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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
wo er zerstörend auftrat, nur den ausgefällten Spruch der ge-
schichtlichen Entwickelung vollzogen, die Keime der Cultur aber
geschützt, wo und wie er sie fand, in seinem eigenen Lande so
gut wie bei der verschwisterten Nation der Hellenen. Er hat das
Römerthum gerettet und erneuert; aber auch das Griechenthum
hat er nicht bloss geschont, sondern mit derselben sicheren Ge-
nialität, womit er die Neugründung Roms vollzog, auch der Re-
generation der Hellenen sich unterzogen und das unterbrochene
Werk des grossen Alexander wieder aufgenommen, dessen Bild,
wohl mag man es glauben, niemals aus Caesars Seele wich. Er
hat diese beiden grossen Aufgaben nicht bloss neben einander,
sondern eine durch die andere gelöst. Die beiden grossen Wesen-
heiten des Menschenthums, die allgemeine und die individuelle
Entwickelung oder Staat und Cultur, einst im Keime vereinigt in
jenen allen fern von den Küsten und Inseln des Mittelmeers in
urväterlicher Einfachheit ihre Heerden weidenden Graecoitalikern,
hatten sich geschieden, als dieselben sich sonderten in Hellenen
und Italiker, und waren seitdem durch Jahrtausende geschieden
geblieben. Jetzt erschuf der Enkel des troischen Fürsten und der
latinischen Königstochter aus einem Staat ohne eigene Cultur und
einer kosmopolitischen Civilisation ein neues Ganze, in welchem
Staat und Cultur auf dem Gipfel menschlichen Daseins, in der
reichen Fülle des glückseligen Alters wiederum sich zusammen-
fanden und den einem solchen Inhalt angemessenen Umkreis
würdig erfüllten. -- Die Linien sind dargelegt, welche Caesar
für dieses Werk gezogen hat, nach denen er selbst arbeitete und
nach denen die Späteren, die viele Jahrhunderte hindurch in
die von diesem Manne vorgezeichneten Bahnen gebannt blieben,
wo nicht mit dem Geiste und der Energie, doch im Ganzen nach
den Intentionen des grossen Meisters weiter zu arbeiten versuch-
ten. Vollendet ist wenig, gar manches nur angelegt. Ob der Plan
vollständig ist, mag entscheiden, wer mit einem solchen Mann in
die Wette zu denken wagt; wir bemerken keine wesentlichen
Lücken in dem was vorliegt, jeder einzelne Baustein genug um
einen Mann unsterblich zu machen und doch wieder alle zusam-
men ein harmonisches Ganze. Fünf und ein halbes Jahr, nicht
halb so lange wie Alexander, schaltete Caesar als König von Rom;
zwischen sieben grossen Feldzügen, die ihm nicht mehr als zu-
sammen funfzehn Monate * in der Hauptstadt seines Reiches zu

* Caesar verweilte in Rom im April und Dec. 705, beide Male auf
wenige Tage; vom Sept. bis Dec. 707; etwa vier Herbstmonate des funf-
zehnmonatlichen Jahres 708 und vom Oct. 709 bis zum März 710.

FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
wo er zerstörend auftrat, nur den ausgefällten Spruch der ge-
schichtlichen Entwickelung vollzogen, die Keime der Cultur aber
geschützt, wo und wie er sie fand, in seinem eigenen Lande so
gut wie bei der verschwisterten Nation der Hellenen. Er hat das
Römerthum gerettet und erneuert; aber auch das Griechenthum
hat er nicht bloſs geschont, sondern mit derselben sicheren Ge-
nialität, womit er die Neugründung Roms vollzog, auch der Re-
generation der Hellenen sich unterzogen und das unterbrochene
Werk des groſsen Alexander wieder aufgenommen, dessen Bild,
wohl mag man es glauben, niemals aus Caesars Seele wich. Er
hat diese beiden groſsen Aufgaben nicht bloſs neben einander,
sondern eine durch die andere gelöst. Die beiden groſsen Wesen-
heiten des Menschenthums, die allgemeine und die individuelle
Entwickelung oder Staat und Cultur, einst im Keime vereinigt in
jenen allen fern von den Küsten und Inseln des Mittelmeers in
urväterlicher Einfachheit ihre Heerden weidenden Graecoitalikern,
hatten sich geschieden, als dieselben sich sonderten in Hellenen
und Italiker, und waren seitdem durch Jahrtausende geschieden
geblieben. Jetzt erschuf der Enkel des troischen Fürsten und der
latinischen Königstochter aus einem Staat ohne eigene Cultur und
einer kosmopolitischen Civilisation ein neues Ganze, in welchem
Staat und Cultur auf dem Gipfel menschlichen Daseins, in der
reichen Fülle des glückseligen Alters wiederum sich zusammen-
fanden und den einem solchen Inhalt angemessenen Umkreis
würdig erfüllten. — Die Linien sind dargelegt, welche Caesar
für dieses Werk gezogen hat, nach denen er selbst arbeitete und
nach denen die Späteren, die viele Jahrhunderte hindurch in
die von diesem Manne vorgezeichneten Bahnen gebannt blieben,
wo nicht mit dem Geiste und der Energie, doch im Ganzen nach
den Intentionen des groſsen Meisters weiter zu arbeiten versuch-
ten. Vollendet ist wenig, gar manches nur angelegt. Ob der Plan
vollständig ist, mag entscheiden, wer mit einem solchen Mann in
die Wette zu denken wagt; wir bemerken keine wesentlichen
Lücken in dem was vorliegt, jeder einzelne Baustein genug um
einen Mann unsterblich zu machen und doch wieder alle zusam-
men ein harmonisches Ganze. Fünf und ein halbes Jahr, nicht
halb so lange wie Alexander, schaltete Caesar als König von Rom;
zwischen sieben groſsen Feldzügen, die ihm nicht mehr als zu-
sammen funfzehn Monate * in der Hauptstadt seines Reiches zu

