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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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daß, wenn ein höheres und niederes Wesen uns in
dieser Art subjectiv erscheinen soll, es zuerst von uns ge-
dacht, vorgestellt und dem Sinne eingebildet werden muß.
Die Erscheinung höherer oder niederer Art kann sich hier nicht
durch äußeres unmittelbares Einwirken, sondern durch die
innere Offenbarung unserer Organe kund geben. Und so
offenbart sich das Göttliche Andern auf andere Weise, in
der ganzen Schöpfung gnadenreich, es offenbart sich dem
mit reicher, erhabener Phantasie Begabten durch die Phan-
tasie, dem Frommen durch das Gemüth, dem Weisen durch
die Weisheit, dem Starken durch die Größe seiner Werke,
wie denn auch das Göttliche in allen diesen Weisen von
Andern anders verehrt wird.

112.

2) Die zweite Form, in welcher die ekstatische
Vision erscheint, physiologisch mit der ersten identisch,
nur durch das Object verschieden, ist das Geisterse-
hen in der magischen und mantischen Ekstase. Da nun
die heidnische hellsehende Theurgie der Neuplatoniker und
A. mit dem religiösen Hellsehen der Christen zusammenfällt,
im christlichen Zeitalter aber als ein von dem religiösen
Hellsehen verschiedenes mantisches und magisches Geistersehen,
als eine gleichsam ketzerische und abgötterische Vision neben der
wahren religiösen Vision sich erhalten hat, so sind beide
nur in dem Wahn der Menschen verschieden.

113.

Alles Zauberwesen reducirt sich auf eine mystificiren-
de Verherrlichung der Imagination mit Unterdrückung al-
ler anderen Geistesvermögen. Alles zielt auf die magische
Ekstase hin, worin nämlich wie in jeder Ekstase das äu-
ßere Sinnesleben aufhört, das innere plastisch beginnt.


daß, wenn ein hoͤheres und niederes Weſen uns in
dieſer Art ſubjectiv erſcheinen ſoll, es zuerſt von uns ge-
dacht, vorgeſtellt und dem Sinne eingebildet werden muß.
Die Erſcheinung hoͤherer oder niederer Art kann ſich hier nicht
durch aͤußeres unmittelbares Einwirken, ſondern durch die
innere Offenbarung unſerer Organe kund geben. Und ſo
offenbart ſich das Goͤttliche Andern auf andere Weiſe, in
der ganzen Schoͤpfung gnadenreich, es offenbart ſich dem
mit reicher, erhabener Phantaſie Begabten durch die Phan-
taſie, dem Frommen durch das Gemuͤth, dem Weiſen durch
die Weisheit, dem Starken durch die Groͤße ſeiner Werke,
wie denn auch das Goͤttliche in allen dieſen Weiſen von
Andern anders verehrt wird.

112.

2) Die zweite Form, in welcher die ekſtatiſche
Viſion erſcheint, phyſiologiſch mit der erſten identiſch,
nur durch das Object verſchieden, iſt das Geiſterſe-
hen in der magiſchen und mantiſchen Ekſtaſe. Da nun
die heidniſche hellſehende Theurgie der Neuplatoniker und
A. mit dem religioͤſen Hellſehen der Chriſten zuſammenfaͤllt,
im chriſtlichen Zeitalter aber als ein von dem religioͤſen
Hellſehen verſchiedenes mantiſches und magiſches Geiſterſehen,
als eine gleichſam ketzeriſche und abgoͤtteriſche Viſion neben der
wahren religioͤſen Viſion ſich erhalten hat, ſo ſind beide
nur in dem Wahn der Menſchen verſchieden.

113.

Alles Zauberweſen reducirt ſich auf eine myſtificiren-
de Verherrlichung der Imagination mit Unterdruͤckung al-
ler anderen Geiſtesvermoͤgen. Alles zielt auf die magiſche
Ekſtaſe hin, worin naͤmlich wie in jeder Ekſtaſe das aͤu-
ßere Sinnesleben aufhoͤrt, das innere plaſtiſch beginnt.


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[63/0079] daß, wenn ein hoͤheres und niederes Weſen uns in dieſer Art ſubjectiv erſcheinen ſoll, es zuerſt von uns ge- dacht, vorgeſtellt und dem Sinne eingebildet werden muß. Die Erſcheinung hoͤherer oder niederer Art kann ſich hier nicht durch aͤußeres unmittelbares Einwirken, ſondern durch die innere Offenbarung unſerer Organe kund geben. Und ſo offenbart ſich das Goͤttliche Andern auf andere Weiſe, in der ganzen Schoͤpfung gnadenreich, es offenbart ſich dem mit reicher, erhabener Phantaſie Begabten durch die Phan- taſie, dem Frommen durch das Gemuͤth, dem Weiſen durch die Weisheit, dem Starken durch die Groͤße ſeiner Werke, wie denn auch das Goͤttliche in allen dieſen Weiſen von Andern anders verehrt wird. 112. 2) Die zweite Form, in welcher die ekſtatiſche Viſion erſcheint, phyſiologiſch mit der erſten identiſch, nur durch das Object verſchieden, iſt das Geiſterſe- hen in der magiſchen und mantiſchen Ekſtaſe. Da nun die heidniſche hellſehende Theurgie der Neuplatoniker und A. mit dem religioͤſen Hellſehen der Chriſten zuſammenfaͤllt, im chriſtlichen Zeitalter aber als ein von dem religioͤſen Hellſehen verſchiedenes mantiſches und magiſches Geiſterſehen, als eine gleichſam ketzeriſche und abgoͤtteriſche Viſion neben der wahren religioͤſen Viſion ſich erhalten hat, ſo ſind beide nur in dem Wahn der Menſchen verſchieden. 113. Alles Zauberweſen reducirt ſich auf eine myſtificiren- de Verherrlichung der Imagination mit Unterdruͤckung al- ler anderen Geiſtesvermoͤgen. Alles zielt auf die magiſche Ekſtaſe hin, worin naͤmlich wie in jeder Ekſtaſe das aͤu- ßere Sinnesleben aufhoͤrt, das innere plaſtiſch beginnt.

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/79>, abgerufen am 28.04.2024.