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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
pelle beteten und opferten. Natürlich galten nur noch die aus
dem Osten gekommenen Götter und wie die Menschen fortfuhren
aus den griechischen Landschaften nach Italien zu strömen, so
wanderten auch die Götter des Ostens in immer steigender Zahl
nach dem Westen hinüber. Was der phrygische Cult damals in
Rom bedeutete, beweist sowohl die Polemik bei den älteren Män-
nern, wie bei Varro und Lucretius, als auch die poetische Verherr-
lichung desselben bei dem modernen Catullus, die mit der cha-
rakteristischen Bitte schliesst, dass die Göttin geneigen möge nur
Andere, nicht den Dichter selbst verrückt zu machen. Neu trat
hinzu der persische Götterdienst, der zuerst durch Vermittelung
der von Osten und von Westen her auf dem Mittelmeer sich be-
gegnenden Piraten zu den Occidentalen gelangt sein soll und als
dessen älteste Cultstätte im Westen der Berg Olympos in Lykien
bezeichnet wird. Dafür, dass man bei der Aufnahme der orien-
talischen Culte im Occident das, was sie von höheren speculati-
ven und sittlichen Elementen enthielten, durchgängig fallen liess,
ist es ein merkwürdiger Beleg, dass der höchste Gott der reinen
Lehre Zarathustras Ahuramazda im Westen so gut wie unbekannt
blieb und hier die Verehrung sich vorzugsweise wieder demjeni-
gen Gott zuwandte, der in der alten persischen Volksreligion den
ersten Platz eingenommen hatte und durch Zarathustra an den
zweiten gerückt worden war, dem Sonnengott Mithra. Rascher
noch als die lichteren und milderen persischen Himmelsgestalten
traf der langweilig geheimnissvolle Schwarm der aegyptischen
Göttercarricaturen in Rom ein, die Naturmutter Isis mit ihrem
ganzen Gefolge, dem ewig sterbenden und ewig wieder aufleben-
den Osiris, dem finstern Sarapis, dem schweigsam ernsten Har-
pokrates, dem hundsköpfigen Anubis. In dem Jahre, wo Clodius
die Clubs und Conventikel freigab (696) und ohne Zweifel in
Folge dieser Emancipation des Pöbels, machte jener Schwarm
sogar Anstalt in die alte Burg des römischen Jupiter auf dem Ca-
pitol seinen Einzug zu halten und kaum gelang es ihn hier noch
abzuwehren und die unvermeidlichen Tempel wenigstens in die
Vorstädte Roms zu bannen. Kein Cult war in den unteren Schich-
ten der hauptstädtischen Bevölkerung gleich populär: als der Senat
die innerhalb der Ringmauer angelegten Isistempel einzureissen
befahl, wagte kein Arbeiter die erste Hand daran zu legen und
der Consul Lucius Paullus musste selber den ersten Axtschlag
thun (704); man konnte darauf wetten, dass je lockerer ein
Dirnchen war, es desto frömmer die Isis verehrte. Dass Loos-
werfen, Traumdeuten und dergleichen freie Künste ihren Mann

FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
pelle beteten und opferten. Natürlich galten nur noch die aus
dem Osten gekommenen Götter und wie die Menschen fortfuhren
aus den griechischen Landschaften nach Italien zu strömen, so
wanderten auch die Götter des Ostens in immer steigender Zahl
nach dem Westen hinüber. Was der phrygische Cult damals in
Rom bedeutete, beweist sowohl die Polemik bei den älteren Män-
nern, wie bei Varro und Lucretius, als auch die poetische Verherr-
lichung desselben bei dem modernen Catullus, die mit der cha-
rakteristischen Bitte schlieſst, daſs die Göttin geneigen möge nur
Andere, nicht den Dichter selbst verrückt zu machen. Neu trat
hinzu der persische Götterdienst, der zuerst durch Vermittelung
der von Osten und von Westen her auf dem Mittelmeer sich be-
gegnenden Piraten zu den Occidentalen gelangt sein soll und als
dessen älteste Cultstätte im Westen der Berg Olympos in Lykien
bezeichnet wird. Dafür, daſs man bei der Aufnahme der orien-
talischen Culte im Occident das, was sie von höheren speculati-
ven und sittlichen Elementen enthielten, durchgängig fallen lieſs,
ist es ein merkwürdiger Beleg, daſs der höchste Gott der reinen
Lehre Zarathustras Ahuramazda im Westen so gut wie unbekannt
blieb und hier die Verehrung sich vorzugsweise wieder demjeni-
gen Gott zuwandte, der in der alten persischen Volksreligion den
ersten Platz eingenommen hatte und durch Zarathustra an den
zweiten gerückt worden war, dem Sonnengott Mithra. Rascher
noch als die lichteren und milderen persischen Himmelsgestalten
traf der langweilig geheimniſsvolle Schwarm der aegyptischen
Göttercarricaturen in Rom ein, die Naturmutter Isis mit ihrem
ganzen Gefolge, dem ewig sterbenden und ewig wieder aufleben-
den Osiris, dem finstern Sarapis, dem schweigsam ernsten Har-
pokrates, dem hundsköpfigen Anubis. In dem Jahre, wo Clodius
die Clubs und Conventikel freigab (696) und ohne Zweifel in
Folge dieser Emancipation des Pöbels, machte jener Schwarm
sogar Anstalt in die alte Burg des römischen Jupiter auf dem Ca-
pitol seinen Einzug zu halten und kaum gelang es ihn hier noch
abzuwehren und die unvermeidlichen Tempel wenigstens in die
Vorstädte Roms zu bannen. Kein Cult war in den unteren Schich-
ten der hauptstädtischen Bevölkerung gleich populär: als der Senat
die innerhalb der Ringmauer angelegten Isistempel einzureiſsen
befahl, wagte kein Arbeiter die erste Hand daran zu legen und
der Consul Lucius Paullus muſste selber den ersten Axtschlag
thun (704); man konnte darauf wetten, daſs je lockerer ein
Dirnchen war, es desto frömmer die Isis verehrte. Daſs Loos-
werfen, Traumdeuten und dergleichen freie Künste ihren Mann

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[528/0538] FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. pelle beteten und opferten. Natürlich galten nur noch die aus dem Osten gekommenen Götter und wie die Menschen fortfuhren aus den griechischen Landschaften nach Italien zu strömen, so wanderten auch die Götter des Ostens in immer steigender Zahl nach dem Westen hinüber. Was der phrygische Cult damals in Rom bedeutete, beweist sowohl die Polemik bei den älteren Män- nern, wie bei Varro und Lucretius, als auch die poetische Verherr- lichung desselben bei dem modernen Catullus, die mit der cha- rakteristischen Bitte schlieſst, daſs die Göttin geneigen möge nur Andere, nicht den Dichter selbst verrückt zu machen. Neu trat hinzu der persische Götterdienst, der zuerst durch Vermittelung der von Osten und von Westen her auf dem Mittelmeer sich be- gegnenden Piraten zu den Occidentalen gelangt sein soll und als dessen älteste Cultstätte im Westen der Berg Olympos in Lykien bezeichnet wird. Dafür, daſs man bei der Aufnahme der orien- talischen Culte im Occident das, was sie von höheren speculati- ven und sittlichen Elementen enthielten, durchgängig fallen lieſs, ist es ein merkwürdiger Beleg, daſs der höchste Gott der reinen Lehre Zarathustras Ahuramazda im Westen so gut wie unbekannt blieb und hier die Verehrung sich vorzugsweise wieder demjeni- gen Gott zuwandte, der in der alten persischen Volksreligion den ersten Platz eingenommen hatte und durch Zarathustra an den zweiten gerückt worden war, dem Sonnengott Mithra. Rascher noch als die lichteren und milderen persischen Himmelsgestalten traf der langweilig geheimniſsvolle Schwarm der aegyptischen Göttercarricaturen in Rom ein, die Naturmutter Isis mit ihrem ganzen Gefolge, dem ewig sterbenden und ewig wieder aufleben- den Osiris, dem finstern Sarapis, dem schweigsam ernsten Har- pokrates, dem hundsköpfigen Anubis. In dem Jahre, wo Clodius die Clubs und Conventikel freigab (696) und ohne Zweifel in Folge dieser Emancipation des Pöbels, machte jener Schwarm sogar Anstalt in die alte Burg des römischen Jupiter auf dem Ca- pitol seinen Einzug zu halten und kaum gelang es ihn hier noch abzuwehren und die unvermeidlichen Tempel wenigstens in die Vorstädte Roms zu bannen. Kein Cult war in den unteren Schich- ten der hauptstädtischen Bevölkerung gleich populär: als der Senat die innerhalb der Ringmauer angelegten Isistempel einzureiſsen befahl, wagte kein Arbeiter die erste Hand daran zu legen und der Consul Lucius Paullus muſste selber den ersten Axtschlag thun (704); man konnte darauf wetten, daſs je lockerer ein Dirnchen war, es desto frömmer die Isis verehrte. Daſs Loos- werfen, Traumdeuten und dergleichen freie Künste ihren Mann

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/538>, abgerufen am 29.04.2024.