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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.

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sich wohl theils aus dem unzulänglichen Unterrichte, den sie gewöhnlich bekommen, als auch ganz besonders wohl daraus am leichtesten erklären, daß es das traurige Loos der Stummen von Jugend an gemeiniglich zu seyn scheint, von muthwilligen Menschen, die sich immer genug finden, geneckt, und auf alle mögliche Art verspottet und gemißhandelt zu werden. Diese traurigen Erfahrungen, die sie daher oft zu machen Gelegenheit haben, machen sie gegen jeden, der sich ihnen nähert, argwöhnisch und mißtrauisch, da sie in jedem Unbekannten einen neuen Beleidiger ahnden; dieses alles macht sie geneigt, oft in einer gleichgültigen, höchstens zweideutigen Handlung eine Beleidigung ihrer Person zu erblicken. Und eben dieses ist die Ursache, warum bisweilen eine geringe unvorsichtige und nichts weniger, als das Gepräge der Bosheit an der Stirn tragende Handlung, die noch dazu vielmals nur allein in ihrer Einbildung besteht, sie doch zum größten Erstaunen ihrer unwissenden Beleidiger bis zur Raserei bringen kann. Freilich der fleißige Menschenbeobachter staunt nicht bei einem solchen Vorfalle, da er aus der Erfahrung weiß, daß Menschen, die das Unglück gehabt haben, oft von niederträchtigen, sich hinter der Larve der Freundschaft verbergenden Personen hintergangen zu werden, zuletzt ganz Argwohn werden und selbst ihren Vertrautesten alsdann Dinge zuzutrauen im Stande sind, deren Möglichkeit sie selbst vorher


sich wohl theils aus dem unzulaͤnglichen Unterrichte, den sie gewoͤhnlich bekommen, als auch ganz besonders wohl daraus am leichtesten erklaͤren, daß es das traurige Loos der Stummen von Jugend an gemeiniglich zu seyn scheint, von muthwilligen Menschen, die sich immer genug finden, geneckt, und auf alle moͤgliche Art verspottet und gemißhandelt zu werden. Diese traurigen Erfahrungen, die sie daher oft zu machen Gelegenheit haben, machen sie gegen jeden, der sich ihnen naͤhert, argwoͤhnisch und mißtrauisch, da sie in jedem Unbekannten einen neuen Beleidiger ahnden; dieses alles macht sie geneigt, oft in einer gleichguͤltigen, hoͤchstens zweideutigen Handlung eine Beleidigung ihrer Person zu erblicken. Und eben dieses ist die Ursache, warum bisweilen eine geringe unvorsichtige und nichts weniger, als das Gepraͤge der Bosheit an der Stirn tragende Handlung, die noch dazu vielmals nur allein in ihrer Einbildung besteht, sie doch zum groͤßten Erstaunen ihrer unwissenden Beleidiger bis zur Raserei bringen kann. Freilich der fleißige Menschenbeobachter staunt nicht bei einem solchen Vorfalle, da er aus der Erfahrung weiß, daß Menschen, die das Ungluͤck gehabt haben, oft von niedertraͤchtigen, sich hinter der Larve der Freundschaft verbergenden Personen hintergangen zu werden, zuletzt ganz Argwohn werden und selbst ihren Vertrautesten alsdann Dinge zuzutrauen im Stande sind, deren Moͤglichkeit sie selbst vorher

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[52/0052] sich wohl theils aus dem unzulaͤnglichen Unterrichte, den sie gewoͤhnlich bekommen, als auch ganz besonders wohl daraus am leichtesten erklaͤren, daß es das traurige Loos der Stummen von Jugend an gemeiniglich zu seyn scheint, von muthwilligen Menschen, die sich immer genug finden, geneckt, und auf alle moͤgliche Art verspottet und gemißhandelt zu werden. Diese traurigen Erfahrungen, die sie daher oft zu machen Gelegenheit haben, machen sie gegen jeden, der sich ihnen naͤhert, argwoͤhnisch und mißtrauisch, da sie in jedem Unbekannten einen neuen Beleidiger ahnden; dieses alles macht sie geneigt, oft in einer gleichguͤltigen, hoͤchstens zweideutigen Handlung eine Beleidigung ihrer Person zu erblicken. Und eben dieses ist die Ursache, warum bisweilen eine geringe unvorsichtige und nichts weniger, als das Gepraͤge der Bosheit an der Stirn tragende Handlung, die noch dazu vielmals nur allein in ihrer Einbildung besteht, sie doch zum groͤßten Erstaunen ihrer unwissenden Beleidiger bis zur Raserei bringen kann. Freilich der fleißige Menschenbeobachter staunt nicht bei einem solchen Vorfalle, da er aus der Erfahrung weiß, daß Menschen, die das Ungluͤck gehabt haben, oft von niedertraͤchtigen, sich hinter der Larve der Freundschaft verbergenden Personen hintergangen zu werden, zuletzt ganz Argwohn werden und selbst ihren Vertrautesten alsdann Dinge zuzutrauen im Stande sind, deren Moͤglichkeit sie selbst vorher

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/52>, abgerufen am 28.04.2024.