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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
hatten die Parther sich unvorbereitet gezeigt. So ward denn der
Euphrat (bei Biradjik) überschritten. Um von da an den Ti-
gris zu gelangen, konnte man einen zwiefachen Weg wählen.
Entweder rückte das Heer am Euphrat hinab bis auf die Höhe
von Seleukeia, wo der Euphrat und der Tigris nur noch wenige
Meilen von einander entfernt sind; oder man schlug sogleich
nach dem Uebergang quer durch die grosse mesopotamische
Wüste auf der kürzesten Linie den Weg zum Tigris ein. Der
erste Weg führte zunächst nach der parthischen Hauptstadt
Ktesiphon, die Seleukeia gegenüber am andern Ufer des Tigris
lag; es erhoben sich für diesen im römischen Kriegsrath meh-
rere gewichtige Stimmen und namentlich der Quästor Gaius Cas-
sius Longinus wies auf die Schwierigkeiten des Wüstenmarsches
und auf die bedenklichen Berichte hin, welche über die Kriegs-
vorbereitungen der Parther von den römischen Besatzungen am
linken Euphratufer einliefen. Allein damit im Widerspruch mel-
dete der arabische Fürst Abgaros, dass die Parther beschäftigt
seien ihre westlichen Landschaften zu räumen. Bereits seien ihre
Schätze eingepackt und ihr Zug in Bewegung, um sich zu den
Hyrkanern und Skythen zu flüchten; nur durch einen Gewalt-
marsch auf dem kürzesten Wege sei es überhaupt noch möglich
sie zu erreichen; durch einen solchen werde es aber auch wahr-
scheinlich gelingen wenigstens den Nachtrab der grossen Armee
unter Surenas und Sillakes einzuholen und aufzureiben und un-
geheure Beute zu gewinnen. Diese Rapporte der befreundeten
Beduinen entschieden über die Marschrichtung: das römische
Heer, bestehend aus sieben Legionen, 4000 Reitern und 4000
Schleuderern und Schützen, wandte vom Euphrat sich ab und
hinein in die unwirthlichen Ebenen des nördlichen Mesopotamiens.
Weit und breit zeigte sich kein Feind; nur Hunger und Durst und
die endlose Sandwüste schienen an den Pforten des Ostens Wache
zu halten. Endlich, nach vieltägigem mühseligem Marsch, zeigten
sich unweit des ersten Flusses, den das römische Heer zu über-
schreiten hatte, des Balissos (Belik), die ersten feindlichen Rei-
ter. Abgaros mit seinen Arabern ward ausgesandt um zu kund-
schaften; die Reiterschaaren wichen zurück bis an und über den
Fluss und verschwanden in der Ferne, verfolgt von Abgaros und
den Seinen. Vergebens harrte man auf seine Rückkehr mit ge-
nauerer Kundschaft. Der Feldherr war ungeduldig endlich an den
ewig zurückweichenden Feind heranzukommen; sein junger ta-
pferer Sohn Publius, der mit der grössten Auszeichnung in Gal-
lien unter Caesar gefochten hatte (S. 227. 243) und von diesem

FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
hatten die Parther sich unvorbereitet gezeigt. So ward denn der
Euphrat (bei Biradjik) überschritten. Um von da an den Ti-
gris zu gelangen, konnte man einen zwiefachen Weg wählen.
Entweder rückte das Heer am Euphrat hinab bis auf die Höhe
von Seleukeia, wo der Euphrat und der Tigris nur noch wenige
Meilen von einander entfernt sind; oder man schlug sogleich
nach dem Uebergang quer durch die groſse mesopotamische
Wüste auf der kürzesten Linie den Weg zum Tigris ein. Der
erste Weg führte zunächst nach der parthischen Hauptstadt
Ktesiphon, die Seleukeia gegenüber am andern Ufer des Tigris
lag; es erhoben sich für diesen im römischen Kriegsrath meh-
rere gewichtige Stimmen und namentlich der Quästor Gaius Cas-
sius Longinus wies auf die Schwierigkeiten des Wüstenmarsches
und auf die bedenklichen Berichte hin, welche über die Kriegs-
vorbereitungen der Parther von den römischen Besatzungen am
linken Euphratufer einliefen. Allein damit im Widerspruch mel-
dete der arabische Fürst Abgaros, daſs die Parther beschäftigt
seien ihre westlichen Landschaften zu räumen. Bereits seien ihre
Schätze eingepackt und ihr Zug in Bewegung, um sich zu den
Hyrkanern und Skythen zu flüchten; nur durch einen Gewalt-
marsch auf dem kürzesten Wege sei es überhaupt noch möglich
sie zu erreichen; durch einen solchen werde es aber auch wahr-
scheinlich gelingen wenigstens den Nachtrab der groſsen Armee
unter Surenas und Sillakes einzuholen und aufzureiben und un-
geheure Beute zu gewinnen. Diese Rapporte der befreundeten
Beduinen entschieden über die Marschrichtung: das römische
Heer, bestehend aus sieben Legionen, 4000 Reitern und 4000
Schleuderern und Schützen, wandte vom Euphrat sich ab und
hinein in die unwirthlichen Ebenen des nördlichen Mesopotamiens.
Weit und breit zeigte sich kein Feind; nur Hunger und Durst und
die endlose Sandwüste schienen an den Pforten des Ostens Wache
zu halten. Endlich, nach vieltägigem mühseligem Marsch, zeigten
sich unweit des ersten Flusses, den das römische Heer zu über-
schreiten hatte, des Balissos (Belik), die ersten feindlichen Rei-
ter. Abgaros mit seinen Arabern ward ausgesandt um zu kund-
schaften; die Reiterschaaren wichen zurück bis an und über den
Fluſs und verschwanden in der Ferne, verfolgt von Abgaros und
den Seinen. Vergebens harrte man auf seine Rückkehr mit ge-
nauerer Kundschaft. Der Feldherr war ungeduldig endlich an den
ewig zurückweichenden Feind heranzukommen; sein junger ta-
pferer Sohn Publius, der mit der gröſsten Auszeichnung in Gal-
lien unter Caesar gefochten hatte (S. 227. 243) und von diesem

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[314/0324] FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX. hatten die Parther sich unvorbereitet gezeigt. So ward denn der Euphrat (bei Biradjik) überschritten. Um von da an den Ti- gris zu gelangen, konnte man einen zwiefachen Weg wählen. Entweder rückte das Heer am Euphrat hinab bis auf die Höhe von Seleukeia, wo der Euphrat und der Tigris nur noch wenige Meilen von einander entfernt sind; oder man schlug sogleich nach dem Uebergang quer durch die groſse mesopotamische Wüste auf der kürzesten Linie den Weg zum Tigris ein. Der erste Weg führte zunächst nach der parthischen Hauptstadt Ktesiphon, die Seleukeia gegenüber am andern Ufer des Tigris lag; es erhoben sich für diesen im römischen Kriegsrath meh- rere gewichtige Stimmen und namentlich der Quästor Gaius Cas- sius Longinus wies auf die Schwierigkeiten des Wüstenmarsches und auf die bedenklichen Berichte hin, welche über die Kriegs- vorbereitungen der Parther von den römischen Besatzungen am linken Euphratufer einliefen. Allein damit im Widerspruch mel- dete der arabische Fürst Abgaros, daſs die Parther beschäftigt seien ihre westlichen Landschaften zu räumen. Bereits seien ihre Schätze eingepackt und ihr Zug in Bewegung, um sich zu den Hyrkanern und Skythen zu flüchten; nur durch einen Gewalt- marsch auf dem kürzesten Wege sei es überhaupt noch möglich sie zu erreichen; durch einen solchen werde es aber auch wahr- scheinlich gelingen wenigstens den Nachtrab der groſsen Armee unter Surenas und Sillakes einzuholen und aufzureiben und un- geheure Beute zu gewinnen. Diese Rapporte der befreundeten Beduinen entschieden über die Marschrichtung: das römische Heer, bestehend aus sieben Legionen, 4000 Reitern und 4000 Schleuderern und Schützen, wandte vom Euphrat sich ab und hinein in die unwirthlichen Ebenen des nördlichen Mesopotamiens. Weit und breit zeigte sich kein Feind; nur Hunger und Durst und die endlose Sandwüste schienen an den Pforten des Ostens Wache zu halten. Endlich, nach vieltägigem mühseligem Marsch, zeigten sich unweit des ersten Flusses, den das römische Heer zu über- schreiten hatte, des Balissos (Belik), die ersten feindlichen Rei- ter. Abgaros mit seinen Arabern ward ausgesandt um zu kund- schaften; die Reiterschaaren wichen zurück bis an und über den Fluſs und verschwanden in der Ferne, verfolgt von Abgaros und den Seinen. Vergebens harrte man auf seine Rückkehr mit ge- nauerer Kundschaft. Der Feldherr war ungeduldig endlich an den ewig zurückweichenden Feind heranzukommen; sein junger ta- pferer Sohn Publius, der mit der gröſsten Auszeichnung in Gal- lien unter Caesar gefochten hatte (S. 227. 243) und von diesem

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/324>, abgerufen am 15.05.2024.