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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
daten setzt physische Tüchtigkeit voraus: bei Caesars Aushebun-
gen wurde mehr als auf Vermögen und Moralität auf Stärke und
Gewandtheit der Rekruten gesehen. Aber die Brauchbarkeit der
Armee beruht wie die einer jeden Maschine vor allen Dingen auf
der Leichtigkeit und der Schnelligkeit der Bewegung: in der Be-
reitschaft zum sofortigen Aufbruch zu jeder Zeit und in der
Schnelligkeit des Marschirens erlangten Caesars Soldaten eine
selten erreichte und wohl nie übertroffene Vollkommenheit. Muth
galt natürlich über alles: die Kunst den kriegerischen Wetteifer
und den Corpsgeist anzufachen, so dass die Bevorzugung einzel-
ner Soldaten oder Abtheilungen selbst den Zurückstehenden als
die nothwendige Folge der Hierarchie der Tapferkeit erschien,
übte Caesar mit unerreichter Meisterschaft. Er gewöhnte den
Leuten das Fürchten ab, indem er nicht selten, wo es ohne ern-
ste Gefahr geschehen konnte, die Soldaten von einem bevorste-
henden Kampf nicht in Kenntniss setzte, sondern sie unvermuthet
auf den Feind treffen liess. Aber der Tapferkeit gleich stand der
Gehorsam. Der Soldat wurde angehalten das Befohlene zu thun,
ohne nach Ursache und Absicht zu fragen; manche zwecklose Stra-
paze wurde einzig als Uebung in der schweren Kunst der blinden
Folgsamkeit ihm auferlegt. Die Disciplin war streng, aber nicht
peinlich: unnachsichtlich ward sie gehandhabt, wenn der Soldat
vor dem Feinde stand; zu andern Zeiten, vor allem nach dem
Siege, wurden die Zügel nachgelassen und wenn es dem sonst
brauchbaren Soldaten dann beliebte sich zu parfümiren oder
mit eleganten Waffen und andern Dingen sich zu putzen, ja sogar
wenn er Brutalitäten oder Unrechtfertigkeiten selbst bedenklicher
Art sich zu Schulden kommen liess und nur nicht zunächst die
militärischen Verhältnisse dadurch berührt wurden, so ging die
Narrentheidung wie das Verbrechen ihm hin und die dessfälligen
Klagen der Provinzialen fanden bei dem Feldherrn ein taubes Ohr.
Meuterei dagegen ward, nicht bloss den Anstiftern, sondern selbst
dem Corps, niemals verziehen. Aber der rechte Soldat soll nicht
bloss überhaupt tüchtig, tapfer und gehorsam, sondern er soll
dies alles willig, ja freiwillig sein; und nur genialen Naturen ist es
gegeben durch Beispiel und durch Hoffnung und vor allem durch
das Bewusstsein zweckmässig gebraucht zu werden die beseelte
Maschine, die sie regieren, zum freudigen Dienen zu bestimmen.
Wenn der Offizier, um von seinen Leuten Tapferkeit zu verlangen,
selber der Gefahr mit ihnen ins Auge gesehen haben muss, so
hatte Caesar auch als Feldherr Gelegenheit gehabt den Degen zu
ziehen und dann gleich dem Besten ihn gebraucht; an Thätigkeit

FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
daten setzt physische Tüchtigkeit voraus: bei Caesars Aushebun-
gen wurde mehr als auf Vermögen und Moralität auf Stärke und
Gewandtheit der Rekruten gesehen. Aber die Brauchbarkeit der
Armee beruht wie die einer jeden Maschine vor allen Dingen auf
der Leichtigkeit und der Schnelligkeit der Bewegung: in der Be-
reitschaft zum sofortigen Aufbruch zu jeder Zeit und in der
Schnelligkeit des Marschirens erlangten Caesars Soldaten eine
selten erreichte und wohl nie übertroffene Vollkommenheit. Muth
galt natürlich über alles: die Kunst den kriegerischen Wetteifer
und den Corpsgeist anzufachen, so daſs die Bevorzugung einzel-
ner Soldaten oder Abtheilungen selbst den Zurückstehenden als
die nothwendige Folge der Hierarchie der Tapferkeit erschien,
übte Caesar mit unerreichter Meisterschaft. Er gewöhnte den
Leuten das Fürchten ab, indem er nicht selten, wo es ohne ern-
ste Gefahr geschehen konnte, die Soldaten von einem bevorste-
henden Kampf nicht in Kenntniſs setzte, sondern sie unvermuthet
auf den Feind treffen lieſs. Aber der Tapferkeit gleich stand der
Gehorsam. Der Soldat wurde angehalten das Befohlene zu thun,
ohne nach Ursache und Absicht zu fragen; manche zwecklose Stra-
paze wurde einzig als Uebung in der schweren Kunst der blinden
Folgsamkeit ihm auferlegt. Die Disciplin war streng, aber nicht
peinlich: unnachsichtlich ward sie gehandhabt, wenn der Soldat
vor dem Feinde stand; zu andern Zeiten, vor allem nach dem
Siege, wurden die Zügel nachgelassen und wenn es dem sonst
brauchbaren Soldaten dann beliebte sich zu parfümiren oder
mit eleganten Waffen und andern Dingen sich zu putzen, ja sogar
wenn er Brutalitäten oder Unrechtfertigkeiten selbst bedenklicher
Art sich zu Schulden kommen lieſs und nur nicht zunächst die
militärischen Verhältnisse dadurch berührt wurden, so ging die
Narrentheidung wie das Verbrechen ihm hin und die deſsfälligen
Klagen der Provinzialen fanden bei dem Feldherrn ein taubes Ohr.
Meuterei dagegen ward, nicht bloſs den Anstiftern, sondern selbst
dem Corps, niemals verziehen. Aber der rechte Soldat soll nicht
bloſs überhaupt tüchtig, tapfer und gehorsam, sondern er soll
dies alles willig, ja freiwillig sein; und nur genialen Naturen ist es
gegeben durch Beispiel und durch Hoffnung und vor allem durch
das Bewuſstsein zweckmäſsig gebraucht zu werden die beseelte
Maschine, die sie regieren, zum freudigen Dienen zu bestimmen.
Wenn der Offizier, um von seinen Leuten Tapferkeit zu verlangen,
selber der Gefahr mit ihnen ins Auge gesehen haben muſs, so
hatte Caesar auch als Feldherr Gelegenheit gehabt den Degen zu
ziehen und dann gleich dem Besten ihn gebraucht; an Thätigkeit

