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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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welche alle meine Bemühungen, mich den Richtern der Inquisition zu nähern, durch das ausgesprengte Gerücht meiner Geisteszerrüttung vereitelte, und das Verfahren des höllischen Tribunals, welches in Spanien das heilige heißt, gegen ihr unglückliches Schlachtopfer durch alle Mittel, welche der schamlosesten Intrigue nur zu Gebote stehen, beschleunigte und schärfte. Ich mußte mich bald überzeugen, daß ich in Valencia nichts für die Rettung meiner Debora wirken könnte, und begab mich daher ohne Verzug nach Madrid, wo ich sicher war, mächtige Freunde und Gönner zu finden, die mir ihre Verwendung in dieser Sache nicht entziehen würden. Es gelang mir auch wirklich, einige derselben für mich in Bewegung zu setzen, aber kaum hatten sie die ersten Schritte gethan, um zu bewirken, daß die Inquisition von Valencia den Prozeß gegen Debora vertagen möchte, als von dort die Nachricht einlief, daß sie nach der zweiten Folter in ihrem Gefängniß gestorben sei.

Mit diesem Augenblicke verläßt mich die Erinnerung meines Selbstbewußtseins, und es tritt die Periode meines ersten Todes ein. Als ich von demselben erwachte, war ich so, wie Sie mich jetzt sehen, ein weißköpfiger Greis, in welchem Alles schwach, kalt und blaß geworden, bis aus Eines, das durch meine alte Natur mit krampfhafter Jugendstärke zuckt und ein so wunderliches Wesen aus mir macht, daß es mir zuweilen nicht anders vorkömmt, als ob ich

welche alle meine Bemühungen, mich den Richtern der Inquisition zu nähern, durch das ausgesprengte Gerücht meiner Geisteszerrüttung vereitelte, und das Verfahren des höllischen Tribunals, welches in Spanien das heilige heißt, gegen ihr unglückliches Schlachtopfer durch alle Mittel, welche der schamlosesten Intrigue nur zu Gebote stehen, beschleunigte und schärfte. Ich mußte mich bald überzeugen, daß ich in Valencia nichts für die Rettung meiner Debora wirken könnte, und begab mich daher ohne Verzug nach Madrid, wo ich sicher war, mächtige Freunde und Gönner zu finden, die mir ihre Verwendung in dieser Sache nicht entziehen würden. Es gelang mir auch wirklich, einige derselben für mich in Bewegung zu setzen, aber kaum hatten sie die ersten Schritte gethan, um zu bewirken, daß die Inquisition von Valencia den Prozeß gegen Debora vertagen möchte, als von dort die Nachricht einlief, daß sie nach der zweiten Folter in ihrem Gefängniß gestorben sei.

Mit diesem Augenblicke verläßt mich die Erinnerung meines Selbstbewußtseins, und es tritt die Periode meines ersten Todes ein. Als ich von demselben erwachte, war ich so, wie Sie mich jetzt sehen, ein weißköpfiger Greis, in welchem Alles schwach, kalt und blaß geworden, bis aus Eines, das durch meine alte Natur mit krampfhafter Jugendstärke zuckt und ein so wunderliches Wesen aus mir macht, daß es mir zuweilen nicht anders vorkömmt, als ob ich

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[0115] welche alle meine Bemühungen, mich den Richtern der Inquisition zu nähern, durch das ausgesprengte Gerücht meiner Geisteszerrüttung vereitelte, und das Verfahren des höllischen Tribunals, welches in Spanien das heilige heißt, gegen ihr unglückliches Schlachtopfer durch alle Mittel, welche der schamlosesten Intrigue nur zu Gebote stehen, beschleunigte und schärfte. Ich mußte mich bald überzeugen, daß ich in Valencia nichts für die Rettung meiner Debora wirken könnte, und begab mich daher ohne Verzug nach Madrid, wo ich sicher war, mächtige Freunde und Gönner zu finden, die mir ihre Verwendung in dieser Sache nicht entziehen würden. Es gelang mir auch wirklich, einige derselben für mich in Bewegung zu setzen, aber kaum hatten sie die ersten Schritte gethan, um zu bewirken, daß die Inquisition von Valencia den Prozeß gegen Debora vertagen möchte, als von dort die Nachricht einlief, daß sie nach der zweiten Folter in ihrem Gefängniß gestorben sei. Mit diesem Augenblicke verläßt mich die Erinnerung meines Selbstbewußtseins, und es tritt die Periode meines ersten Todes ein. Als ich von demselben erwachte, war ich so, wie Sie mich jetzt sehen, ein weißköpfiger Greis, in welchem Alles schwach, kalt und blaß geworden, bis aus Eines, das durch meine alte Natur mit krampfhafter Jugendstärke zuckt und ein so wunderliches Wesen aus mir macht, daß es mir zuweilen nicht anders vorkömmt, als ob ich

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/115>, abgerufen am 02.05.2024.