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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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keineswegs als ein von den Schlacken der Menschheit
freies Wesen vorgestellt; vielmehr geht jene Kraft oft
ins Schrankenlose, und wird convulsivisch durch Ueber-
fülle 1, und der edle Zorn und Unmuth des Vieldulden-
den schlägt in furchtbare Wuth aus. Aber für jegli-
chen Frevel büßt er durch neues Leid, und keines beugt
den unverwüstlichen Muth, bis er verklärt und geläu-
tert zum Olymp aufsteigt, und die ewige Jugend in
die Arme schließt, während sein Eidolon im Hades noch
immer mit ausgespanntem Bogen droht. Wie in Apol-
lon die Gottheit in die Kreise menschlichen Lebens her-
abtritt, so strebt in Herakles eine rein menschliche Kraft
zu den Eöttern empor. Diesem entspricht Herakles
auch in seiner göttlichen Funktion als Alexikakos
und Soter 2, welche die Oetäer so weit ausdehnten,
daß sie ihn als Heuschreckenvertilger (Kornopion), wie
die Erythräer als Rebenwurmtödter (Ipoktonos) ver-
ehrten 3. Was aber überhaupt die Gottheit des
Heros anbetrifft, so kann diese wohl nicht, wie schon
Herodotos wollte, aus einer Vermischung des Phöniki-

1 Daher auch die Sage, daß Her. der fallenden Sucht un-
terworfen gewesen.
2 Dieser Cult ging sicher von Delphi aus,
da das Delph. Orakel bei Demosth. Mid. 15. den Athenern gebeut
peri ugieias dem höchsten Zeus, Herakles und Ap. Prostaterios zu
opfern. Ueber Her. Alexikakos Libanios Ep. 12. Dio Chrysost. Or.
1. p.
17. Schol. Arist. Wolken 1375. und zu Apoll. Rh. 1, 1218.
vgl. Marini Ville Alb. p. 141. n. 152. An diesen ist gewöhnlich
bei dem Ausruf Erakles, me Hercules, zu denken. Als sol-
cher
erhielt er Schafe aber nur nachgemachte zum Opfer (sonst hat
Her. Schweine) und hieß Melon zu Theben, Pollux 1, 1, 27. 30.
und zu Melite in Attika. S. Apollod. bei Zenob. 5, 12. Hesych
s. v. Melon. Schol. Arist. Frieden 421. vgl. 740. Suid. Me-
lios.
3 Str. 13, 613. Doch ist dieser ursprünglich nicht der
Hellenische. Oben S. 453. Auch Er. apomuios zu Rom nach
Klem. Alex. Protr. 1. p. 24. Sylb. wie Zeus zu Olympia.

keineswegs als ein von den Schlacken der Menſchheit
freies Weſen vorgeſtellt; vielmehr geht jene Kraft oft
ins Schrankenloſe, und wird convulſiviſch durch Ueber-
fuͤlle 1, und der edle Zorn und Unmuth des Vieldulden-
den ſchlaͤgt in furchtbare Wuth aus. Aber fuͤr jegli-
chen Frevel buͤßt er durch neues Leid, und keines beugt
den unverwuͤſtlichen Muth, bis er verklaͤrt und gelaͤu-
tert zum Olymp aufſteigt, und die ewige Jugend in
die Arme ſchließt, waͤhrend ſein Eidolon im Hades noch
immer mit ausgeſpanntem Bogen droht. Wie in Apol-
lon die Gottheit in die Kreiſe menſchlichen Lebens her-
abtritt, ſo ſtrebt in Herakles eine rein menſchliche Kraft
zu den Eoͤttern empor. Dieſem entſpricht Herakles
auch in ſeiner goͤttlichen Funktion als Ἀλεξίκακος
und Σωτὴρ 2, welche die Oetaͤer ſo weit ausdehnten,
daß ſie ihn als Heuſchreckenvertilger (Κορνοπίων), wie
die Erythraͤer als Rebenwurmtoͤdter (Ἰποκτόνος) ver-
ehrten 3. Was aber uͤberhaupt die Gottheit des
Heros anbetrifft, ſo kann dieſe wohl nicht, wie ſchon
Herodotos wollte, aus einer Vermiſchung des Phoͤniki-

