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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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ruhe, den Gottesfrieden heiliger Orte und Straßen --
den die Blutrache mäßigenden Einfluß der Sühnungen
-- und die Idee des strafenden und rächenden Gottes
auf der andern Seite -- die entscheidende Wirkung der
Orakel in der Anordnung der öffentlichen Verhältnisse:
um auf den heilsamen Einfluß dieser Religion auf das
politische Leben der Hellenen aufmerksam zu machen 1.
Und wie der Cultus durch seine Feierlichkeit, durch die
Würde und Strenge der Musik, durch alle seine Sym-
bole und Gebräuche dem Gemüthe des Einzelnen jene
der innern Kraft vertrauende Ruhe und Klarheit ein-
zuflößen suchte, mit der indeß ein besonderer Auf-
schwung und eine eigene Ekstase sich wohl vertrug, ist
auch schon mehrmals bemerkt worden. Wie diese Ek-
stase der Dichtung der Arimaspeen von Aristeas zu
Grunde lag 2, der selbst als ekstatikos ein Gegen-
stand mannigfacher Fabeln wurde 3: so drücken die
Mährchen von dem Hyperboreer Abaris, dem aithro-
bates, der auf einem Pfeil die Welt umreitet, dieselbe
auf eine ungemein naive Weise aus. Auf welchem
Wege übrigens sich diese Mährchen gebildet, und zu-
gleich eine so historische Gestalt angenommen, daß schon
Pindar den Abaris als Zeitgenossen des Krösos behan-
delt 4, ist unbekannt und schwer zu errathen: es scheint,
man hatte bei mehrern Tempeln des Gottes Orakel-
sprüche und Besänftigungslieder, die man alter Heilig-

1 Vgl. Ephoros bei Str. 9, 423. und Julian (bei Kyrillos
S. 153) über dies Thema.
2 vgl. oben S. 275. Aristeas
stellte sich offenbar dar als einen von Phöbeischer Begeisterung Er-
griffenen, und darin die Ursitze seines Cultus, die Lieblingswohnung
des Gottes, Suchenden.
3 die schon Pindar erzählte, Frgm-
inc.
91. Bh. Ueber seine Statue zu Metapont S. 264, 4., wo-
hin er den Gott selbst als Rabe begleitet haben wollte.
4 Fr.
inc.
90. In Ol. 53. setzt ihn Suidas nach dem Cod. Paris.

ruhe, den Gottesfrieden heiliger Orte und Straßen —
den die Blutrache maͤßigenden Einfluß der Suͤhnungen
— und die Idee des ſtrafenden und raͤchenden Gottes
auf der andern Seite — die entſcheidende Wirkung der
Orakel in der Anordnung der oͤffentlichen Verhaͤltniſſe:
um auf den heilſamen Einfluß dieſer Religion auf das
politiſche Leben der Hellenen aufmerkſam zu machen 1.
Und wie der Cultus durch ſeine Feierlichkeit, durch die
Wuͤrde und Strenge der Muſik, durch alle ſeine Sym-
bole und Gebraͤuche dem Gemuͤthe des Einzelnen jene
der innern Kraft vertrauende Ruhe und Klarheit ein-
zufloͤßen ſuchte, mit der indeß ein beſonderer Auf-
ſchwung und eine eigene Ekſtaſe ſich wohl vertrug, iſt
auch ſchon mehrmals bemerkt worden. Wie dieſe Ek-
ſtaſe der Dichtung der Arimaspeen von Ariſteas zu
Grunde lag 2, der ſelbſt als ἐκστατικὸς ein Gegen-
ſtand mannigfacher Fabeln wurde 3: ſo druͤcken die
Maͤhrchen von dem Hyperboreer Abaris, dem αἰϑρο-
βάτης, der auf einem Pfeil die Welt umreitet, dieſelbe
auf eine ungemein naive Weiſe aus. Auf welchem
Wege uͤbrigens ſich dieſe Maͤhrchen gebildet, und zu-
gleich eine ſo hiſtoriſche Geſtalt angenommen, daß ſchon
Pindar den Abaris als Zeitgenoſſen des Kroͤſos behan-
delt 4, iſt unbekannt und ſchwer zu errathen: es ſcheint,
man hatte bei mehrern Tempeln des Gottes Orakel-
ſpruͤche und Beſaͤnftigungslieder, die man alter Heilig-

