Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

führt uns zu der Annahme, daß bei der Vereinigung
des Amykläischen Aegidencults mit dem Dorischen Apol-
lodienst zu Sparta die Hyakinthien mehr von dem Ei-
genthümlichen des erstern behalten, die Karneen mehr
von dem Charakteristischen des letztern angenommen
haben, obgleich die Gottheit beider völlig vereinigt
war. Dabei läugnen wir nicht, daß gerade Götter-
dienste von so verwickelter Bildungsgeschichte überaus
schwer auf einfache Grundideen zurückzuführen sind,
und finden nur darin eine Entschuldigung dafür, daß
in den obigen Auseinandersetzungen von den beiden Festen
so wenig Rechenschaft gegeben worden ist.

16.

Zuletzt kann auch aus den Darstellungen des
Apollon in der bildenden Kunst, namentlich den
älteren, unsere Kenntniß der dem Cultus zum Grunde
liegenden Ideen und Empfindungen ergänzt und begrün-
det werden; und nur in sofern, nicht als Produkten
künstlerischer Thätigkeit, widmen wir denselben eine
flüchtige Betrachtung. -- Apollon war vornweg recht
eigentlich für bildende Kunst erschaffen. Weil er wenig
Beziehung auf Naturleben und in seinem Wesen nichts
Mystisches hat: konnte die Kunst frühzeitig im Aus-
druck seines Charakters eine gewisse Bestimmtheit er-
reichen, und sich selbst ein Genüge thun. Denn nicht
blos in der poetischen Ausbildung, sondern auch in
den sich zunächst an den Cultus anschließenden Mythen
ist Apollon ein vorzugsweise menschlicher Gott, und in
seinem Thun und Leiden mehr als ein anderer mit den
Heroen verwandt. So ist nicht unwahrscheinlich, daß
das Ideal der beiden Letoiden, in denen sich rüstige
Kraft mit musischer Ausbildung zur wahren Kalokaga-
thie vereinte, der Dorischen Erziehung des Jünglings
und Mädchens vor Augen schwebte; und so konnte der
Künstler den Gott wieder nach der Aehnlichkeit des im

fuͤhrt uns zu der Annahme, daß bei der Vereinigung
des Amyklaͤiſchen Aegidencults mit dem Doriſchen Apol-
lodienſt zu Sparta die Hyakinthien mehr von dem Ei-
genthuͤmlichen des erſtern behalten, die Karneen mehr
von dem Charakteriſtiſchen des letztern angenommen
haben, obgleich die Gottheit beider voͤllig vereinigt
war. Dabei laͤugnen wir nicht, daß gerade Goͤtter-
dienſte von ſo verwickelter Bildungsgeſchichte uͤberaus
ſchwer auf einfache Grundideen zuruͤckzufuͤhren ſind,
und finden nur darin eine Entſchuldigung dafuͤr, daß
in den obigen Auseinanderſetzungen von den beiden Feſten
ſo wenig Rechenſchaft gegeben worden iſt.

16.

Zuletzt kann auch aus den Darſtellungen des
Apollon in der bildenden Kunſt, namentlich den
aͤlteren, unſere Kenntniß der dem Cultus zum Grunde
liegenden Ideen und Empfindungen ergaͤnzt und begruͤn-
det werden; und nur in ſofern, nicht als Produkten
kuͤnſtleriſcher Thaͤtigkeit, widmen wir denſelben eine
fluͤchtige Betrachtung. — Apollon war vornweg recht
eigentlich fuͤr bildende Kunſt erſchaffen. Weil er wenig
Beziehung auf Naturleben und in ſeinem Weſen nichts
Myſtiſches hat: konnte die Kunſt fruͤhzeitig im Aus-
druck ſeines Charakters eine gewiſſe Beſtimmtheit er-
reichen, und ſich ſelbſt ein Genuͤge thun. Denn nicht
blos in der poëtiſchen Ausbildung, ſondern auch in
den ſich zunaͤchſt an den Cultus anſchließenden Mythen
iſt Apollon ein vorzugsweiſe menſchlicher Gott, und in
ſeinem Thun und Leiden mehr als ein anderer mit den
Heroen verwandt. So iſt nicht unwahrſcheinlich, daß
das Ideal der beiden Letoiden, in denen ſich ruͤſtige
Kraft mit muſiſcher Ausbildung zur wahren Kalokaga-
thie vereinte, der Doriſchen Erziehung des Juͤnglings
und Maͤdchens vor Augen ſchwebte; und ſo konnte der
Kuͤnſtler den Gott wieder nach der Aehnlichkeit des im

