Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.
Es kommt mir beinahe so vor, als ob die Menschen es von jeher bemerkt hätten, daß der bloß abstracte Begriff vom Daseyn einer Gottheit nicht kräftig genug auf unsre Handlungen wirken würde, wenn sie ihn nicht mit andern Motiven und anschaulichern Jdeen zu vereinigen, und dadurch zu einem Handlungsprincip zu erheben suchten. Man personificirte daher in allen Religionen bald auf eine feinere bald plumpere Art die Handlungen der Gottheit, man schob ihr leidenschaftliche Motive unter, man gab ihr willkürliche Rechte zu belohnen und zu bestrafen, man ließ sie sogar sich in Menschen verwandeln, und durch diese denken und reden, -- um gleichsam das zu geistige Bild ihres Wesens unsern Handlungen näher zu bringen, und sich ihren vermeinten Einfluß auf die Moralität unsres Willens deutlicher vorzustellen. Auf diese Art wurde Religion nach und nach Bedürfniß für den Menschen, und aus dem Bedürfniß Gewohnheit, wobei die Sinnlichkeit sich stets mit ins Spiel mischte. Sehr natürlich war es, daß das Bild der Gottheit dadurch, um mich so auszudrücken, desto uncorrecter werden mußte, je sinnlicher es ward, und daß die Moralität einer Handlung wohl keinen großen Werth haben konnte, die sich auf jenes Bild gründete, -- nicht wie es die reine Vernunft, sondern wie es die Sinnlichkeit entwarf.
Es kommt mir beinahe so vor, als ob die Menschen es von jeher bemerkt haͤtten, daß der bloß abstracte Begriff vom Daseyn einer Gottheit nicht kraͤftig genug auf unsre Handlungen wirken wuͤrde, wenn sie ihn nicht mit andern Motiven und anschaulichern Jdeen zu vereinigen, und dadurch zu einem Handlungsprincip zu erheben suchten. Man personificirte daher in allen Religionen bald auf eine feinere bald plumpere Art die Handlungen der Gottheit, man schob ihr leidenschaftliche Motive unter, man gab ihr willkuͤrliche Rechte zu belohnen und zu bestrafen, man ließ sie sogar sich in Menschen verwandeln, und durch diese denken und reden, — um gleichsam das zu geistige Bild ihres Wesens unsern Handlungen naͤher zu bringen, und sich ihren vermeinten Einfluß auf die Moralitaͤt unsres Willens deutlicher vorzustellen. Auf diese Art wurde Religion nach und nach Beduͤrfniß fuͤr den Menschen, und aus dem Beduͤrfniß Gewohnheit, wobei die Sinnlichkeit sich stets mit ins Spiel mischte. Sehr natuͤrlich war es, daß das Bild der Gottheit dadurch, um mich so auszudruͤcken, desto uncorrecter werden mußte, je sinnlicher es ward, und daß die Moralitaͤt einer Handlung wohl keinen großen Werth haben konnte, die sich auf jenes Bild gruͤndete, — nicht wie es die reine Vernunft, sondern wie es die Sinnlichkeit entwarf. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p> <hi rendition="#b"><pb facs="#f0122" n="122"/><lb/> unsichtbare Wesen außer uns zu nehmen, reducirt, und daraus abgeleitet wuͤrden.</hi> </p> <p>Es kommt mir beinahe so vor, als ob die Menschen es von jeher bemerkt haͤtten, daß der bloß abstracte Begriff vom Daseyn einer Gottheit nicht kraͤftig genug auf unsre Handlungen wirken wuͤrde, wenn sie ihn nicht mit andern Motiven und anschaulichern Jdeen zu vereinigen, und dadurch zu einem Handlungsprincip zu erheben suchten. Man <hi rendition="#b">personificirte</hi> daher in allen Religionen bald auf eine feinere bald plumpere Art die Handlungen der Gottheit, man schob ihr leidenschaftliche Motive unter, man gab ihr willkuͤrliche Rechte zu belohnen und zu bestrafen, man ließ sie sogar sich in Menschen verwandeln, und durch diese denken und reden, — um <hi rendition="#b">gleichsam das zu geistige Bild ihres Wesens unsern Handlungen naͤher zu bringen,</hi> und sich ihren vermeinten Einfluß auf die Moralitaͤt unsres Willens deutlicher vorzustellen. Auf diese Art wurde Religion nach und nach Beduͤrfniß fuͤr den Menschen, und aus dem Beduͤrfniß Gewohnheit, wobei die Sinnlichkeit sich stets mit ins Spiel mischte. Sehr natuͤrlich war es, daß das Bild der Gottheit dadurch, um mich so auszudruͤcken, desto uncorrecter werden mußte, je sinnlicher es ward, und daß die Moralitaͤt einer Handlung wohl keinen großen Werth haben konnte, die sich auf jenes Bild gruͤndete, — nicht wie es die reine Vernunft, sondern wie es die Sinnlichkeit entwarf.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [122/0122]
unsichtbare Wesen außer uns zu nehmen, reducirt, und daraus abgeleitet wuͤrden.
Es kommt mir beinahe so vor, als ob die Menschen es von jeher bemerkt haͤtten, daß der bloß abstracte Begriff vom Daseyn einer Gottheit nicht kraͤftig genug auf unsre Handlungen wirken wuͤrde, wenn sie ihn nicht mit andern Motiven und anschaulichern Jdeen zu vereinigen, und dadurch zu einem Handlungsprincip zu erheben suchten. Man personificirte daher in allen Religionen bald auf eine feinere bald plumpere Art die Handlungen der Gottheit, man schob ihr leidenschaftliche Motive unter, man gab ihr willkuͤrliche Rechte zu belohnen und zu bestrafen, man ließ sie sogar sich in Menschen verwandeln, und durch diese denken und reden, — um gleichsam das zu geistige Bild ihres Wesens unsern Handlungen naͤher zu bringen, und sich ihren vermeinten Einfluß auf die Moralitaͤt unsres Willens deutlicher vorzustellen. Auf diese Art wurde Religion nach und nach Beduͤrfniß fuͤr den Menschen, und aus dem Beduͤrfniß Gewohnheit, wobei die Sinnlichkeit sich stets mit ins Spiel mischte. Sehr natuͤrlich war es, daß das Bild der Gottheit dadurch, um mich so auszudruͤcken, desto uncorrecter werden mußte, je sinnlicher es ward, und daß die Moralitaͤt einer Handlung wohl keinen großen Werth haben konnte, die sich auf jenes Bild gruͤndete, — nicht wie es die reine Vernunft, sondern wie es die Sinnlichkeit entwarf.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/122>, abgerufen am 17.06.2024. |