Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Veranlassung zum Stoizismus kann aber Anfangs blos im Temperamente gelegen haben, und nur durch eine Art von Selbsttäuschung auf Rechnung der Selbstthätigkeit geschoben worden seyn. Diese Eitelkeit hat dann Muth zu wirklichen Unternehmungen dieser Art gemacht, welcher Muth durch den glücklichen Erfolg immer mehr angefeuert worden.

Noch viel weniger ist es von diesen Obern (die keine Männer von Wissenschaften sind) zu vermuthen, daß sie nach bloßer Anleitung der Vernunft auf dies System gerathen wären, vielmehr war wohl bei ihnen die Veranlassung dazu erstlich das Temperament, zweitens Religionsbegriffe, und erst hinterher mochten sie zu einer deutlichen Erkenntniß und Befolgung dieses Systems in seiner Reinheit gelangen.

Diese Sekte war also (in Ansehung des Zwecks und der Mittel) eine Art geheime Gesellschaft, die sich beinahe der Herrschaft der ganzen Nation bemächtigt hätte, wodurch eine der größten Revolutionen in derselben zu erwarten war, hätten nicht die Ausschweifungen einiger ihrer Mitglieder so viele Blößen gezeigt, und ihren Gegnern die Waffen gegen sie in die Hand gegeben.

Einige darunter, die sich als ächte Zyniker zeigen wollten, verletzten alle Gesetze des Wohlstandes, liefen auf öffentlicher Straße nackend herum, verrichteten in Gegenwart anderer ihre natürlichen


Die Veranlassung zum Stoizismus kann aber Anfangs blos im Temperamente gelegen haben, und nur durch eine Art von Selbsttaͤuschung auf Rechnung der Selbstthaͤtigkeit geschoben worden seyn. Diese Eitelkeit hat dann Muth zu wirklichen Unternehmungen dieser Art gemacht, welcher Muth durch den gluͤcklichen Erfolg immer mehr angefeuert worden.

Noch viel weniger ist es von diesen Obern (die keine Maͤnner von Wissenschaften sind) zu vermuthen, daß sie nach bloßer Anleitung der Vernunft auf dies System gerathen waͤren, vielmehr war wohl bei ihnen die Veranlassung dazu erstlich das Temperament, zweitens Religionsbegriffe, und erst hinterher mochten sie zu einer deutlichen Erkenntniß und Befolgung dieses Systems in seiner Reinheit gelangen.

Diese Sekte war also (in Ansehung des Zwecks und der Mittel) eine Art geheime Gesellschaft, die sich beinahe der Herrschaft der ganzen Nation bemaͤchtigt haͤtte, wodurch eine der groͤßten Revolutionen in derselben zu erwarten war, haͤtten nicht die Ausschweifungen einiger ihrer Mitglieder so viele Bloͤßen gezeigt, und ihren Gegnern die Waffen gegen sie in die Hand gegeben.

Einige darunter, die sich als aͤchte Zyniker zeigen wollten, verletzten alle Gesetze des Wohlstandes, liefen auf oͤffentlicher Straße nackend herum, verrichteten in Gegenwart anderer ihre natuͤrlichen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0087" n="87"/><lb/>
            <p>Die Veranlassung zum Stoizismus kann aber Anfangs blos im <hi rendition="#b">Temperamente</hi> gelegen  haben, und nur durch eine Art von <hi rendition="#b">Selbstta&#x0364;uschung</hi> auf Rechnung der <hi rendition="#b">Selbsttha&#x0364;tigkeit</hi> geschoben  worden seyn. Diese Eitelkeit hat dann Muth zu  wirklichen Unternehmungen dieser Art gemacht,  welcher Muth durch den glu&#x0364;cklichen Erfolg immer mehr  angefeuert worden.</p>
            <p>Noch viel weniger ist es von diesen Obern (die keine  Ma&#x0364;nner von Wissenschaften sind) zu vermuthen, daß  sie <hi rendition="#b">nach bloßer Anleitung der  Vernunft</hi> auf dies System gerathen wa&#x0364;ren,  vielmehr war wohl bei ihnen die Veranlassung dazu  erstlich das <hi rendition="#b">Temperament,</hi> zweitens <hi rendition="#b">Religionsbegriffe,</hi> und erst hinterher mochten sie zu einer deutlichen  Erkenntniß und Befolgung dieses Systems <hi rendition="#b">in seiner Reinheit  gelangen.</hi></p>
            <p>Diese Sekte war also (in Ansehung des Zwecks und der  Mittel) eine Art <hi rendition="#b">geheime  Gesellschaft,</hi> die sich beinahe <hi rendition="#b">der Herrschaft der ganzen  Nation</hi> bema&#x0364;chtigt ha&#x0364;tte, wodurch eine der  gro&#x0364;ßten Revolutionen in derselben zu erwarten war,  ha&#x0364;tten nicht die Ausschweifungen einiger ihrer  Mitglieder so viele Blo&#x0364;ßen gezeigt, und ihren  Gegnern die Waffen gegen sie in die Hand  gegeben.</p>
            <p>Einige darunter, die sich als a&#x0364;chte <hi rendition="#b">Zyniker</hi> zeigen wollten, verletzten alle <hi rendition="#b">Gesetze des Wohlstandes,</hi> liefen auf o&#x0364;ffentlicher Straße nackend herum,  verrichteten in Gegenwart anderer ihre natu&#x0364;rlichen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0087] Die Veranlassung zum Stoizismus kann aber Anfangs blos im Temperamente gelegen haben, und nur durch eine Art von Selbsttaͤuschung auf Rechnung der Selbstthaͤtigkeit geschoben worden seyn. Diese Eitelkeit hat dann Muth zu wirklichen Unternehmungen dieser Art gemacht, welcher Muth durch den gluͤcklichen Erfolg immer mehr angefeuert worden. Noch viel weniger ist es von diesen Obern (die keine Maͤnner von Wissenschaften sind) zu vermuthen, daß sie nach bloßer Anleitung der Vernunft auf dies System gerathen waͤren, vielmehr war wohl bei ihnen die Veranlassung dazu erstlich das Temperament, zweitens Religionsbegriffe, und erst hinterher mochten sie zu einer deutlichen Erkenntniß und Befolgung dieses Systems in seiner Reinheit gelangen. Diese Sekte war also (in Ansehung des Zwecks und der Mittel) eine Art geheime Gesellschaft, die sich beinahe der Herrschaft der ganzen Nation bemaͤchtigt haͤtte, wodurch eine der groͤßten Revolutionen in derselben zu erwarten war, haͤtten nicht die Ausschweifungen einiger ihrer Mitglieder so viele Bloͤßen gezeigt, und ihren Gegnern die Waffen gegen sie in die Hand gegeben. Einige darunter, die sich als aͤchte Zyniker zeigen wollten, verletzten alle Gesetze des Wohlstandes, liefen auf oͤffentlicher Straße nackend herum, verrichteten in Gegenwart anderer ihre natuͤrlichen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/87
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/87>, abgerufen am 12.05.2024.