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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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sich die geblendeten Augen auszuwischen. Unterdessen war jener ganze Schwarm an ihm vorübergeschlüpft, und ein langer Wagenzug verhinderte ihn die Spuren desselben augenblicklich zu verfolgen. Vergeblich schob er sich zwischen den Carossen durch den Corso auf und ab. suchte in allen Kaffeehäusern, musterte alle Fenster und Balcone; der Marquis war verschwunden. Je länger er aber darüber nachdachte, wo und wie er den alten Herrn erblickt hatte, je mehr ward es ihm wahrscheinlich, daß irgend ein wunderbares Blendwerk seine Sinne getäuscht haben müsse. Erstaunen, Neugier und leise Schauer von Ahnung und Furcht bestürmten ihn wetteifernd und trieben ihn aus dem Corso fort. Uneingedenk des Charakters seiner Maske, schlug er, den Kopf nachsinnend auf die Brust herabgesenkt, die Pritsche über die Schulter gelegt, ohne rechts und links zu schauen, den nächsten Weg nach der Via Sistina ein. Seine ängstliche Ungeduld wuchs mit jedem Schritte, und als er die Thüre des Marquis erreicht hatte, riß er sie auf, ohne zu klopfen und stürmte hastig in das Zimmer hinein. Es war leer, aber der Rock und Hut des alten Herrn lagen auf dem Tische und daneben ein chirurgisches Besteck. Jetzt wankte Cecco, behutsam auftretend, aus dem Cabinet des Tempels hervor und winkte der Maske geheimnißvoll mit dem Zeigefinger entgegen. Wo ist der Marquis? rief ihm Arthur zu. Still! Still! erwiderte der Diener mit ruhiger Bedeutsamkeit: er schläft.

sich die geblendeten Augen auszuwischen. Unterdessen war jener ganze Schwarm an ihm vorübergeschlüpft, und ein langer Wagenzug verhinderte ihn die Spuren desselben augenblicklich zu verfolgen. Vergeblich schob er sich zwischen den Carossen durch den Corso auf und ab. suchte in allen Kaffeehäusern, musterte alle Fenster und Balcone; der Marquis war verschwunden. Je länger er aber darüber nachdachte, wo und wie er den alten Herrn erblickt hatte, je mehr ward es ihm wahrscheinlich, daß irgend ein wunderbares Blendwerk seine Sinne getäuscht haben müsse. Erstaunen, Neugier und leise Schauer von Ahnung und Furcht bestürmten ihn wetteifernd und trieben ihn aus dem Corso fort. Uneingedenk des Charakters seiner Maske, schlug er, den Kopf nachsinnend auf die Brust herabgesenkt, die Pritsche über die Schulter gelegt, ohne rechts und links zu schauen, den nächsten Weg nach der Via Sistina ein. Seine ängstliche Ungeduld wuchs mit jedem Schritte, und als er die Thüre des Marquis erreicht hatte, riß er sie auf, ohne zu klopfen und stürmte hastig in das Zimmer hinein. Es war leer, aber der Rock und Hut des alten Herrn lagen auf dem Tische und daneben ein chirurgisches Besteck. Jetzt wankte Cecco, behutsam auftretend, aus dem Cabinet des Tempels hervor und winkte der Maske geheimnißvoll mit dem Zeigefinger entgegen. Wo ist der Marquis? rief ihm Arthur zu. Still! Still! erwiderte der Diener mit ruhiger Bedeutsamkeit: er schläft.

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[0089] sich die geblendeten Augen auszuwischen. Unterdessen war jener ganze Schwarm an ihm vorübergeschlüpft, und ein langer Wagenzug verhinderte ihn die Spuren desselben augenblicklich zu verfolgen. Vergeblich schob er sich zwischen den Carossen durch den Corso auf und ab. suchte in allen Kaffeehäusern, musterte alle Fenster und Balcone; der Marquis war verschwunden. Je länger er aber darüber nachdachte, wo und wie er den alten Herrn erblickt hatte, je mehr ward es ihm wahrscheinlich, daß irgend ein wunderbares Blendwerk seine Sinne getäuscht haben müsse. Erstaunen, Neugier und leise Schauer von Ahnung und Furcht bestürmten ihn wetteifernd und trieben ihn aus dem Corso fort. Uneingedenk des Charakters seiner Maske, schlug er, den Kopf nachsinnend auf die Brust herabgesenkt, die Pritsche über die Schulter gelegt, ohne rechts und links zu schauen, den nächsten Weg nach der Via Sistina ein. Seine ängstliche Ungeduld wuchs mit jedem Schritte, und als er die Thüre des Marquis erreicht hatte, riß er sie auf, ohne zu klopfen und stürmte hastig in das Zimmer hinein. Es war leer, aber der Rock und Hut des alten Herrn lagen auf dem Tische und daneben ein chirurgisches Besteck. Jetzt wankte Cecco, behutsam auftretend, aus dem Cabinet des Tempels hervor und winkte der Maske geheimnißvoll mit dem Zeigefinger entgegen. Wo ist der Marquis? rief ihm Arthur zu. Still! Still! erwiderte der Diener mit ruhiger Bedeutsamkeit: er schläft.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/89>, abgerufen am 06.05.2024.