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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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lich hält 1, läßt indeß den Perseus ihnen auf dem We-
ge von Griechenland nach Libyen im Abend Europa's
begegnen 2, und den Herakles dieselben an den schat-
tigen Quellen des Istros besuchen, der nach alter Vor-
stellung ganz Europa von Abend nach Morgen durch-
strömt. -- Wie kamen sie, muß man fragen, in eine
Gegend, die dem Namen und folglich der ursprüngli-
chen Idee derselben widerspricht? Hatten etwa Phokäi-
sche Schiffer in Süd-Spanien Völker gefunden, wel-
che Hyperboreischer Glückseligkeit und Apollinischer Hei-
terkeit theilhaft schienen? wie wirklich Skymnos die
Gastlichkeit und Musikliebe der Kelten mit sonst von
den Hyperboreern geltenden Ausdrücken preist 3. Oder
zogen die Schwäne, deren Trauer- und Todesgesang
am Hesperischen Eridanos und in Ligyen vielleicht schon
ein Hesiodisches Gedicht erwähnte 4, auch die verwand-
ten Verehrer des Gottes in dieselben Gegenden nach
sich? 5.

Vielleicht, oder vielmehr wahrscheinlich nicht.
Denn hätte ein Schiffer ein Gerücht nach Griechenland
zurückgebracht, daß er das heilige und fromme Volk
des Nordens gesehn, der Eindruck davon wäre uns
ohne Zweifel zugekommen. Auch setzt es ja Niemand
in befahrne und bereiste Gegend; die eben angeführten
Stellen sprechen deutlich gegen eine solche Vorstellung. --
Vielmehr scheint die Veranlassung dieser Lokalisirung
in Westen einzig in den Herakleen zu liegen. Diese ver-
banden die Olympische Sage von der Wanderung des

1 P. 10, 29.
2 P. 10, 47. vgl. Heyne S. 168.
O. 8, 47. scheint die Vorstellung etwas anders.
3 V. 182.
4 bei
Hygin 154. Vielleicht aber auch erst Pherekydes.
5 S. Voß
zu Virg. Landbau 2. S. 381. Weltkunde (Jenaer LZ. Quartal 2.
S. 20. 29 ff.); über die Greise (ebd. Qu. 4.), dessen Meinungen
Uckert Geogr. 2. S. 237. gänzlich beitritt.

lich haͤlt 1, laͤßt indeß den Perſeus ihnen auf dem We-
ge von Griechenland nach Libyen im Abend Europa’s
begegnen 2, und den Herakles dieſelben an den ſchat-
tigen Quellen des Iſtros beſuchen, der nach alter Vor-
ſtellung ganz Europa von Abend nach Morgen durch-
ſtroͤmt. — Wie kamen ſie, muß man fragen, in eine
Gegend, die dem Namen und folglich der urſpruͤngli-
chen Idee derſelben widerſpricht? Hatten etwa Phokaͤi-
ſche Schiffer in Suͤd-Spanien Voͤlker gefunden, wel-
che Hyperboreiſcher Gluͤckſeligkeit und Apolliniſcher Hei-
terkeit theilhaft ſchienen? wie wirklich Skymnos die
Gaſtlichkeit und Muſikliebe der Kelten mit ſonſt von
den Hyperboreern geltenden Ausdruͤcken preist 3. Oder
zogen die Schwaͤne, deren Trauer- und Todesgeſang
am Heſperiſchen Eridanos und in Ligyen vielleicht ſchon
ein Heſiodiſches Gedicht erwaͤhnte 4, auch die verwand-
ten Verehrer des Gottes in dieſelben Gegenden nach
ſich? 5.

Vielleicht, oder vielmehr wahrſcheinlich nicht.
Denn haͤtte ein Schiffer ein Geruͤcht nach Griechenland
zuruͤckgebracht, daß er das heilige und fromme Volk
des Nordens geſehn, der Eindruck davon waͤre uns
ohne Zweifel zugekommen. Auch ſetzt es ja Niemand
in befahrne und bereiste Gegend; die eben angefuͤhrten
Stellen ſprechen deutlich gegen eine ſolche Vorſtellung. —
Vielmehr ſcheint die Veranlaſſung dieſer Lokaliſirung
in Weſten einzig in den Herakleen zu liegen. Dieſe ver-
banden die Olympiſche Sage von der Wanderung des

1 P. 10, 29.
2 P. 10, 47. vgl. Heyne S. 168.
O. 8, 47. ſcheint die Vorſtellung etwas anders.
3 V. 182.
4 bei
Hygin 154. Vielleicht aber auch erſt Pherekydes.
5 S. Voß
zu Virg. Landbau 2. S. 381. Weltkunde (Jenaer LZ. Quartal 2.
S. 20. 29 ff.); uͤber die Greiſe (ebd. Qu. 4.), deſſen Meinungen
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[274/0304] lich haͤlt 1, laͤßt indeß den Perſeus ihnen auf dem We- ge von Griechenland nach Libyen im Abend Europa’s begegnen 2, und den Herakles dieſelben an den ſchat- tigen Quellen des Iſtros beſuchen, der nach alter Vor- ſtellung ganz Europa von Abend nach Morgen durch- ſtroͤmt. — Wie kamen ſie, muß man fragen, in eine Gegend, die dem Namen und folglich der urſpruͤngli- chen Idee derſelben widerſpricht? Hatten etwa Phokaͤi- ſche Schiffer in Suͤd-Spanien Voͤlker gefunden, wel- che Hyperboreiſcher Gluͤckſeligkeit und Apolliniſcher Hei- terkeit theilhaft ſchienen? wie wirklich Skymnos die Gaſtlichkeit und Muſikliebe der Kelten mit ſonſt von den Hyperboreern geltenden Ausdruͤcken preist 3. Oder zogen die Schwaͤne, deren Trauer- und Todesgeſang am Heſperiſchen Eridanos und in Ligyen vielleicht ſchon ein Heſiodiſches Gedicht erwaͤhnte 4, auch die verwand- ten Verehrer des Gottes in dieſelben Gegenden nach ſich? 5. Vielleicht, oder vielmehr wahrſcheinlich nicht. Denn haͤtte ein Schiffer ein Geruͤcht nach Griechenland zuruͤckgebracht, daß er das heilige und fromme Volk des Nordens geſehn, der Eindruck davon waͤre uns ohne Zweifel zugekommen. Auch ſetzt es ja Niemand in befahrne und bereiste Gegend; die eben angefuͤhrten Stellen ſprechen deutlich gegen eine ſolche Vorſtellung. — Vielmehr ſcheint die Veranlaſſung dieſer Lokaliſirung in Weſten einzig in den Herakleen zu liegen. Dieſe ver- banden die Olympiſche Sage von der Wanderung des 1 P. 10, 29. 2 P. 10, 47. vgl. Heyne S. 168. O. 8, 47. ſcheint die Vorſtellung etwas anders. 3 V. 182. 4 bei Hygin 154. Vielleicht aber auch erſt Pherekydes. 5 S. Voß zu Virg. Landbau 2. S. 381. Weltkunde (Jenaer LZ. Quartal 2. S. 20. 29 ff.); uͤber die Greiſe (ebd. Qu. 4.), deſſen Meinungen Uckert Geogr. 2. S. 237. gaͤnzlich beitritt.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/304>, abgerufen am 29.04.2024.