Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite


Große in meinen Zuneigungen, als jetzt empfunden. Die Frauenzimmer, die ich sonst geliebt hatte, verschwanden aus meiner Seele gleich schwachen Sternen vor dem aufgehenden Lichte des Vollmonds. Sie stand in allen meinen Arbeiten mir vor den Augen, ich hätte um alles in der Welt damahls nichts Böses thun können, um nicht die Freundschaft dieser himmlischen Seele zu verlieren. Meine Liebe machte mich stark gegen jede Verführung der Jugend, und es wäre mir unmöglich gewesen, ein einziges unbescheidenes Wort in ihrer Gesellschaft zu sagen, da sie ein unbegränztes Zutrauen in meine Tugend setzte. So viel auch von Vielen über die sogenannte platonische Liebe gespottet wird, so sehr ich sonst selbst darüber gewitzelt hatte; so geistig war doch jetzt würklich das Gefühl meiner wärmsten Zuneigung gegen die junge Witwe. Jch brachte manchen Abend mit ihr in ihrem Zimmer, oder auf einsamen Promenaden ganz allein zu; aber ich kann mir nicht erinnern, daß ich eine einzige unerlaubte Empfindung gegen sie gehabt hätte. Sie war ein würklich frommes Weib -und ich wurde es in ihrer Gesellschaft auch. Unsere Phantasie nahm ihren Flug gemeiniglich bei unsern vertrauten Gesprächen zum Himmel, und ich wäre der glücklichste Mensch auf der Erde gewesen, wenn sie immer die Führerinn meines Lebens hätte seyn können. Jch trennte mich mit unnennbaren Schmerzen von ihr,


Große in meinen Zuneigungen, als jetzt empfunden. Die Frauenzimmer, die ich sonst geliebt hatte, verschwanden aus meiner Seele gleich schwachen Sternen vor dem aufgehenden Lichte des Vollmonds. Sie stand in allen meinen Arbeiten mir vor den Augen, ich haͤtte um alles in der Welt damahls nichts Boͤses thun koͤnnen, um nicht die Freundschaft dieser himmlischen Seele zu verlieren. Meine Liebe machte mich stark gegen jede Verfuͤhrung der Jugend, und es waͤre mir unmoͤglich gewesen, ein einziges unbescheidenes Wort in ihrer Gesellschaft zu sagen, da sie ein unbegraͤnztes Zutrauen in meine Tugend setzte. So viel auch von Vielen uͤber die sogenannte platonische Liebe gespottet wird, so sehr ich sonst selbst daruͤber gewitzelt hatte; so geistig war doch jetzt wuͤrklich das Gefuͤhl meiner waͤrmsten Zuneigung gegen die junge Witwe. Jch brachte manchen Abend mit ihr in ihrem Zimmer, oder auf einsamen Promenaden ganz allein zu; aber ich kann mir nicht erinnern, daß ich eine einzige unerlaubte Empfindung gegen sie gehabt haͤtte. Sie war ein wuͤrklich frommes Weib –und ich wurde es in ihrer Gesellschaft auch. Unsere Phantasie nahm ihren Flug gemeiniglich bei unsern vertrauten Gespraͤchen zum Himmel, und ich waͤre der gluͤcklichste Mensch auf der Erde gewesen, wenn sie immer die Fuͤhrerinn meines Lebens haͤtte seyn koͤnnen. Jch trennte mich mit unnennbaren Schmerzen von ihr,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0096" n="94"/><lb/>
Große in meinen                   Zuneigungen, als jetzt empfunden. Die Frauenzimmer, die ich sonst geliebt hatte,                   verschwanden aus meiner Seele gleich schwachen Sternen vor dem aufgehenden Lichte                   des Vollmonds. Sie stand in allen meinen Arbeiten mir vor den Augen, ich ha&#x0364;tte um                   alles in der Welt damahls nichts Bo&#x0364;ses thun ko&#x0364;nnen, um nicht die Freundschaft                   dieser himmlischen Seele zu verlieren. Meine Liebe machte mich stark gegen jede                   Verfu&#x0364;hrung der Jugend, und es wa&#x0364;re mir unmo&#x0364;glich gewesen, ein einziges                   unbescheidenes Wort in ihrer Gesellschaft zu sagen, da sie ein unbegra&#x0364;nztes                   Zutrauen in meine Tugend setzte. So viel auch von Vielen u&#x0364;ber die sogenannte                   platonische Liebe gespottet wird, so sehr ich sonst selbst daru&#x0364;ber gewitzelt                   hatte; so geistig war doch jetzt wu&#x0364;rklich das Gefu&#x0364;hl meiner wa&#x0364;rmsten Zuneigung                   gegen die junge Witwe. Jch brachte manchen Abend mit ihr in ihrem Zimmer, oder auf                   einsamen Promenaden ganz allein zu; aber ich kann mir nicht erinnern, daß ich eine                   einzige unerlaubte Empfindung gegen sie gehabt ha&#x0364;tte. Sie war ein wu&#x0364;rklich frommes                   Weib &#x2013;und ich wurde es in ihrer Gesellschaft auch. Unsere Phantasie nahm ihren                   Flug gemeiniglich bei unsern vertrauten Gespra&#x0364;chen zum Himmel, und ich wa&#x0364;re der                   glu&#x0364;cklichste Mensch auf der Erde gewesen, wenn sie immer die Fu&#x0364;hrerinn meines                   Lebens ha&#x0364;tte seyn ko&#x0364;nnen. Jch trennte mich mit unnennbaren Schmerzen von ihr,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0096] Große in meinen Zuneigungen, als jetzt empfunden. Die Frauenzimmer, die ich sonst geliebt hatte, verschwanden aus meiner Seele gleich schwachen Sternen vor dem aufgehenden Lichte des Vollmonds. Sie stand in allen meinen Arbeiten mir vor den Augen, ich haͤtte um alles in der Welt damahls nichts Boͤses thun koͤnnen, um nicht die Freundschaft dieser himmlischen Seele zu verlieren. Meine Liebe machte mich stark gegen jede Verfuͤhrung der Jugend, und es waͤre mir unmoͤglich gewesen, ein einziges unbescheidenes Wort in ihrer Gesellschaft zu sagen, da sie ein unbegraͤnztes Zutrauen in meine Tugend setzte. So viel auch von Vielen uͤber die sogenannte platonische Liebe gespottet wird, so sehr ich sonst selbst daruͤber gewitzelt hatte; so geistig war doch jetzt wuͤrklich das Gefuͤhl meiner waͤrmsten Zuneigung gegen die junge Witwe. Jch brachte manchen Abend mit ihr in ihrem Zimmer, oder auf einsamen Promenaden ganz allein zu; aber ich kann mir nicht erinnern, daß ich eine einzige unerlaubte Empfindung gegen sie gehabt haͤtte. Sie war ein wuͤrklich frommes Weib –und ich wurde es in ihrer Gesellschaft auch. Unsere Phantasie nahm ihren Flug gemeiniglich bei unsern vertrauten Gespraͤchen zum Himmel, und ich waͤre der gluͤcklichste Mensch auf der Erde gewesen, wenn sie immer die Fuͤhrerinn meines Lebens haͤtte seyn koͤnnen. Jch trennte mich mit unnennbaren Schmerzen von ihr,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/96
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/96>, abgerufen am 13.05.2024.