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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.

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2. Ein schwer zu erklärender Traum*).

Zwey Ehegatten, die sehr vergnügt mit einander lebten, erfuhren seit einigen Jahren, daß ein ehliches Band das größte und sanfteste Vergnügen verschaffen kann, als der Mann sich von seinem geliebten Weibe auf einige Zeit, um eine Reise zu machen, trennen mußte. Die Lesung der Briefe von ihrem Gatten war der Dame ihre angenehmste Beschäftigung, und sie laß dieselben jeden Abend wieder durch, ehe sie sich dem Schlaf überließ. Mit dieser Beschäftigung hatte sie einmal einen Theil der Nacht zugebracht, und war mit einem Briefe in der Hand, den sie des Abends vorher bekommen hatte, eingeschlafen. Jhr Gatte versicherte sie in demselben, daß er sich vollkommen wohl befände,

*) Jch würde diesen Traum für einen in der That schwer zu erklärenden Traum halten, wenn man nur wüßte, was man so selten bey dergleichen Erzählungen weis, ob die ganze Sache buchstäblich wahr sey. Die Unsicherheit und Ungewißheit des lieben historischen Glaubens steht der Wahrheit der eingetroffenen Träume und Ahndungen eben sowohl entgegen, als das Raisonnement des Psychologen, der aus Gründen der Vernunft jene nicht zugeben kann.

2. Ein schwer zu erklaͤrender Traum*).

Zwey Ehegatten, die sehr vergnuͤgt mit einander lebten, erfuhren seit einigen Jahren, daß ein ehliches Band das groͤßte und sanfteste Vergnuͤgen verschaffen kann, als der Mann sich von seinem geliebten Weibe auf einige Zeit, um eine Reise zu machen, trennen mußte. Die Lesung der Briefe von ihrem Gatten war der Dame ihre angenehmste Beschaͤftigung, und sie laß dieselben jeden Abend wieder durch, ehe sie sich dem Schlaf uͤberließ. Mit dieser Beschaͤftigung hatte sie einmal einen Theil der Nacht zugebracht, und war mit einem Briefe in der Hand, den sie des Abends vorher bekommen hatte, eingeschlafen. Jhr Gatte versicherte sie in demselben, daß er sich vollkommen wohl befaͤnde,

*) Jch wuͤrde diesen Traum fuͤr einen in der That schwer zu erklaͤrenden Traum halten, wenn man nur wuͤßte, was man so selten bey dergleichen Erzaͤhlungen weis, ob die ganze Sache buchstaͤblich wahr sey. Die Unsicherheit und Ungewißheit des lieben historischen Glaubens steht der Wahrheit der eingetroffenen Traͤume und Ahndungen eben sowohl entgegen, als das Raisonnement des Psychologen, der aus Gruͤnden der Vernunft jene nicht zugeben kann.
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[18/0018] 2. Ein schwer zu erklaͤrender Traum*) . Zwey Ehegatten, die sehr vergnuͤgt mit einander lebten, erfuhren seit einigen Jahren, daß ein ehliches Band das groͤßte und sanfteste Vergnuͤgen verschaffen kann, als der Mann sich von seinem geliebten Weibe auf einige Zeit, um eine Reise zu machen, trennen mußte. Die Lesung der Briefe von ihrem Gatten war der Dame ihre angenehmste Beschaͤftigung, und sie laß dieselben jeden Abend wieder durch, ehe sie sich dem Schlaf uͤberließ. Mit dieser Beschaͤftigung hatte sie einmal einen Theil der Nacht zugebracht, und war mit einem Briefe in der Hand, den sie des Abends vorher bekommen hatte, eingeschlafen. Jhr Gatte versicherte sie in demselben, daß er sich vollkommen wohl befaͤnde, *) Jch wuͤrde diesen Traum fuͤr einen in der That schwer zu erklaͤrenden Traum halten, wenn man nur wuͤßte, was man so selten bey dergleichen Erzaͤhlungen weis, ob die ganze Sache buchstaͤblich wahr sey. Die Unsicherheit und Ungewißheit des lieben historischen Glaubens steht der Wahrheit der eingetroffenen Traͤume und Ahndungen eben sowohl entgegen, als das Raisonnement des Psychologen, der aus Gruͤnden der Vernunft jene nicht zugeben kann.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/18>, abgerufen am 27.04.2024.