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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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zu phantasiren, aber das plastische Leben wird in dem Zu-
sammenwirken mit anderen Vermögen schon bestimmt in
Hinsicht seiner Producte. Die Phantasiebilder sind heiter in
der Abspannung oder bei einer harmonischen Wirkung, stür-
misch, unruhig in aufgeregten Zuständen, wie den Aerzten
wohl bekannt ist. Die aus den Geschlechtsorganen kom-
menden sympathischen Reizungen bestimmen das Phantasti-
con zu lüsternen Gebilden, eine verschränkte Lage im Schlafe
wird Grund zu einer sichtbaren Traumhandlung, in welcher
das Verschränktseyn nur ein Theilbegriff ist. Das Gefühl
des Einschlafens eines Gliedes wird zu einer vollkomme-
nen Traumhandlung ergänzt. Das perennirende Gefühl ist
hier ein beständiges Centrum für die Metamorphosen der
Phantasiebilder.

179.

Ebenso in den leidenschaftlichen Zuständen. Auch hier
wird die Modalität der phantastischen Bildung durch den
Modus der Leidenschaft bestimmt. Das Phantasiebild ist
furchtbar in der Furcht, heiter bei einem freudevollen Selbst-
gefühl, lästig, drückend, schwerfällig, bei der Beschränkung
unseres Strebens in den deprimirenden Affecten, das Er-
sehnte dem Sehnsüchtigen, dem Entzückten seine Befriedi-
gung.



III. Das nach Ideen thätige Einbilden
des Künstlers und Naturforschers
.
180.

Die Phantasie erscheint in ihrer höchsten Vollendung,
wenn sie ihre Formen nach denselben Gesetzen verwandelt,
als die Natur selbst in der Metamorphose der Formen ver-
fährt, in einer unendlichen Mannigfaltigkeit von Formen

zu phantaſiren, aber das plaſtiſche Leben wird in dem Zu-
ſammenwirken mit anderen Vermoͤgen ſchon beſtimmt in
Hinſicht ſeiner Producte. Die Phantaſiebilder ſind heiter in
der Abſpannung oder bei einer harmoniſchen Wirkung, ſtuͤr-
miſch, unruhig in aufgeregten Zuſtaͤnden, wie den Aerzten
wohl bekannt iſt. Die aus den Geſchlechtsorganen kom-
menden ſympathiſchen Reizungen beſtimmen das Phantaſti-
con zu luͤſternen Gebilden, eine verſchraͤnkte Lage im Schlafe
wird Grund zu einer ſichtbaren Traumhandlung, in welcher
das Verſchraͤnktſeyn nur ein Theilbegriff iſt. Das Gefuͤhl
des Einſchlafens eines Gliedes wird zu einer vollkomme-
nen Traumhandlung ergaͤnzt. Das perennirende Gefuͤhl iſt
hier ein beſtaͤndiges Centrum fuͤr die Metamorphoſen der
Phantaſiebilder.

179.

Ebenſo in den leidenſchaftlichen Zuſtaͤnden. Auch hier
wird die Modalitaͤt der phantaſtiſchen Bildung durch den
Modus der Leidenſchaft beſtimmt. Das Phantaſiebild iſt
furchtbar in der Furcht, heiter bei einem freudevollen Selbſt-
gefuͤhl, laͤſtig, druͤckend, ſchwerfaͤllig, bei der Beſchraͤnkung
unſeres Strebens in den deprimirenden Affecten, das Er-
ſehnte dem Sehnſuͤchtigen, dem Entzuͤckten ſeine Befriedi-
gung.



III. Das nach Ideen thaͤtige Einbilden
des Kuͤnſtlers und Naturforſchers
.
180.

Die Phantaſie erſcheint in ihrer hoͤchſten Vollendung,
wenn ſie ihre Formen nach denſelben Geſetzen verwandelt,
als die Natur ſelbſt in der Metamorphoſe der Formen ver-
faͤhrt, in einer unendlichen Mannigfaltigkeit von Formen

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[101/0117] zu phantaſiren, aber das plaſtiſche Leben wird in dem Zu- ſammenwirken mit anderen Vermoͤgen ſchon beſtimmt in Hinſicht ſeiner Producte. Die Phantaſiebilder ſind heiter in der Abſpannung oder bei einer harmoniſchen Wirkung, ſtuͤr- miſch, unruhig in aufgeregten Zuſtaͤnden, wie den Aerzten wohl bekannt iſt. Die aus den Geſchlechtsorganen kom- menden ſympathiſchen Reizungen beſtimmen das Phantaſti- con zu luͤſternen Gebilden, eine verſchraͤnkte Lage im Schlafe wird Grund zu einer ſichtbaren Traumhandlung, in welcher das Verſchraͤnktſeyn nur ein Theilbegriff iſt. Das Gefuͤhl des Einſchlafens eines Gliedes wird zu einer vollkomme- nen Traumhandlung ergaͤnzt. Das perennirende Gefuͤhl iſt hier ein beſtaͤndiges Centrum fuͤr die Metamorphoſen der Phantaſiebilder. 179. Ebenſo in den leidenſchaftlichen Zuſtaͤnden. Auch hier wird die Modalitaͤt der phantaſtiſchen Bildung durch den Modus der Leidenſchaft beſtimmt. Das Phantaſiebild iſt furchtbar in der Furcht, heiter bei einem freudevollen Selbſt- gefuͤhl, laͤſtig, druͤckend, ſchwerfaͤllig, bei der Beſchraͤnkung unſeres Strebens in den deprimirenden Affecten, das Er- ſehnte dem Sehnſuͤchtigen, dem Entzuͤckten ſeine Befriedi- gung. III. Das nach Ideen thaͤtige Einbilden des Kuͤnſtlers und Naturforſchers. 180. Die Phantaſie erſcheint in ihrer hoͤchſten Vollendung, wenn ſie ihre Formen nach denſelben Geſetzen verwandelt, als die Natur ſelbſt in der Metamorphoſe der Formen ver- faͤhrt, in einer unendlichen Mannigfaltigkeit von Formen

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/117>, abgerufen am 29.04.2024.