1 Vgl. Ephoros bei Str. 9, 423. und Julian (bei Kyrillos
S. 153) uͤber dies Thema.
2 vgl. oben S. 275. Ariſteas
ſtellte ſich offenbar dar als einen von Phoͤbeiſcher Begeiſterung Er-
griffenen, und darin die Urſitze ſeines Cultus, die Lieblingswohnung
des Gottes, Suchenden.
3 die ſchon Pindar erzaͤhlte, Frgm-
inc.
91. Bh. Ueber ſeine Statue zu Metapont S. 264, 4., wo-
hin er den Gott ſelbſt als Rabe begleitet haben wollte.
4 Fr.
inc.
90. In Ol. 53. ſetzt ihn Suidas nach dem Cod. Paris.
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[364/0394] ruhe, den Gottesfrieden heiliger Orte und Straßen — den die Blutrache maͤßigenden Einfluß der Suͤhnungen — und die Idee des ſtrafenden und raͤchenden Gottes auf der andern Seite — die entſcheidende Wirkung der Orakel in der Anordnung der oͤffentlichen Verhaͤltniſſe: um auf den heilſamen Einfluß dieſer Religion auf das politiſche Leben der Hellenen aufmerkſam zu machen 1. Und wie der Cultus durch ſeine Feierlichkeit, durch die Wuͤrde und Strenge der Muſik, durch alle ſeine Sym- bole und Gebraͤuche dem Gemuͤthe des Einzelnen jene der innern Kraft vertrauende Ruhe und Klarheit ein- zufloͤßen ſuchte, mit der indeß ein beſonderer Auf- ſchwung und eine eigene Ekſtaſe ſich wohl vertrug, iſt auch ſchon mehrmals bemerkt worden. Wie dieſe Ek- ſtaſe der Dichtung der Arimaspeen von Ariſteas zu Grunde lag 2, der ſelbſt als ἐκστατικὸς ein Gegen- ſtand mannigfacher Fabeln wurde 3: ſo druͤcken die Maͤhrchen von dem Hyperboreer Abaris, dem αἰϑρο- βάτης, der auf einem Pfeil die Welt umreitet, dieſelbe auf eine ungemein naive Weiſe aus. Auf welchem Wege uͤbrigens ſich dieſe Maͤhrchen gebildet, und zu- gleich eine ſo hiſtoriſche Geſtalt angenommen, daß ſchon Pindar den Abaris als Zeitgenoſſen des Kroͤſos behan- delt 4, iſt unbekannt und ſchwer zu errathen: es ſcheint, man hatte bei mehrern Tempeln des Gottes Orakel- ſpruͤche und Beſaͤnftigungslieder, die man alter Heilig- 1 Vgl. Ephoros bei Str. 9, 423. und Julian (bei Kyrillos S. 153) uͤber dies Thema. 2 vgl. oben S. 275. Ariſteas ſtellte ſich offenbar dar als einen von Phoͤbeiſcher Begeiſterung Er- griffenen, und darin die Urſitze ſeines Cultus, die Lieblingswohnung des Gottes, Suchenden. 3 die ſchon Pindar erzaͤhlte, Frgm- inc. 91. Bh. Ueber ſeine Statue zu Metapont S. 264, 4., wo- hin er den Gott ſelbſt als Rabe begleitet haben wollte. 4 Fr. inc. 90. In Ol. 53. ſetzt ihn Suidas nach dem Cod. Paris.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/394>, abgerufen am 29.04.2024.