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[344/0354] FÜNFTES BUCH. KAPITEL X. daten setzt physische Tüchtigkeit voraus: bei Caesars Aushebun- gen wurde mehr als auf Vermögen und Moralität auf Stärke und Gewandtheit der Rekruten gesehen. Aber die Brauchbarkeit der Armee beruht wie die einer jeden Maschine vor allen Dingen auf der Leichtigkeit und der Schnelligkeit der Bewegung: in der Be- reitschaft zum sofortigen Aufbruch zu jeder Zeit und in der Schnelligkeit des Marschirens erlangten Caesars Soldaten eine selten erreichte und wohl nie übertroffene Vollkommenheit. Muth galt natürlich über alles: die Kunst den kriegerischen Wetteifer und den Corpsgeist anzufachen, so daſs die Bevorzugung einzel- ner Soldaten oder Abtheilungen selbst den Zurückstehenden als die nothwendige Folge der Hierarchie der Tapferkeit erschien, übte Caesar mit unerreichter Meisterschaft. Er gewöhnte den Leuten das Fürchten ab, indem er nicht selten, wo es ohne ern- ste Gefahr geschehen konnte, die Soldaten von einem bevorste- henden Kampf nicht in Kenntniſs setzte, sondern sie unvermuthet auf den Feind treffen lieſs. Aber der Tapferkeit gleich stand der Gehorsam. Der Soldat wurde angehalten das Befohlene zu thun, ohne nach Ursache und Absicht zu fragen; manche zwecklose Stra- paze wurde einzig als Uebung in der schweren Kunst der blinden Folgsamkeit ihm auferlegt. Die Disciplin war streng, aber nicht peinlich: unnachsichtlich ward sie gehandhabt, wenn der Soldat vor dem Feinde stand; zu andern Zeiten, vor allem nach dem Siege, wurden die Zügel nachgelassen und wenn es dem sonst brauchbaren Soldaten dann beliebte sich zu parfümiren oder mit eleganten Waffen und andern Dingen sich zu putzen, ja sogar wenn er Brutalitäten oder Unrechtfertigkeiten selbst bedenklicher Art sich zu Schulden kommen lieſs und nur nicht zunächst die militärischen Verhältnisse dadurch berührt wurden, so ging die Narrentheidung wie das Verbrechen ihm hin und die deſsfälligen Klagen der Provinzialen fanden bei dem Feldherrn ein taubes Ohr. Meuterei dagegen ward, nicht bloſs den Anstiftern, sondern selbst dem Corps, niemals verziehen. Aber der rechte Soldat soll nicht bloſs überhaupt tüchtig, tapfer und gehorsam, sondern er soll dies alles willig, ja freiwillig sein; und nur genialen Naturen ist es gegeben durch Beispiel und durch Hoffnung und vor allem durch das Bewuſstsein zweckmäſsig gebraucht zu werden die beseelte Maschine, die sie regieren, zum freudigen Dienen zu bestimmen. Wenn der Offizier, um von seinen Leuten Tapferkeit zu verlangen, selber der Gefahr mit ihnen ins Auge gesehen haben muſs, so hatte Caesar auch als Feldherr Gelegenheit gehabt den Degen zu ziehen und dann gleich dem Besten ihn gebraucht; an Thätigkeit

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/354>, abgerufen am 30.04.2024.