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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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Pelasger zurück, die wenn auch nicht überall im alten
Griechenland -- denn die Sage unterscheidet viele Völ-
kerstämme so von ihnen, daß nie Verwechselung Statt
findet 1 -- doch fast immer da erscheinen, wo frühe
Landescultur, uralte Niederlassungen, bedeutsame und
vorzüglich heilige Culte sich finden. Und zwar müssen
wir von den meisten der alten Götterdienste Griechen-
lands sagen, daß sie diesem Stamme ihren Ursprung
verdankten. Zeus und Dione von Dodona; Zeus und
Hera von Argos, Hephaestos und Athena, Demeter und
Kora, der Arkadische Hermes und die Artemis Arka-
diens, Kadmos und die Kabiren können nach der Weise
geregelter Forschung auf keinen andern zurückgeführt
werden. Wir müssen also jenem Volke eine produktive
Fülle im Erzeugen und zugleich eine noch nicht erstarrte
Lebendigkeit im Metamorphosiren des religiösen Lebens
beischreiben, so daß sich dieselbe Grundbildung an ver-
schiednen Orten anders entwickelte, besonders dadurch,
daß Theile des Ganzen einseitig festgehalten wurden, an-
dre verloren gingen. Auch erkennen wir an vielen Stel-
len die durchgehende Einheit jener Götterdienste; es
äußert sich in Symbolen, Namen, Gebräuchen, Sagen
überall eine verwandte Empfindungsweise und Gefühls-
richtung; das hineinwirkende Phrygische und Thrakische
wie im Kretischen Zeus und im Dionysos sondert sich
leicht davon; die Phoenikische und besonders Aegyptische
Religion liegen fern ab, fast unbekannt, wo sie sie auch

1 Besonders die unter sich zusammenhängende Kette von Ae-
tolern -- Epeern -- Lokrern (von deren Verwandtschaft s. Boeckh
zu Pind. O. 9, 61. S. 191.) -- Lelegern (Hesiod. bei Str. 7.
S. 322.) und wenn diese, wie mehrere sagen, mit der Karischen
Nation eins sind, zu der wieder die Lyder und ein Theil der My-
ser gehört: so würden wir einen sehr ausgedehnten Volksstamm
darin sehen.

Pelasger zuruͤck, die wenn auch nicht uͤberall im alten
Griechenland — denn die Sage unterſcheidet viele Voͤl-
kerſtaͤmme ſo von ihnen, daß nie Verwechſelung Statt
findet 1 — doch faſt immer da erſcheinen, wo fruͤhe
Landescultur, uralte Niederlaſſungen, bedeutſame und
vorzuͤglich heilige Culte ſich finden. Und zwar muͤſſen
wir von den meiſten der alten Goͤtterdienſte Griechen-
lands ſagen, daß ſie dieſem Stamme ihren Urſprung
verdankten. Zeus und Dione von Dodona; Zeus und
Hera von Argos, Hephaeſtos und Athena, Demeter und
Kora, der Arkadiſche Hermes und die Artemis Arka-
diens, Kadmos und die Kabiren koͤnnen nach der Weiſe
geregelter Forſchung auf keinen andern zuruͤckgefuͤhrt
werden. Wir muͤſſen alſo jenem Volke eine produktive
Fuͤlle im Erzeugen und zugleich eine noch nicht erſtarrte
Lebendigkeit im Metamorphoſiren des religioͤſen Lebens
beiſchreiben, ſo daß ſich dieſelbe Grundbildung an ver-
ſchiednen Orten anders entwickelte, beſonders dadurch,
daß Theile des Ganzen einſeitig feſtgehalten wurden, an-
dre verloren gingen. Auch erkennen wir an vielen Stel-
len die durchgehende Einheit jener Goͤtterdienſte; es
aͤußert ſich in Symbolen, Namen, Gebraͤuchen, Sagen
uͤberall eine verwandte Empfindungsweiſe und Gefuͤhls-
richtung; das hineinwirkende Phrygiſche und Thrakiſche
wie im Kretiſchen Zeus und im Dionyſos ſondert ſich
leicht davon; die Phoenikiſche und beſonders Aegyptiſche
Religion liegen fern ab, faſt unbekannt, wo ſie ſie auch

1 Beſonders die unter ſich zuſammenhaͤngende Kette von Ae-
tolern — Epeern — Lokrern (von deren Verwandtſchaft ſ. Boeckh
zu Pind. O. 9, 61. S. 191.) — Lelegern (Heſiod. bei Str. 7.
S. 322.) und wenn dieſe, wie mehrere ſagen, mit der Kariſchen
Nation eins ſind, zu der wieder die Lyder und ein Theil der My-
ſer gehoͤrt: ſo wuͤrden wir einen ſehr ausgedehnten Volksſtamm
darin ſehen.
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[13/0043] Pelasger zuruͤck, die wenn auch nicht uͤberall im alten Griechenland — denn die Sage unterſcheidet viele Voͤl- kerſtaͤmme ſo von ihnen, daß nie Verwechſelung Statt findet 1 — doch faſt immer da erſcheinen, wo fruͤhe Landescultur, uralte Niederlaſſungen, bedeutſame und vorzuͤglich heilige Culte ſich finden. Und zwar muͤſſen wir von den meiſten der alten Goͤtterdienſte Griechen- lands ſagen, daß ſie dieſem Stamme ihren Urſprung verdankten. Zeus und Dione von Dodona; Zeus und Hera von Argos, Hephaeſtos und Athena, Demeter und Kora, der Arkadiſche Hermes und die Artemis Arka- diens, Kadmos und die Kabiren koͤnnen nach der Weiſe geregelter Forſchung auf keinen andern zuruͤckgefuͤhrt werden. Wir muͤſſen alſo jenem Volke eine produktive Fuͤlle im Erzeugen und zugleich eine noch nicht erſtarrte Lebendigkeit im Metamorphoſiren des religioͤſen Lebens beiſchreiben, ſo daß ſich dieſelbe Grundbildung an ver- ſchiednen Orten anders entwickelte, beſonders dadurch, daß Theile des Ganzen einſeitig feſtgehalten wurden, an- dre verloren gingen. Auch erkennen wir an vielen Stel- len die durchgehende Einheit jener Goͤtterdienſte; es aͤußert ſich in Symbolen, Namen, Gebraͤuchen, Sagen uͤberall eine verwandte Empfindungsweiſe und Gefuͤhls- richtung; das hineinwirkende Phrygiſche und Thrakiſche wie im Kretiſchen Zeus und im Dionyſos ſondert ſich leicht davon; die Phoenikiſche und beſonders Aegyptiſche Religion liegen fern ab, faſt unbekannt, wo ſie ſie auch 1 Beſonders die unter ſich zuſammenhaͤngende Kette von Ae- tolern — Epeern — Lokrern (von deren Verwandtſchaft ſ. Boeckh zu Pind. O. 9, 61. S. 191.) — Lelegern (Heſiod. bei Str. 7. S. 322.) und wenn dieſe, wie mehrere ſagen, mit der Kariſchen Nation eins ſind, zu der wieder die Lyder und ein Theil der My- ſer gehoͤrt: ſo wuͤrden wir einen ſehr ausgedehnten Volksſtamm darin ſehen.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/43>, abgerufen am 27.04.2024.