1 Daher auch die Sage, daß Her. der fallenden Sucht un-
terworfen geweſen.
2 Dieſer Cult ging ſicher von Delphi aus,
da das Delph. Orakel bei Demoſth. Mid. 15. den Athenern gebeut
πεϱὶ ὑγιείας dem hoͤchſten Zeus, Herakles und Ap. Proſtaterios zu
opfern. Ueber Her. Alexikakos Libanios Ep. 12. Dio Chryſoſt. Or.
1. p.
17. Schol. Ariſt. Wolken 1375. und zu Apoll. Rh. 1, 1218.
vgl. Marini Ville Alb. p. 141. n. 152. An dieſen iſt gewoͤhnlich
bei dem Ausruf Ἥϱακλες, me Hercules, zu denken. Als ſol-
cher
erhielt er Schafe aber nur nachgemachte zum Opfer (ſonſt hat
Her. Schweine) und hieß Μήλων zu Theben, Pollux 1, 1, 27. 30.
und zu Melite in Attika. S. Apollod. bei Zenob. 5, 12. Heſych
s. v. Μήλων. Schol. Ariſt. Frieden 421. vgl. 740. Suid. Μή-
λιος.
3 Str. 13, 613. Doch iſt dieſer urſpruͤnglich nicht der
Helleniſche. Oben S. 453. Auch Ἡϱ. ἀπόμυιος zu Rom nach
Klem. Alex. Protr. 1. p. 24. Sylb. wie Zeus zu Olympia.
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[455/0485] keineswegs als ein von den Schlacken der Menſchheit freies Weſen vorgeſtellt; vielmehr geht jene Kraft oft ins Schrankenloſe, und wird convulſiviſch durch Ueber- fuͤlle 1, und der edle Zorn und Unmuth des Vieldulden- den ſchlaͤgt in furchtbare Wuth aus. Aber fuͤr jegli- chen Frevel buͤßt er durch neues Leid, und keines beugt den unverwuͤſtlichen Muth, bis er verklaͤrt und gelaͤu- tert zum Olymp aufſteigt, und die ewige Jugend in die Arme ſchließt, waͤhrend ſein Eidolon im Hades noch immer mit ausgeſpanntem Bogen droht. Wie in Apol- lon die Gottheit in die Kreiſe menſchlichen Lebens her- abtritt, ſo ſtrebt in Herakles eine rein menſchliche Kraft zu den Eoͤttern empor. Dieſem entſpricht Herakles auch in ſeiner goͤttlichen Funktion als Ἀλεξίκακος und Σωτὴρ 2, welche die Oetaͤer ſo weit ausdehnten, daß ſie ihn als Heuſchreckenvertilger (Κορνοπίων), wie die Erythraͤer als Rebenwurmtoͤdter (Ἰποκτόνος) ver- ehrten 3. Was aber uͤberhaupt die Gottheit des Heros anbetrifft, ſo kann dieſe wohl nicht, wie ſchon Herodotos wollte, aus einer Vermiſchung des Phoͤniki- 1 Daher auch die Sage, daß Her. der fallenden Sucht un- terworfen geweſen. 2 Dieſer Cult ging ſicher von Delphi aus, da das Delph. Orakel bei Demoſth. Mid. 15. den Athenern gebeut πεϱὶ ὑγιείας dem hoͤchſten Zeus, Herakles und Ap. Proſtaterios zu opfern. Ueber Her. Alexikakos Libanios Ep. 12. Dio Chryſoſt. Or. 1. p. 17. Schol. Ariſt. Wolken 1375. und zu Apoll. Rh. 1, 1218. vgl. Marini Ville Alb. p. 141. n. 152. An dieſen iſt gewoͤhnlich bei dem Ausruf Ἥϱακλες, me Hercules, zu denken. Als ſol- cher erhielt er Schafe aber nur nachgemachte zum Opfer (ſonſt hat Her. Schweine) und hieß Μήλων zu Theben, Pollux 1, 1, 27. 30. und zu Melite in Attika. S. Apollod. bei Zenob. 5, 12. Heſych s. v. Μήλων. Schol. Ariſt. Frieden 421. vgl. 740. Suid. Μή- λιος. 3 Str. 13, 613. Doch iſt dieſer urſpruͤnglich nicht der Helleniſche. Oben S. 453. Auch Ἡϱ. ἀπόμυιος zu Rom nach Klem. Alex. Protr. 1. p. 24. Sylb. wie Zeus zu Olympia.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/485>, abgerufen am 05.05.2024.