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0386" n="356"/>
fu&#x0364;hrt uns zu der Annahme, daß bei der Vereinigung<lb/>
des Amykla&#x0364;i&#x017F;chen Aegidencults mit dem Dori&#x017F;chen Apol-<lb/>
lodien&#x017F;t zu Sparta die Hyakinthien mehr von dem Ei-<lb/>
genthu&#x0364;mlichen des er&#x017F;tern behalten, die Karneen mehr<lb/>
von dem Charakteri&#x017F;ti&#x017F;chen des letztern angenommen<lb/>
haben, obgleich die Gottheit beider vo&#x0364;llig vereinigt<lb/>
war. Dabei la&#x0364;ugnen wir nicht, daß gerade Go&#x0364;tter-<lb/>
dien&#x017F;te von &#x017F;o verwickelter Bildungsge&#x017F;chichte u&#x0364;beraus<lb/>
&#x017F;chwer auf einfache Grundideen zuru&#x0364;ckzufu&#x0364;hren &#x017F;ind,<lb/>
und finden nur darin eine Ent&#x017F;chuldigung dafu&#x0364;r, daß<lb/>
in den obigen Auseinander&#x017F;etzungen von den beiden Fe&#x017F;ten<lb/>
&#x017F;o wenig Rechen&#x017F;chaft gegeben worden i&#x017F;t.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>16.</head><lb/>
              <p>Zuletzt kann auch aus den Dar&#x017F;tellungen des<lb/>
Apollon in der <hi rendition="#g">bildenden Kun&#x017F;t</hi>, namentlich den<lb/>
a&#x0364;lteren, un&#x017F;ere Kenntniß der dem Cultus zum Grunde<lb/>
liegenden Ideen und Empfindungen erga&#x0364;nzt und begru&#x0364;n-<lb/>
det werden; und nur in &#x017F;ofern, nicht als Produkten<lb/>
ku&#x0364;n&#x017F;tleri&#x017F;cher Tha&#x0364;tigkeit, widmen wir den&#x017F;elben eine<lb/>
flu&#x0364;chtige Betrachtung. &#x2014; Apollon war vornweg recht<lb/>
eigentlich fu&#x0364;r bildende Kun&#x017F;t er&#x017F;chaffen. Weil er wenig<lb/>
Beziehung auf Naturleben und in &#x017F;einem We&#x017F;en nichts<lb/>
My&#x017F;ti&#x017F;ches hat: konnte die Kun&#x017F;t fru&#x0364;hzeitig im Aus-<lb/>
druck &#x017F;eines Charakters eine gewi&#x017F;&#x017F;e Be&#x017F;timmtheit er-<lb/>
reichen, und &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ein Genu&#x0364;ge thun. Denn nicht<lb/>
blos in der poëti&#x017F;chen Ausbildung, &#x017F;ondern auch in<lb/>
den &#x017F;ich zuna&#x0364;ch&#x017F;t an den Cultus an&#x017F;chließenden Mythen<lb/>
i&#x017F;t Apollon ein vorzugswei&#x017F;e men&#x017F;chlicher Gott, und in<lb/>
&#x017F;einem Thun und Leiden mehr als ein anderer mit den<lb/>
Heroen verwandt. So i&#x017F;t nicht unwahr&#x017F;cheinlich, daß<lb/>
das Ideal der beiden Letoiden, in denen &#x017F;ich ru&#x0364;&#x017F;tige<lb/>
Kraft mit mu&#x017F;i&#x017F;cher Ausbildung zur wahren Kalokaga-<lb/>
thie vereinte, der Dori&#x017F;chen Erziehung des Ju&#x0364;nglings<lb/>
und Ma&#x0364;dchens vor Augen &#x017F;chwebte; und &#x017F;o konnte der<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tler den Gott wieder nach der Aehnlichkeit des im<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[356/0386] fuͤhrt uns zu der Annahme, daß bei der Vereinigung des Amyklaͤiſchen Aegidencults mit dem Doriſchen Apol- lodienſt zu Sparta die Hyakinthien mehr von dem Ei- genthuͤmlichen des erſtern behalten, die Karneen mehr von dem Charakteriſtiſchen des letztern angenommen haben, obgleich die Gottheit beider voͤllig vereinigt war. Dabei laͤugnen wir nicht, daß gerade Goͤtter- dienſte von ſo verwickelter Bildungsgeſchichte uͤberaus ſchwer auf einfache Grundideen zuruͤckzufuͤhren ſind, und finden nur darin eine Entſchuldigung dafuͤr, daß in den obigen Auseinanderſetzungen von den beiden Feſten ſo wenig Rechenſchaft gegeben worden iſt. 16. Zuletzt kann auch aus den Darſtellungen des Apollon in der bildenden Kunſt, namentlich den aͤlteren, unſere Kenntniß der dem Cultus zum Grunde liegenden Ideen und Empfindungen ergaͤnzt und begruͤn- det werden; und nur in ſofern, nicht als Produkten kuͤnſtleriſcher Thaͤtigkeit, widmen wir denſelben eine fluͤchtige Betrachtung. — Apollon war vornweg recht eigentlich fuͤr bildende Kunſt erſchaffen. Weil er wenig Beziehung auf Naturleben und in ſeinem Weſen nichts Myſtiſches hat: konnte die Kunſt fruͤhzeitig im Aus- druck ſeines Charakters eine gewiſſe Beſtimmtheit er- reichen, und ſich ſelbſt ein Genuͤge thun. Denn nicht blos in der poëtiſchen Ausbildung, ſondern auch in den ſich zunaͤchſt an den Cultus anſchließenden Mythen iſt Apollon ein vorzugsweiſe menſchlicher Gott, und in ſeinem Thun und Leiden mehr als ein anderer mit den Heroen verwandt. So iſt nicht unwahrſcheinlich, daß das Ideal der beiden Letoiden, in denen ſich ruͤſtige Kraft mit muſiſcher Ausbildung zur wahren Kalokaga- thie vereinte, der Doriſchen Erziehung des Juͤnglings und Maͤdchens vor Augen ſchwebte; und ſo konnte der Kuͤnſtler den Gott wieder nach der Aehnlichkeit des im

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/386
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/386>, abgerufen am 29.04.2024.