Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


Der Sonntag kam, und mit klopfendem Herzen ging ich hin. Sie empfing mich mit einer sehr guten Art und nach einigen gewechselten Höflichkeiten fing sie ihre Erzählung an: Um das schwerfällige in der Erzählung zu meiden, will ich sie selbst reden lassen:

Jch habe, fing sie an, meinen Mann bloß aus Verzweiflung geheirathet, um der üblen Begegnung meines schlechten Bruders zu entgehen. Jch habe viel gute Vorschläge gehabt, aber mein Bruder, der lieber gesehen hätte, wenn ich gestorben wäre, damit sein Erbtheil desto grösser geworden, wußte sie alle zu hintertreiben. Jch wurde mit meinem jetzigen Manne bei einer Hochzeit bekannt, und da seine Brust dazumal noch nicht so übel war, als jetzt, so ließ ich mir seine Anträge, mich zu heirathen, gefallen. Jch konnte, wenn ich heirathete, auf 70 Rthlr. Rechnung machen, denn von meinen Eltern hatte ich wenig zu hoffen. Er hatte kein Vermögen, und da er sich sehr gut stellte, so beschloß ich, das Geld zu seiner Etablirung und zur Erlegung der gewöhnlichen Gebühren zu seiner Aufnahme ins Metier herzugeben. Man verwarf sein erstes Meisterstück, und da ich schon 40 Rthlr. darzu geliehen hatte, so mußte ich mich zu einem zweiten entschließen. Mein Bruder wendete nun alles an, um unsere Verbindung zu hintertreiben und suchte mir ihn auf alle mögliche Art verhaßt zu machen; allein ich war hart-


Der Sonntag kam, und mit klopfendem Herzen ging ich hin. Sie empfing mich mit einer sehr guten Art und nach einigen gewechselten Hoͤflichkeiten fing sie ihre Erzaͤhlung an: Um das schwerfaͤllige in der Erzaͤhlung zu meiden, will ich sie selbst reden lassen:

Jch habe, fing sie an, meinen Mann bloß aus Verzweiflung geheirathet, um der uͤblen Begegnung meines schlechten Bruders zu entgehen. Jch habe viel gute Vorschlaͤge gehabt, aber mein Bruder, der lieber gesehen haͤtte, wenn ich gestorben waͤre, damit sein Erbtheil desto groͤsser geworden, wußte sie alle zu hintertreiben. Jch wurde mit meinem jetzigen Manne bei einer Hochzeit bekannt, und da seine Brust dazumal noch nicht so uͤbel war, als jetzt, so ließ ich mir seine Antraͤge, mich zu heirathen, gefallen. Jch konnte, wenn ich heirathete, auf 70 Rthlr. Rechnung machen, denn von meinen Eltern hatte ich wenig zu hoffen. Er hatte kein Vermoͤgen, und da er sich sehr gut stellte, so beschloß ich, das Geld zu seiner Etablirung und zur Erlegung der gewoͤhnlichen Gebuͤhren zu seiner Aufnahme ins Metier herzugeben. Man verwarf sein erstes Meisterstuͤck, und da ich schon 40 Rthlr. darzu geliehen hatte, so mußte ich mich zu einem zweiten entschließen. Mein Bruder wendete nun alles an, um unsere Verbindung zu hintertreiben und suchte mir ihn auf alle moͤgliche Art verhaßt zu machen; allein ich war hart-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0027" n="25"/><lb/>
Der Sonntag kam, und mit klopfendem Herzen ging ich hin.                   Sie empfing mich mit einer sehr guten Art und nach einigen gewechselten                   Ho&#x0364;flichkeiten fing sie ihre Erza&#x0364;hlung an: Um das schwerfa&#x0364;llige in der Erza&#x0364;hlung zu                   meiden, will ich sie selbst reden lassen:</p>
            <p>Jch habe, fing sie an, meinen Mann bloß aus Verzweiflung geheirathet, um der u&#x0364;blen                   Begegnung meines schlechten Bruders zu entgehen. Jch habe viel gute Vorschla&#x0364;ge                   gehabt, aber mein Bruder, der lieber gesehen ha&#x0364;tte, wenn ich gestorben wa&#x0364;re, damit                   sein Erbtheil desto gro&#x0364;sser geworden, wußte sie alle zu hintertreiben. Jch wurde                   mit meinem jetzigen Manne bei einer Hochzeit bekannt, und da seine Brust dazumal                   noch nicht so u&#x0364;bel war, als jetzt, so ließ ich mir seine Antra&#x0364;ge, mich zu                   heirathen, gefallen. Jch konnte, <hi rendition="#b">wenn ich heirathete,</hi> auf                   70 Rthlr. Rechnung machen, denn von meinen Eltern hatte ich wenig zu hoffen. Er                   hatte kein Vermo&#x0364;gen, und da er sich sehr gut stellte, so beschloß ich, das Geld zu                   seiner Etablirung und zur Erlegung der gewo&#x0364;hnlichen Gebu&#x0364;hren zu seiner Aufnahme                   ins Metier herzugeben. Man verwarf sein erstes Meisterstu&#x0364;ck, und da ich schon 40                   Rthlr. darzu geliehen hatte, so mußte ich mich zu einem zweiten entschließen. Mein                   Bruder wendete nun alles an, um unsere Verbindung zu hintertreiben und suchte mir                   ihn auf alle mo&#x0364;gliche Art verhaßt zu machen; allein ich war hart-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0027] Der Sonntag kam, und mit klopfendem Herzen ging ich hin. Sie empfing mich mit einer sehr guten Art und nach einigen gewechselten Hoͤflichkeiten fing sie ihre Erzaͤhlung an: Um das schwerfaͤllige in der Erzaͤhlung zu meiden, will ich sie selbst reden lassen: Jch habe, fing sie an, meinen Mann bloß aus Verzweiflung geheirathet, um der uͤblen Begegnung meines schlechten Bruders zu entgehen. Jch habe viel gute Vorschlaͤge gehabt, aber mein Bruder, der lieber gesehen haͤtte, wenn ich gestorben waͤre, damit sein Erbtheil desto groͤsser geworden, wußte sie alle zu hintertreiben. Jch wurde mit meinem jetzigen Manne bei einer Hochzeit bekannt, und da seine Brust dazumal noch nicht so uͤbel war, als jetzt, so ließ ich mir seine Antraͤge, mich zu heirathen, gefallen. Jch konnte, wenn ich heirathete, auf 70 Rthlr. Rechnung machen, denn von meinen Eltern hatte ich wenig zu hoffen. Er hatte kein Vermoͤgen, und da er sich sehr gut stellte, so beschloß ich, das Geld zu seiner Etablirung und zur Erlegung der gewoͤhnlichen Gebuͤhren zu seiner Aufnahme ins Metier herzugeben. Man verwarf sein erstes Meisterstuͤck, und da ich schon 40 Rthlr. darzu geliehen hatte, so mußte ich mich zu einem zweiten entschließen. Mein Bruder wendete nun alles an, um unsere Verbindung zu hintertreiben und suchte mir ihn auf alle moͤgliche Art verhaßt zu machen; allein ich war hart-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/27
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/27>, abgerufen am 27.04.2024.