Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Und daß nicht die Sprache, gleichsam ein zufälliger Fund des Menschen sey, wodurch er sich vom Thier unterscheidet, sondern daß seine Denkkraft an und für sich selbst ihn schon vom Thier unterscheidet, indem sie sich selbst unter dem Mangel artikulirter Töne, so wie bei dem Taubstummen, empor arbeitet, und sich eine Sprache schaft, sie mag auch die Materialien dazu nehmen, woher sie wolle. --

Jeder durchbrechende Strahl der Vernunft muß uns bei einem Taub- und Stummgebohrnen vorzüglich willkommen seyn, weil wir hieraus die Macht des menschlichen Geistes erkennen, der selbst durch die Beraubung eines ganzen Sinnes nicht unterdrückt werden, und von seinem eigentümlichen Wesen, von seiner eigentlichen vorstellenden Kraft, nichts verlieren kann -- obgleich eine der Pforten, wodurch täglich eine solche Menge Jdeen einströmen, gänzlich verschlossen ist. --

Wie groß aber dieser Mangel sey, läßt sich schon aus der Betrachtung abnehmen, daß durch das Ohr in eben der Zeit die vergangne oder entfernte Welt vor die Seele gebracht werden kann, in welcher die gegenwärtige sichtbare Welt ihr durch das Auge dargestellt wird. --

Ohne daß meine Vorstellung von den vier Wänden und den Fenstern meines Zimmers, welche jetzt mein wirkliches Daseyn einschließen, nur


Und daß nicht die Sprache, gleichsam ein zufaͤlliger Fund des Menschen sey, wodurch er sich vom Thier unterscheidet, sondern daß seine Denkkraft an und fuͤr sich selbst ihn schon vom Thier unterscheidet, indem sie sich selbst unter dem Mangel artikulirter Toͤne, so wie bei dem Taubstummen, empor arbeitet, und sich eine Sprache schaft, sie mag auch die Materialien dazu nehmen, woher sie wolle.

Jeder durchbrechende Strahl der Vernunft muß uns bei einem Taub- und Stummgebohrnen vorzuͤglich willkommen seyn, weil wir hieraus die Macht des menschlichen Geistes erkennen, der selbst durch die Beraubung eines ganzen Sinnes nicht unterdruͤckt werden, und von seinem eigentuͤmlichen Wesen, von seiner eigentlichen vorstellenden Kraft, nichts verlieren kann — obgleich eine der Pforten, wodurch taͤglich eine solche Menge Jdeen einstroͤmen, gaͤnzlich verschlossen ist. —

Wie groß aber dieser Mangel sey, laͤßt sich schon aus der Betrachtung abnehmen, daß durch das Ohr in eben der Zeit die vergangne oder entfernte Welt vor die Seele gebracht werden kann, in welcher die gegenwaͤrtige sichtbare Welt ihr durch das Auge dargestellt wird. —

Ohne daß meine Vorstellung von den vier Waͤnden und den Fenstern meines Zimmers, welche jetzt mein wirkliches Daseyn einschließen, nur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0002" n="2"/><lb/>
          <p><hi rendition="#b">Und daß nicht die Sprache, gleichsam ein zufa&#x0364;lliger Fund des                      Menschen sey, wodurch er sich vom Thier unterscheidet, sondern daß seine                      Denkkraft an und fu&#x0364;r sich selbst ihn schon vom Thier unterscheidet, indem sie                      sich selbst unter dem Mangel artikulirter To&#x0364;ne, so wie bei dem Taubstummen,                      empor arbeitet, und sich eine Sprache schaft, sie mag auch die Materialien dazu                      nehmen, woher sie wolle. </hi>&#x2014; </p>
          <p>Jeder durchbrechende Strahl der Vernunft muß uns bei einem Taub- und                   Stummgebohrnen vorzu&#x0364;glich willkommen seyn, weil wir hieraus die Macht des                   menschlichen Geistes erkennen, der selbst durch die Beraubung eines ganzen Sinnes                   nicht unterdru&#x0364;ckt werden, <hi rendition="#b">und von <choice><corr>seinem</corr><sic>seinen</sic></choice> eigentu&#x0364;mlichen Wesen, von                      seiner eigentlichen vorstellenden Kraft,</hi> nichts verlieren kann &#x2014;                   obgleich eine der Pforten, wodurch ta&#x0364;glich eine solche Menge Jdeen einstro&#x0364;men,                   ga&#x0364;nzlich verschlossen ist. &#x2014; </p>
          <p> Wie groß aber dieser Mangel sey, la&#x0364;ßt sich schon aus der Betrachtung abnehmen,                   daß durch das Ohr in eben der Zeit die vergangne oder entfernte Welt vor die Seele                   gebracht werden kann, in welcher die gegenwa&#x0364;rtige sichtbare Welt ihr durch das                   Auge dargestellt wird. &#x2014;</p>
          <p>Ohne daß meine Vorstellung von den vier Wa&#x0364;nden und den Fenstern meines Zimmers,                   welche jetzt mein wirkliches Daseyn einschließen, nur<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0002] Und daß nicht die Sprache, gleichsam ein zufaͤlliger Fund des Menschen sey, wodurch er sich vom Thier unterscheidet, sondern daß seine Denkkraft an und fuͤr sich selbst ihn schon vom Thier unterscheidet, indem sie sich selbst unter dem Mangel artikulirter Toͤne, so wie bei dem Taubstummen, empor arbeitet, und sich eine Sprache schaft, sie mag auch die Materialien dazu nehmen, woher sie wolle. — Jeder durchbrechende Strahl der Vernunft muß uns bei einem Taub- und Stummgebohrnen vorzuͤglich willkommen seyn, weil wir hieraus die Macht des menschlichen Geistes erkennen, der selbst durch die Beraubung eines ganzen Sinnes nicht unterdruͤckt werden, und von seinem eigentuͤmlichen Wesen, von seiner eigentlichen vorstellenden Kraft, nichts verlieren kann — obgleich eine der Pforten, wodurch taͤglich eine solche Menge Jdeen einstroͤmen, gaͤnzlich verschlossen ist. — Wie groß aber dieser Mangel sey, laͤßt sich schon aus der Betrachtung abnehmen, daß durch das Ohr in eben der Zeit die vergangne oder entfernte Welt vor die Seele gebracht werden kann, in welcher die gegenwaͤrtige sichtbare Welt ihr durch das Auge dargestellt wird. — Ohne daß meine Vorstellung von den vier Waͤnden und den Fenstern meines Zimmers, welche jetzt mein wirkliches Daseyn einschließen, nur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/2
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/2>, abgerufen am 09.12.2024.