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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.

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fehlt. Mit dem größten Recht aber sollten Kriminalrichter diese Pflicht auf sich haben. Unsere Lebens- und Leibesstrafen erreichen fast nie die Absicht, die sie haben könnten, und sind daher dem Staat nachtheilig, und oft Grausamkeit fürs leidende Jndividuum.

Man sollte über jeden Verbrecher ein doppeltes Verhör halten. Das erste, wie es nach dem Verfahren in Kriminalsachen vorgeschrieben und erforderlich ist, um das Verbrechen selbst, und dann dessen gesetzliche Moralität auszumitteln. Wäre dies geschehen, der Verbrecher bestraft, dann müßte ein eigentliches psychologisches Verhör über die That angestellt werden. Der Verbrecher müßte angeben, wie er nach und nach darzu gekommen, daß er ein gewisses Verbrechen ausgeübt. Denn würde sichs zeigen, was derselbe thun oder unterlassen müssen, um nicht diesen Schritt zu thun, und hier ginge eigentlich das Amt des Seelenarztes an. Dieser müßte zuförderst den Verbrecher bemerken lassen, welche nachtheilige Folgen für ihn, für die ganze Gesellschaft, aus seiner Handlung entstanden; er müßte Vorschriften machen, nach welchen sich der Verbrecher zu richten hätte, um nie wieder in eine ähnliche Lage zu kommen. Man müßte zu diesem Ende eigene Besserungshäuser haben, die ganz eine andere Verfassung bekommen müßten, als unsere Zuchthäuser gewöhnlich haben. Man würde dann auch sehr selten in den Fall kommen, jeman-


fehlt. Mit dem groͤßten Recht aber sollten Kriminalrichter diese Pflicht auf sich haben. Unsere Lebens- und Leibesstrafen erreichen fast nie die Absicht, die sie haben koͤnnten, und sind daher dem Staat nachtheilig, und oft Grausamkeit fuͤrs leidende Jndividuum.

Man sollte uͤber jeden Verbrecher ein doppeltes Verhoͤr halten. Das erste, wie es nach dem Verfahren in Kriminalsachen vorgeschrieben und erforderlich ist, um das Verbrechen selbst, und dann dessen gesetzliche Moralitaͤt auszumitteln. Waͤre dies geschehen, der Verbrecher bestraft, dann muͤßte ein eigentliches psychologisches Verhoͤr uͤber die That angestellt werden. Der Verbrecher muͤßte angeben, wie er nach und nach darzu gekommen, daß er ein gewisses Verbrechen ausgeuͤbt. Denn wuͤrde sichs zeigen, was derselbe thun oder unterlassen muͤssen, um nicht diesen Schritt zu thun, und hier ginge eigentlich das Amt des Seelenarztes an. Dieser muͤßte zufoͤrderst den Verbrecher bemerken lassen, welche nachtheilige Folgen fuͤr ihn, fuͤr die ganze Gesellschaft, aus seiner Handlung entstanden; er muͤßte Vorschriften machen, nach welchen sich der Verbrecher zu richten haͤtte, um nie wieder in eine aͤhnliche Lage zu kommen. Man muͤßte zu diesem Ende eigene Besserungshaͤuser haben, die ganz eine andere Verfassung bekommen muͤßten, als unsere Zuchthaͤuser gewoͤhnlich haben. Man wuͤrde dann auch sehr selten in den Fall kommen, jeman-

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[3/0007] fehlt. Mit dem groͤßten Recht aber sollten Kriminalrichter diese Pflicht auf sich haben. Unsere Lebens- und Leibesstrafen erreichen fast nie die Absicht, die sie haben koͤnnten, und sind daher dem Staat nachtheilig, und oft Grausamkeit fuͤrs leidende Jndividuum. Man sollte uͤber jeden Verbrecher ein doppeltes Verhoͤr halten. Das erste, wie es nach dem Verfahren in Kriminalsachen vorgeschrieben und erforderlich ist, um das Verbrechen selbst, und dann dessen gesetzliche Moralitaͤt auszumitteln. Waͤre dies geschehen, der Verbrecher bestraft, dann muͤßte ein eigentliches psychologisches Verhoͤr uͤber die That angestellt werden. Der Verbrecher muͤßte angeben, wie er nach und nach darzu gekommen, daß er ein gewisses Verbrechen ausgeuͤbt. Denn wuͤrde sichs zeigen, was derselbe thun oder unterlassen muͤssen, um nicht diesen Schritt zu thun, und hier ginge eigentlich das Amt des Seelenarztes an. Dieser muͤßte zufoͤrderst den Verbrecher bemerken lassen, welche nachtheilige Folgen fuͤr ihn, fuͤr die ganze Gesellschaft, aus seiner Handlung entstanden; er muͤßte Vorschriften machen, nach welchen sich der Verbrecher zu richten haͤtte, um nie wieder in eine aͤhnliche Lage zu kommen. Man muͤßte zu diesem Ende eigene Besserungshaͤuser haben, die ganz eine andere Verfassung bekommen muͤßten, als unsere Zuchthaͤuser gewoͤhnlich haben. Man wuͤrde dann auch sehr selten in den Fall kommen, jeman-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/7>, abgerufen am 27.04.2024.