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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
mächtigen und intelligenten Venetern; gegen sie ward zu Lande
und zur See der Hauptangriff gerichtet. Die Flotte, die theils aus
den Schiffen der unterthänigen Keltengaue, theils aus einer An-
zahl römischer eiligst auf der Loire erbauter und mit Ruderern
aus der narbonensischen Provinz ausgerüsteter Galeeren bestand,
führte der Unterfeldherr Decimus Brutus heran; Caesar selbst
rückte mit dem Kern seiner Infanterie in ihr Gebiet ein. Aber
man war dort vorbereitet und hatte ebenso geschickt wie ent-
schlossen die günstigen Verhältnisse benutzt, die das bretagni-
sche Terrain und der Besitz einer ansehnlichen Flotte darbot.
Die Landschaft war durchschnitten und getreidearm, die Städte
grösstentheils auf Klippen und Landspitzen gelegen und nur
durch schwer zu passirende Watten vom Festlande her zugänglich;
die Verpflegung wie die Belagerung waren für das zu Lande an-
greifende Heer gleich schwierig, während die Kelten durch ihre
Schiffe die Städte leicht mit allem Nöthigen versehen und im
schlimmsten Fall die Räumung derselben bewerkstelligen konn-
ten. Die Legionen verschwendeten in diesen Belagerungen der
venetischen Ortschaften Zeit und Kraft, um zuletzt die wesent-
lichen Früchte des Sieges auf den Schiffen der Feinde ver-
schwinden zu sehen. Als die römische Flotte, lange in der Loire-
mündung von Stürmen zurückgehalten, endlich an der bretagni-
schen Küste eintraf, überliess man es ihr den Kampf durch
eine Seeschlacht zu entscheiden. Die Kelten, ihrer Ueberlegen-
heit auf diesem Elemente sich bewusst, führten gegen die von
Brutus befehligte römische Flotte die ihrige vor. Nicht bloss
zählte diese zweihundertundzwanzig Segel, weit mehr, als die
Römer hatten aufbringen können, sondern ihre hochbordigen
festgebauten Segelschiffe von flachem Boden waren auch bei wei-
tem geeigneter für die hochgehenden Fluthen des atlantischen
Meeres als die niedrigen leichtgefugten Rudergaleeren der Rö-
mer mit ihren scharfen Kielen. Weder die Geschosse noch die
Enterbrücken der Römer vermochten das hohe Deck der feind-
lichen Schiffe zu erreichen und an den mächtigen Eichenplanken
derselben prallten die eisernen Schnäbel machtlos ab. Allein die
römischen Schiffsleute zerschnitten die Taue, durch welche die
Raae an den Masten befestigt waren, mittelst an langen Stangen
befestigter Sicheln; Raae und Segel stürzten herab und, da man
den Schaden nicht rasch zu ersetzen verstand, ward das Schiff
dadurch zum Wrack wie heutzutage durch Stürzen der Maste,
und leicht gelang es den römischen Böten durch vereinigten An-
griff des gelähmten feindlichen Schiffes sich zu bemeistern. Als

FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
mächtigen und intelligenten Venetern; gegen sie ward zu Lande
und zur See der Hauptangriff gerichtet. Die Flotte, die theils aus
den Schiffen der unterthänigen Keltengaue, theils aus einer An-
zahl römischer eiligst auf der Loire erbauter und mit Ruderern
aus der narbonensischen Provinz ausgerüsteter Galeeren bestand,
führte der Unterfeldherr Decimus Brutus heran; Caesar selbst
rückte mit dem Kern seiner Infanterie in ihr Gebiet ein. Aber
man war dort vorbereitet und hatte ebenso geschickt wie ent-
schlossen die günstigen Verhältnisse benutzt, die das bretagni-
sche Terrain und der Besitz einer ansehnlichen Flotte darbot.
Die Landschaft war durchschnitten und getreidearm, die Städte
gröſstentheils auf Klippen und Landspitzen gelegen und nur
durch schwer zu passirende Watten vom Festlande her zugänglich;
die Verpflegung wie die Belagerung waren für das zu Lande an-
greifende Heer gleich schwierig, während die Kelten durch ihre
Schiffe die Städte leicht mit allem Nöthigen versehen und im
schlimmsten Fall die Räumung derselben bewerkstelligen konn-
ten. Die Legionen verschwendeten in diesen Belagerungen der
venetischen Ortschaften Zeit und Kraft, um zuletzt die wesent-
lichen Früchte des Sieges auf den Schiffen der Feinde ver-
schwinden zu sehen. Als die römische Flotte, lange in der Loire-
mündung von Stürmen zurückgehalten, endlich an der bretagni-
schen Küste eintraf, überlieſs man es ihr den Kampf durch
eine Seeschlacht zu entscheiden. Die Kelten, ihrer Ueberlegen-
heit auf diesem Elemente sich bewuſst, führten gegen die von
Brutus befehligte römische Flotte die ihrige vor. Nicht bloſs
zählte diese zweihundertundzwanzig Segel, weit mehr, als die
Römer hatten aufbringen können, sondern ihre hochbordigen
festgebauten Segelschiffe von flachem Boden waren auch bei wei-
tem geeigneter für die hochgehenden Fluthen des atlantischen
Meeres als die niedrigen leichtgefugten Rudergaleeren der Rö-
mer mit ihren scharfen Kielen. Weder die Geschosse noch die
Enterbrücken der Römer vermochten das hohe Deck der feind-
lichen Schiffe zu erreichen und an den mächtigen Eichenplanken
derselben prallten die eisernen Schnäbel machtlos ab. Allein die
römischen Schiffsleute zerschnitten die Taue, durch welche die
Raae an den Masten befestigt waren, mittelst an langen Stangen
befestigter Sicheln; Raae und Segel stürzten herab und, da man
den Schaden nicht rasch zu ersetzen verstand, ward das Schiff
dadurch zum Wrack wie heutzutage durch Stürzen der Maste,
und leicht gelang es den römischen Böten durch vereinigten An-
griff des gelähmten feindlichen Schiffes sich zu bemeistern. Als

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[240/0250] FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. mächtigen und intelligenten Venetern; gegen sie ward zu Lande und zur See der Hauptangriff gerichtet. Die Flotte, die theils aus den Schiffen der unterthänigen Keltengaue, theils aus einer An- zahl römischer eiligst auf der Loire erbauter und mit Ruderern aus der narbonensischen Provinz ausgerüsteter Galeeren bestand, führte der Unterfeldherr Decimus Brutus heran; Caesar selbst rückte mit dem Kern seiner Infanterie in ihr Gebiet ein. Aber man war dort vorbereitet und hatte ebenso geschickt wie ent- schlossen die günstigen Verhältnisse benutzt, die das bretagni- sche Terrain und der Besitz einer ansehnlichen Flotte darbot. Die Landschaft war durchschnitten und getreidearm, die Städte gröſstentheils auf Klippen und Landspitzen gelegen und nur durch schwer zu passirende Watten vom Festlande her zugänglich; die Verpflegung wie die Belagerung waren für das zu Lande an- greifende Heer gleich schwierig, während die Kelten durch ihre Schiffe die Städte leicht mit allem Nöthigen versehen und im schlimmsten Fall die Räumung derselben bewerkstelligen konn- ten. Die Legionen verschwendeten in diesen Belagerungen der venetischen Ortschaften Zeit und Kraft, um zuletzt die wesent- lichen Früchte des Sieges auf den Schiffen der Feinde ver- schwinden zu sehen. Als die römische Flotte, lange in der Loire- mündung von Stürmen zurückgehalten, endlich an der bretagni- schen Küste eintraf, überlieſs man es ihr den Kampf durch eine Seeschlacht zu entscheiden. Die Kelten, ihrer Ueberlegen- heit auf diesem Elemente sich bewuſst, führten gegen die von Brutus befehligte römische Flotte die ihrige vor. Nicht bloſs zählte diese zweihundertundzwanzig Segel, weit mehr, als die Römer hatten aufbringen können, sondern ihre hochbordigen festgebauten Segelschiffe von flachem Boden waren auch bei wei- tem geeigneter für die hochgehenden Fluthen des atlantischen Meeres als die niedrigen leichtgefugten Rudergaleeren der Rö- mer mit ihren scharfen Kielen. Weder die Geschosse noch die Enterbrücken der Römer vermochten das hohe Deck der feind- lichen Schiffe zu erreichen und an den mächtigen Eichenplanken derselben prallten die eisernen Schnäbel machtlos ab. Allein die römischen Schiffsleute zerschnitten die Taue, durch welche die Raae an den Masten befestigt waren, mittelst an langen Stangen befestigter Sicheln; Raae und Segel stürzten herab und, da man den Schaden nicht rasch zu ersetzen verstand, ward das Schiff dadurch zum Wrack wie heutzutage durch Stürzen der Maste, und leicht gelang es den römischen Böten durch vereinigten An- griff des gelähmten feindlichen Schiffes sich zu bemeistern. Als

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/250>, abgerufen am 30.04.2024.