhein und anderen kleinen benachbarten Stämmen bestand, wurde von den Römern selbstständig erklärt, die gefangenen Aduatuker aber in Masse zu Gunsten des römischen Schatzes unter dem

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/248>, abgerufen am 30.04.2024.