* Caesar verweilte in Rom im April und Dec. 705, beide Male auf
wenige Tage; vom Sept. bis Dec. 707; etwa vier Herbstmonate des funf-
zehnmonatlichen Jahres 708 und vom Oct. 709 bis zum März 710.
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[524/0534] FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. wo er zerstörend auftrat, nur den ausgefällten Spruch der ge- schichtlichen Entwickelung vollzogen, die Keime der Cultur aber geschützt, wo und wie er sie fand, in seinem eigenen Lande so gut wie bei der verschwisterten Nation der Hellenen. Er hat das Römerthum gerettet und erneuert; aber auch das Griechenthum hat er nicht bloſs geschont, sondern mit derselben sicheren Ge- nialität, womit er die Neugründung Roms vollzog, auch der Re- generation der Hellenen sich unterzogen und das unterbrochene Werk des groſsen Alexander wieder aufgenommen, dessen Bild, wohl mag man es glauben, niemals aus Caesars Seele wich. Er hat diese beiden groſsen Aufgaben nicht bloſs neben einander, sondern eine durch die andere gelöst. Die beiden groſsen Wesen- heiten des Menschenthums, die allgemeine und die individuelle Entwickelung oder Staat und Cultur, einst im Keime vereinigt in jenen allen fern von den Küsten und Inseln des Mittelmeers in urväterlicher Einfachheit ihre Heerden weidenden Graecoitalikern, hatten sich geschieden, als dieselben sich sonderten in Hellenen und Italiker, und waren seitdem durch Jahrtausende geschieden geblieben. Jetzt erschuf der Enkel des troischen Fürsten und der latinischen Königstochter aus einem Staat ohne eigene Cultur und einer kosmopolitischen Civilisation ein neues Ganze, in welchem Staat und Cultur auf dem Gipfel menschlichen Daseins, in der reichen Fülle des glückseligen Alters wiederum sich zusammen- fanden und den einem solchen Inhalt angemessenen Umkreis würdig erfüllten. — Die Linien sind dargelegt, welche Caesar für dieses Werk gezogen hat, nach denen er selbst arbeitete und nach denen die Späteren, die viele Jahrhunderte hindurch in die von diesem Manne vorgezeichneten Bahnen gebannt blieben, wo nicht mit dem Geiste und der Energie, doch im Ganzen nach den Intentionen des groſsen Meisters weiter zu arbeiten versuch- ten. Vollendet ist wenig, gar manches nur angelegt. Ob der Plan vollständig ist, mag entscheiden, wer mit einem solchen Mann in die Wette zu denken wagt; wir bemerken keine wesentlichen Lücken in dem was vorliegt, jeder einzelne Baustein genug um einen Mann unsterblich zu machen und doch wieder alle zusam- men ein harmonisches Ganze. Fünf und ein halbes Jahr, nicht halb so lange wie Alexander, schaltete Caesar als König von Rom; zwischen sieben groſsen Feldzügen, die ihm nicht mehr als zu- sammen funfzehn Monate * in der Hauptstadt seines Reiches zu * Caesar verweilte in Rom im April und Dec. 705, beide Male auf wenige Tage; vom Sept. bis Dec. 707; etwa vier Herbstmonate des funf- zehnmonatlichen Jahres 708 und vom Oct. 709 bis zum März 710.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 524. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/534>, abgerufen am 27.04.2024.